|
TEILCHENPHYSIK
Eine Lupe für den Urknall
Redaktion
astronews.com
22. August 2001
Einen äußerst schnellen und genauen Detektor für geladene Teilchen
haben Experimentalphysiker der Universität Bonn entwickelt. Der Sensor
soll bei Beschleuniger-Experimenten in Genf zum Einsatz kommen, mit denen
man Reaktionen studiert, die Bruchteile von Sekunden nach dem Urknall
stattgefunden haben.
Sensorchip.
Foto:
Universität Bonn/AG Wermes |
An der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz gehört der Urknall zum Alltag.
Regelmäßig kommt es hier zum gewaltigen Crash: Mit unvorstellbarer Energie
schießen die Physiker des Europäischen Labors für Teilchenphysik CERN in einem
Detektor von der Größe eines fünfstöckigen Hauses positiv geladene Teilchen, so
genannte Protonen, aufeinander. Dabei kommt es zu Reaktionen, wie man sie auch
in der Geburtsstunde des Universums hätte beobachten können. "Natürlich können
wir im Labor nicht die gleichen heißen Bedingungen erzeugen, wie sie unmittelbar
nach dem Urknall herrschten", schränkt Professor Norbert Wermes ein. "Aber den
Ablauf der dabei erfolgten Reaktionen können wir schon unter die Lupe nehmen".
Die Arbeitsgruppe um den Bonner Experimentalphysiker beteiligt sich am so
genannten ATLAS-Experiment - zusammen mit 150 weiteren Instituten aus insgesamt
34 Ländern. Die Wissenschaftler der Rheinischen Wilhelms-Universität entwickeln
Detektoren, mit denen sie weit in die Vergangenheit blicken können. Denn beim
Crash im Beschleuniger entstehen neue Teilchen, deren Eigenschaften viel über
die Anfänge unseres Universums vor etwa 15 Milliarden Jahren verraten. Diese
Reaktionsprodukte zu orten, hat sich Wermes' Arbeitsgruppe auf die Fahnen
geschrieben - keine ganz einfache Aufgabe: Pro Sekunde kommt es zu 40 Millionen
Zusammenstössen und dabei entstehen jeweils durchschnittlich 1.600 Teilchen, die
nachgewiesen werden müssen. Bei der Auswertung will man sich aber in der Regel
nur auf die Reaktionsprodukte weniger besonders interessanter Crashs
konzentrieren und die anderen ausblenden.
Die Mitarbeiter um Prof. Wermes und Dr. Peter Fischer haben dazu einen Detektor
entwickelt, der die entstehenden Teilchen auf einen hundertstel Millimeter genau
orten kann -und das gleich vierzigmillionenmal pro Sekunde. Wie der Lichtsensor
einer Digitalkamera besteht er aus haarfeinen viereckigen Zellen, die wabenartig
nebeneinander angeordnet sind, den so genannten Pixeln. "Durchquert ein Teilchen
einen Pixel, sendet dieser Ort, Zeit und Signalgröße an den Rand der
Elektronikchips, wo die Messwerte in schnelle Lichtsignale umgewandelt und durch
optische Fasern zum Computer geschickt werden", erläutert Wermes. In mehreren
Ebenen zylinderfoermig um den Entstehungsort der Reaktion angeordnet, liefert
der Pixel-Detektor so die Punkte einer Teilchenspur, mit deren Hilfe die
Urknallforscher rekonstruieren können, was genau sich beim Crash im
Beschleuniger zugetragen hat.
Die Geburtswehen des Universums "sind undenkbar weit entfernt von unseren
Alltagsnotwendigkeiten", gibt Wermes zu. Doch gerade aus der Grundlagenforschung
erwachsen immer wieder praxisnahe Anwendungen, die sich im Vorfeld nicht absehen
ließen. Die Bonner Experimentalphysiker nutzen ihr Know-How inzwischen auch für
biomedizinische Anwendungen. "Wir haben unseren Detektor mit einem schnellen
Zähler in jeder Pixelzelle gekoppelt - damit rückt der digitale Röntgennachweis
in greifbare Naehe." Der Detektor zählt die Röntgenquanten, die auf jeden Pixel
auftreffen. Aus dem Ergebnis kann der Computer dann ein Röntgenbild berechnen.
Anders als bei normalem Filmmaterial gibt es beim digitalen Pendant keine
Überbelichtung. Prinzipiell ist es egal, wie viel Strahlung auf einen Pixel
trifft - der Zähler zählt alles, was da kommt, vorausgesetzt, er ist schnell
genug. "Das Kontrastverhalten unseres Films ist unübertroffen - wahrscheinlich
lassen sich daher mit niedrigeren Strahlendosen ähnlich gute Bilder erzielen wie
heute auf normalem Röntgenfilm. Außerdem entfällt die Zeit für die
Filmentwicklung", so Wermes. Bis das Verfahren die konventionelle
Röntgentechnologie ablöst, wird aber wohl noch eine Weile vergehen - schließlich
hat der normale Film mehr als einhundert Jahre Vorsprung.
|
|
|