EUROPA
Führende
Raumfahrtmacht des 21. Jahrhunderts?
Redaktion
astronews.com
26. Juni 2003
Vier Monate
lang hatte man über die Zukunft der europäischen Raumfahrt beraten - Anfang der
Woche wurde auf einer Schlusskonferenz in Paris als Ergebnis eine erhebliche
Verstärkung der europäischen Anstrengungen in der Weltraumforschung gefordert.
Europa, so die Devise, soll die führende Raumfahrtmacht im 21. Jahrhundert
werden.

Wird Europa zur führenden Raumfahrtmacht im 21. Jahrhundert? Foto: ESA /
EUMETSAT |
EU-Forschungskommissar Philippe Busquin meinte: "Die Konsultation hat sich als
erfolgreiches Beispiel demokratischen Zusammenwirkens und gemeinschaftlicher
Kreativität erwiesen. Die Europäer erwarten von der EU, dass sie eine stärkere
Rolle in der Raumfahrt spielt, und wir müssen bereit sein, diesen Erwartungen zu
entsprechen. Wir werden aufbauend auf den Erkenntnissen aus der Konsultation
einen ehrgeizigen Aktionsplan für die europäische Weltraumpolitik aufstellen.
Mit einem starken politischen Engagement seitens aller maßgeblichen
Raumfahrtakteure und anhaltender Unterstützung durch die Öffentlichkeit können
wir Europa zur führenden Raumfahrtmacht des 21. Jahrhunderts machen."
Claudie Haigneré,
die französische Ministerin für Forschung und Neue Technologien, erklärte:
"Ich begrüße die bemerkenswerte Arbeit, die die Europäische Kommission und die
ESA geleistet haben. Dank dieser eingehenden Debatte über unsere künftigen Ziele
sind wir zu gemeinsamen Ansichten über die jetzige Situation und zur einhelligen
Anerkennung der strategischen Bedeutung der Raumfahrt für Europa gelangt. Diese
Bemühungen werden zur selben Zeit wie die Arbeiten des Verfassungskonvents über
einen neuen Vertrag für die Europäische Union unternommen und bieten uns die
Gelegenheit, für die EU Zuständigkeiten im Raumfahrtbereich vorzuschlagen. Wir
befürworten voll und ganz diese Initiative, die es uns gestatten dürfte, einen
wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft Europas im Weltraum zu leisten.
Wir haben uns sehr viel vorgenommen: Wir wollen der Raumfahrt die ihr auf
europäischer Ebene gebührende Bedeutung sichern, um ein starkes und zunehmend
bürgernahes Europa aufzubauen."
ESA-Generaldirektor Antonio Rodotà fügte hinzu: "Wir sind sehr erfreut über die Güte und Menge
der Beiträge, die im Rahmen der Konsultation eingegangen sind: Diese zeigen,
dass nicht nur in den Kreisen der Wissenschaft und in der Geschäftswelt, sondern
auch in der breiten Öffentlichkeit ein echtes Interesse an einer stärkeren Rolle
Europas in der Raumfahrt besteht. Die ESA wird daher zusammen mit der Kommission
und den anderen Raumfahrtakteuren auf ein höheres Profil der Raumfahrt in Europa
und die Festlegung einer sachgerechten Agenda für die Zukunft der
Weltraumpolitik hinarbeiten."
Andere prominente Teilnehmer der Konferenz waren der designierte
Generaldirektor der ESA, Jean-Jacques Dordain, der sein Amt am 1. Juli 2003
antreten wird, der ehemalige schwedische Premierminister Carl Bildt und
Ministerialdirigent Herbert Diehl vom deutschen Bundesministerium für Bildung
und Forschung. Einige europäische Astronauten waren ebenfalls anwesend.
Zu der Konferenz waren über 400 Vertreter aus der Politik, Wirtschaft,
Forschung und Gesellschaft zusammengekommen. Sie bot Gelegenheit, aus den
mehreren Tausend Beiträgen, die im Rahmen der Konsultation eingegangen waren,
entscheidende Erkenntnisse zur Bestimmung der Handlungsprioritäten und zur
Planung konkreter Maßnahmen zu gewinnen, die notwendig sind, um Europas Rolle in
der Raumfahrt zu verstärken und die Nutzung des Weltraums im Dienste der
europäischen Bürger soweit wie möglich zu fördern. Ein entsprechender
Aktionsplan soll in einem Weißbuch der EU Ende 2003 veröffentlicht werden.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Raumfahrt dürfen nicht übersehen
werden. Das amerikanische Verteidigungsministerium rechnet damit, dass bis zum
Jahr 2010 die Zahl der die Erde umkreisenden Satelliten von heute 600 auf über
2.000 anwachsen wird. Im selben Zeitraum dürften sich die amerikanischen
Investitionen auf rund 500 Milliarden Dollar belaufen. In Europa wird geschätzt,
dass im Jahr 2010 die Raumfahrtindustrie und die damit verbundenen Aktivitäten
etwa 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen werden. Andererseits ist das
Fördervolumen für raumfahrtrelevante Forschung und Entwicklung in Europa
sechsmal niedriger als in den USA, wo die NASA und das Verteidigungsministerium
den Großteil der Finanzmittel bereitstellen.
Das Grünbuch über die europäische Weltraumpolitik, das von der Europäischen
Kommission am 21. Januar 2003 verabschiedet wurde, ist ein in Zusammenarbeit mit
der Europäischen Weltraumorganisation ausgearbeitetes strategisches Dokument,
das für die Raumfahrt in Europa eine neue Ära einleitet. Sein Ziel bestand
darin, eine breit angelegte Debatte über die mittel- und langfristige Nutzung
des Weltraums im Dienste der Bürger Europas in Gang zu setzen. Am 13. Mai nahmen
die für den Wettbewerb zuständigen EU-Minister eine Entschließung an, in der sie
sich für den raschen Abschluss einer Rahmenvereinbarung zwischen der ESA und der
Europäischen Kommission sowie für dringende Maßnahmen auf EU-Ebene zur
Bewältigung der sich Europa im Raumfahrtsektor stellenden Herausforderungen
aussprachen. Am 15. Mai nahm das Europäische Parlament eine ähnliche
Entschließung an, in der es fordert, dass der EU im neuen Verfassungsvertrag eine
geteilte Zuständigkeit für die Raumfahrt zuerkannt wird.
Auf seiner Tagung auf Ministerebene am 27. Mai, die sich mit einer Reihe von
Schlüsselfragen einschließlich der Zukunft der Trägerrakete Ariane und des
Satellitennavigationssystems Galileo befasste, nahm der ESA-Rat seinerseits eine
Entschließung an, in der er die Bereitschaft der ESA zu einer verstärkten
Zusammenarbeit mit der EU unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Aufgaben
und institutionellen Grundlagen der beiden Organisationen und unter Würdigung
ihrer Komplementarität bekräftigte. Anfang Juni wurde im Entwurf der
EU-Verfassung bestätigt, dass die Raumfahrt eine der neuen Zuständigkeiten der EU
werden soll.
Die
Konsultation zum Grünbuch umfasste eine Reihe von Veranstaltungen wie
Arbeitstagungen, Diskussionsforen und Konferenzen, die den gesamten Kontinent
überspannten und in der Öffentlichkeit auf beträchtliches Interesse stießen.
Nach der Eröffnungskonferenz in Brüssel stand auf dem Treffen in Madrid der
Beitrag des Industriesektors im Vordergrund, während auf der Arbeitstagung in
Berlin die wissenschaftliche Gemeinschaft zusammenkam.
In Rom wurden wichtige institutionelle Fragen erörtert, worauf in London und
Prag Debatten über Anwendungen bzw. die Bedeutung der internationalen
Zusammenarbeit stattfanden. Weitere Veranstaltungen in Lissabon, Athen und Wien
folgten. Darüber hinaus wurden hochrangige bilaterale Konsultationen geführt,
und viele Organisationen sandten ihre Stellungnahme unmittelbar der Kommission
zu. Gleichzeitig wurden die Bürger aufgefordert, ihre Ansichten über das
Internet bekannt zu geben. Auf die Konsultation ging eine Vielfalt von Beiträgen aus ganz Europa
ein. Im Rahmen einer offenen, transparenten und demokratischen Debatte zeichnete
sich ein breiter Konsens über eine Reihe von Schlüsselaktionen ab. Hierzu
gehören unter anderem der Einsatz derselben Satellitensysteme sowohl für Zivil-
als auch für Verteidigungs- und Sicherheitszwecke, ein eigenständiger, verlässlicher und erschwinglicher Zugang zum Weltraum durch
das Programm für den "Garantierten Zugang Europas zum Weltraum" (EGAS), die
Notwendigkeit einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsagentur sowie die
Verdoppelung der Fördermittel für die europäische Forschung. Zudem soll die
Internationalen Raumstation als Stützpunkt für Schwerelosigkeitsforschung
ausgebaut und das Aurora-Programm der ESA, das in den nächsten 30 Jahren unter
anderem eine bemannte Mission zum Mars anvisiert unterstützt werden.
Eine Veröffentlich eines Weißbuchs zur europäischen
Weltraumpolitik ist im Oktober 2003 vorgesehen. Das Weißbuch
wird einen Aktionsplan umreißen, der eine künftige Strategie für
Weltraumtätigkeiten in der Europäischen Union absteckt. Es wird die
eingegangenen Beiträge würdigen und Vorschläge zum Inhalt, zur Organisation und
zum Umfang der künftigen europäischen Weltraumtätigkeiten enthalten. Der Inhalt
soll dann vom Rat der Europäischen Union im November erörtert werden.
|