Der Komet Wirtanen umläuft alle fünfeinhalb Jahre einmal die Sonne. Wirtanen
wurde bei fast allen Passagen seit seiner Entdeckung im Jahr 1948 gesichtet,
doch haben die Astronomen erst in jüngster Zeit genauere Beobachtungen
angestellt, anhand deren die Größe und das Verhalten des Kometen abgeschätzt
werden können. Die neuesten Beobachtungen fanden im Dezember 2001 mit dem
Very Large Telescope (VLT) der ESO auf dem Paranal in Chile statt und helfen
der ESA, ihre Planung für ihre Rosetta-Mission zu verfeinern.
Rosetta soll im nächsten Jahr gestartet werden und den Kometen Wirtanen im
Jahr 2011 erreichen. Zu diesem Zeitpunkt wird der Komet genauso weit wie Jupiter
von der Sonne entfernt sein und mit Geschwindigkeiten bis zu 135 000 Kilometern
pro Stunde auf das innere Sonnensystem zurasen. Um zum Kometen zu gelangen, muss
Rosetta durch Vorbeiflüge an mehreren Planeten beschleunigt werden, worauf sich
die Sonde durch eine Reihe komplizierter Manöver dem Kometen annähern, auf eine
Umlaufbahn um ihn einschwenken und aus einer Höhe von rund einem Kilometer ein
Landegerät absetzen soll.
Die Beobachtungen mit dem VLT wurden gezielt geplant, um die Aktivität von
Wirtanen im Zeitpunkt der Landemanöver voraussagen zu können. Sie haben
bestätigt, dass in der Entfernung von der Sonne, in der die Landung stattfinden
soll (450 Millionen km), Wirtanen sehr wenig aktiv ist. Für die Rosetta-Mission
ist dies eine gute Nachricht, da sie bedeutet, dass die Landung nicht durch
starken Staubausstoß dramatisch gefährdet werden dürfte.
Kometen sind im Grunde gefrorene Himmelskörper aus Eis und Staub. Wegen der
zunehmenden Erwärmung bei der Annäherung an die Sonne "verdampft" das Eis, so
dass Gas und Staubkörner in den umgebenden Weltraum ausgestoßen werden, die die
Atmosphäre (die so genannte Koma) des Kometen und seinen Schweif bilden. Rosetta
soll nicht nur ein Landegerät auf dem Kern des Kometen absetzen, sondern auch
die Entwicklung des Kometen auf dem Weg zur Sonne erforschen. Zu diesem Zweck
wird Rosetta den Kometen Wirtanen bis zum Ende der Mission im Juli 2013
umrunden; dann wird der Komet mit rund 160 Millionen km Entfernung seinen
sonnennächsten Punkt erreichen.
Die Beobachtungen mit dem VLT haben den Rosetta-Missionsplanern auch eine genaue
Messung der Größe ihres Zielkometen geliefert: Wirtanen hat einen Durchmesser
von nur 1,2 km - ein echtes kosmisches Geschoß!
"Rosetta ist ohne Zweifel eine sehr schwierige Mission. Niemand hat bisher eine
Landung auf einem Kometen versucht", meint Gehard Schwehm, der
Projektwissenschaftler für Rosetta. "deshalb müssen wir soviel wie möglich über
unser Zielobjekt in Erfahrung bringen. Mit den neuen Daten können wir unsere
Modelle verbessern und Entscheidungen treffen, wenn wir einmal dort sind."
Das wissenschaftliche Hauptziel der Rosetta-Mission besteht darin, den Ursprung
des Sonnensystems zu enthüllen. Nach Ansicht der Forscher spiegelt die chemische
Zusammensetzung von Kometen die des Urnebels wider, aus dem das Sonnensystem
hervorgegangen ist - in den Planeten hat die Urmaterie komplexe Verwandlungen
erfahren, nicht aber in Kometen. Mit Rosetta werden die Wissenschaftler also 4,6
Milliarden Jahre zurück in eine Zeit blicken können, in der das Sonnensystem
geboren wurde.
Frühere Untersuchungen mit der Kometensonde Giotto der ESA und mit
bodengestützten Observatorien haben gezeigt, dass Kometen komplexe organische
Moleküle enthalten - Verbindungen mit hohen Anteilen an Kohlenstoff,
Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Bezeichnenderweise sind dies die
Elemente, aus denen Nuklein- und Aminosäuren - die Bausteine für Leben der uns
bekannten Art - bestehen. Hat das Leben auf der Erde durch "Besamung" über
Kometen begonnen? Rosetta könnte helfen, die Antwort auf diese grundlegende
Frage zu finden. Die Sonde führt insgesamt 21 Experimente mit, die von
wissenschaftlichen Konsortien aus Institutionen in ganz Europa und den
Vereinigten Staaten bereitgestellt werden.
Die mit dem VLT angestellten Beobachtungen des Kometen Wirtanen setzen eine
Tradition fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen der Europäischen
Weltraumorganisation (ESA) und der Europäischen Südsternwarte (ESO) fort. Die
beiden Organisationen stimmen ihr Vorgehen bereits in mehreren strategischen
Bereichen ab, um die Synergie zwischen weltraum- und bodengestützten
Einrichtungen zu fördern, wo der gemeinsame Einsatz von Technologie und
Verfahren zu erheblichen Einsparungen führen kann.