warum sollte es kein anderes leben geben

MartinX

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Vielen Dank, Bynaus! Ich verstehe Dich so wie Du geschrieben hat und somit verstehe ich auch Frank! In Zukunft werden meine Gedanken gut aussortiert und mit "reinen" Fragen wiedergegeben. So lassen sich vieleicht solche Missverständnise ausschließen.

LG, Martin
 

zabki

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Ich denke, man muss vorsichtig sein: Bei solchen Fragen kann auch die Persönlichkeit der Lehrperson reinspielen, z.B., wenn diese Person einen christlichen Hintergrund hat und deshalb partout ausschliessen will, dass es anderswo Leben geben könnte. Dann wird die Lehrperson den wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend lesen und weitergeben.

Das gab's, aber auch das Gegenteil:

Ich habe letztens von dem Astronomen und kath. Geistlichen George M Searle

http://en.wikipedia.org/wiki/George_Mary_Searle

folgenden Aufsatz von 1890 gelesen:

• Title: ARE THE PLANETS HABITABLE?
• Author(s): George M. Searle
• Source: Publications of the Astronomical Society of the Pacific, Vol. 2, No. 9 (July 12, 1890), pp. 165-177
• Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40666788

Darin kommt Searle zu dem Ergebnis, daß alle Himmelskörper bewohnbar sein könnten (bewohnbar, nicht bewohnt), auch die Fixsterne bzw. die Sonne (!!!) - man muß bei diesen nur abwarten, bis Sie genug abgekühlt sind, um Lebewesen zu erlauben. Es scheint damals tatsächlich Überlegungen gegeben zu haben, daß es unter der Oberfläche der Sonne quasi kühlere, bewohnte Höhlen geben könnte, was Searle aber ablehnt. Bei den Planeten sieht er außer der Erde "nur" den Mars aktuell bewohnt, Merkur, Venus, Mond werden zu sehr erhitzt von der Sonnenstrahlung, die äußeren Planeten sind wegen der Innenwärme zu heiß. Alle diese haben ihre Zeit als Lebensträger also noch vor sich. Searles Überlegungen sind, wie er selbst durchblicken läßt, durchaus auch religiös motiviert.
 

Bynaus

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@MartinX: Gut, wobei wir ja sicher auch wollen, dass die Leute eben Wissenschaft richtig verstehen - deshalb ist es gut, wenn solche Dinge zur Sprache kommen. Letztlich geht es in der Wissenschaft doch darum, die Welt und ihre Gesetze zu verstehen: wie können wir, ohne jegliche fixfertige "Gebrauchsanweisung" für diese Welt, dorthin kommen? Doch letztlich nur durch Beobachtung und logische Deduktion. Dabei muss man sich aber bewusst sein, dass bei der Deduktion Fehler geschehen können, logische, aber es können auch wichtige Aspekte der Funktionsweise eines Systems bei der stets nötigen Vereinfachung untergehen. In erster Näherung bewegt sich die Erde in einer Kreisbahn um die Sonne. Besser gesagt, tut sie das auf einer Ellipse. Noch besser gesagt, spielen sogar relativistische Effekte eine Rolle. Und so weiter. Idealerweise nähert sich unser Bild der Welt der Realität immer mehr an, deshalb werden den Büchern der Physik tendenziell eher Kapitel beigefügt als dass sie neu geschrieben werden. In gewissen Fällen kann es aber durchaus sein, dass man völlig auf dem Holzweg ist. In diesen Fällen stellt sich, im Nachhinen betrachtet, immer heraus, dass es nicht die Beobachtungen waren, die problematisch waren - es waren stattdessen unsere eingeschränkte oder gar fehlerhafte Interpretation der Beobachtungen (z.B., weil man etwas aus schieren "Anschaulichkeitsgründen" (dem sogenannten "gesunden Menschenverstand") von vorn herein - und voreilig - ausschloss, wie etwa bei der Plattentektonik). Daraus wird klar, dass der Anstoss zu einem "Umstoss" etablierter Interpretationen immer von Beobachtungen ausgehen muss: wenn eine solide, reproduzierbare Beobachtung im krassen Konflikt mit einer Interpretation steht, ist es immer die Interpretation, die nachgeben muss. Die Erde wird (nach unserer Auffassung) NIE wieder eine Scheibe sein, die Sonne wird NIE wieder um sie kreisen, und sie wird auch NIE nur 6000 Jahre alt sein. Diese "Interpretationen" stehen im krassen Konflikt mit den Beobachtungen. Postmodernisten relativieren ja gerne alles, aber es gibt gewisse Aspekte unserer Welt, die schlicht und einfach feststehen und sich nie mehr ändern werden (ausser wir verlieren alle den Verstand... :) ). Unterschiedliche Interpretationen sind oft unterschiedlich weit von diesem superharten Kern von echter Erkenntnis entfernt. Wissenschaftlern eines Fachgebiets ist oft klar, wie weit gewisse Aussagen von diesem Kern weg sind, aber bei Laien ist das nicht so. Für sie ist jede Aussage eines Wissenschaftler gleich gewichtet, und entsprechend erscheinen auch - aus wissenschaftlicher Sicht - geringfügige Änderungen am Weltbild wie monumentale Änderungen (und da selbst Wissenschaftsjournalisten leider oft auch Laien sind, drückt diese "Wechselhaftigkeit" oft auch in populärwissenschaftlichen Artikeln durch).

@Zabki: Danke für den Hinweis, sehr interessant. Der Artikel muss aus einer Zeit stammen, als man noch ernsthaft diskutierte, ob die Sonne vielleicht ein grosses Stück Kohle sein könnte, das langsam verbrennt...
 

Bynaus

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@SFF-TWRiker: Ahahaha, Crackpoterie im Vor-Internetzeitalter... :D

Im Übrigen kann ich euch den von zabki verlinkten Artikel nur empfehlen: auch wenn er inhaltlich natürlich längstens überholt ist und der Autor gegen Schluss dem Sonnensystem unbedingt seinen christlichen Stempel aufdrücken will (wenn auch nicht allzu aufdringlich), so ist er doch sehr angenehm (physikalisch) argumentiert und in einer schönen Sprache geschrieben.
 

Bynaus

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Wieder so ein Titel, hinter den man Fragezeichen setzen muss. Es ist nicht "die NASA", die sowas ankündigt. Es ist einer ihrer (? selbst das wäre konkret zu klären) Wissenschaftler, der Astronom Kevin Hand, der im Rahmen einer Podiumsdiskussion seine persönliche Meinung (Einschätzung) kundtut. Mit "NASA kündigt Durchbruch an" hat das gar nichts zu tun.

Meine persönliche Meinung/Einschätzung:

Wenn es Leben auf dem Mars gibt oder gab, kommt es wohl von der Erde (via Meteoriten oder über den Sonnenwind importiert), und es ist denkbar, dass wir es bis in 20 Jahren gefunden haben werden.
Wenn es Leben auf Europa gibt oder gab, könnten wir bis in 20 Jahren die ersten konkreten Hinweise darauf gefunden haben (aber wenn es kein Leben auf Europa gibt, werden wir es auch in 20 Jahren nicht ausschliessen können).
Wir werden sehr viel mehr erdähnliche Planeten kennen und sie viel besser charakteristiert haben, aber wir werden keine Gewissheit haben, dass auf irgend einem von ihnen Leben existiert (obwohl wir einige sehr gute Kandidaten haben werden).
Wir werden keinen Kontakt zu ausserirdischen Zivilisationen haben und auch keine Spuren von ihnen entdeckt haben.
 

SFF-TWRiker

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Dgoe

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Immerhin dürfte Tanjas Lehrer langsam im Boden versinken!

Ich denke auch, dass 20 Jahre sehr optimistisch sind. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass es der Öffentlichkeit nur noch als eine Frage der Zeit präsentiert wird (eben PR) - und dies nicht von einer Astrobiologie-Seite in den Tiefen des Webs, sondern von der führenden weltraumfahrenden Agentur, der NASA.

PR ist übrigens eine der wichtigsten Komponenten jeder Mission, auch zukünftigen.

Gruß,
Dgoe


P.S.:
der 16.07.2014 ist schon ein wenig aktueller, als
:p
 
Zuletzt bearbeitet:

Ich

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Immerhin dürfte Tanjas Lehrer langsam im Boden versinken!
Bei allem Respekt gehe ich davon aus, dass er diese Aussage so nicht gemacht hat:
Lehrer? schrieb:
es kann kein ausserirdisches leben geben, da es dort entweder zu kalt oder zu heiß sei und man wasser als voraussetzung bräuchte.!
Das Ganze ergibt exakt Null Sinn, wenn man es auf das Universum bezieht. Jetzt kann man entweder annehmen, dass besagter Lehrer der größte anzunehmende Horst ist und sich viele Beiträge lang über "die Wissenschaft" aufregen, die sich aus derlei Horsten zu konstituieren scheint.
Oder man nimmt an, dass hier etwas Kontext oder genauer Wortlaut fehlt. Vielleicht war mit "dort" ja das Sonnensystem gemeint. Dann ist die Aussage schon weit weniger spektakulär, und - wenn sie im Original auch noch etwas vorsichtiger formuliert war - durchaus tragbar.
 

Mahananda

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Hallo SFF-TWRiker,

Für die Existenz von Leben ist wichtig, dass bei Molekülen effektive Energiebillanzen vorliegen und dass die chemischen Eigenschaften passen.

Völlig richtig. Die Stellung im Periodensystem ist wichtig, weil sich daraus Ableitungen für den Atombau ergeben. Grundsätzlich gilt, dass Makromoleküle, die als Biokatalysatoren geeignet sind, nicht mit Metallbindungen oder Ionenbindungen zu bekommen sind. Diese beiden Bindungsarten führen zu Kristallen, die dreidimensional wachsen, indem Gitterpositionen mit Ionen besetzt werden. Notwendig ist jedoch ein lineares Wachstum, um ggf. Seitengruppen mit unterschiedlichen chemischen Eigenschaften integrieren zu können. Das ist wichtig, damit enzymatische Aktivitäten ablaufen können, die den Stoffwechsel ermöglichen und in Gang halten.

Lineares Wachstum ist jedoch nur zu bekommen, wenn Atombindungen auftreten. Atombindungen wiederum entstehen, wenn Nichtmetalle sich mit Nichtmetallen über Elektronenpaare miteinander verbinden. Die Details zu Oktettregel und Edelgaskonfiguration lasse ich hier mal weg. Jedenfalls ergibt sich aus der Stellung im Periodensystem, wie stark der Metallcharakter eines Elements ist. Generell gilt, dass der Metallcharakter von links (1. Hauptgruppe) nach rechts (8. Hauptgruppe) abnimmt und von oben (1. bzw. 2. Periode) nach unten (3. bis 7. Periode) zunimmt. Die Elemente der Nebengruppen sind durchweg Metalle und scheiden daher als Grundlage für eine Biochemie komplett aus. Zur Auswahl stehen also Elemente, die möglichst weit rechts und möglichst weit oben im Periodensystem stehen.

Das allein reicht jedoch nicht aus. Wichtig ist zudem die Auswahl an Bindungsmöglichkeiten. Diese ergeben sich aus der Anzahl der Außenelektronen. Die Zahl der Hauptgruppe entspricht der Anzahl der Elektronen auf der äußersten Elektronenschale. Für die Elemente der 2. Periode ergibt sich folglich:

Lithium = 1 Außenelektron (Lithium ist ein Metall)
Beryllium = 2 Außenelektronen (Beryllium ist ein Halbmetall)
Bor = 3 Außenelektronen (Bor ist ein Halbmetall)
Kohlenstoff = 4 Außenelektronen (Kohlenstoff ist ein Nichtmetall)
Stickstoff = 5 Außenelektronen (Stickstoff ist ein Nichtmetall)
Sauerstoff = 6 Außenelektronen (Sauerstoff ist ein Nichtmetall)
Fluor = 7 Außenelektronen (Fluor ist ein Nichtmetall)
Neon = 8 Außenelektronen (Neon ist ein Edelgas)

Bei Edelgasen ist die Außenschale komplett mit Elektronen gefüllt, so dass sie keinerlei chemische Bindungen eingehen können (Nur mit speziellen chemischen Tricks und nur mit Fluor konnte das bisher im Labor mit Krypton und Xenon gelingen, aber von Natur aus eben nicht.). Elemente mit wenigen Außenelektronen sind eher bereit, Elektronen abzugeben, wenn sie eine Bindung eingehen. Also neigen Lithium, Beryllium und Bor eher zur Elektronenabgabe, so dass dann Ionen (Atomrümpfe) entstehen, die wegen der Unterzahl an Elektronen positiv geladen sind. Man findet diese Elemente daher bevorzugt in Ionenbindungen (z.B. Salze).

Elemente mit vielen Außenelektronen neigen dazu, weitere Elektronen aufzunehmen, um ihre Außenschale auf 8 Elektronen aufzufüllen. Dieses Bestreben, weitere Elektronen anzuziehen, wird als Elektronegativität bezeichnet. Fluor besitzt mit dem Wert 4,0 die größte Elektronegativität und ist daher besonders reaktiv. Fluor und die sich nach unten anschließenden Halogene (Salzbildner) Chlor, Brom und Iod bindet sich daher besonders mit Elementen, die zur Elektronenabgabe neigen, also insbesondere Alkalimetalle (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium und Cäsium) sowie Erdalkalimetalle (Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium und Barium). Aufgrund dieser Affinität scheiden die Halogene als Grundlage einer Biochemie ebenfalls komplett aus.

Aber auch die Elemente der 6. Hauptgruppe Sauerstoff, Schwefel, Selen und Tellur besitzen ihren Namen Chalkogene (Erzbildner) nicht umsonst. Sie bilden ebenfalls bevorzugt mit Metallen der ersten beiden Hauptgruppen Verbindungen auf Ionenbasis. Somit verbleiben noch die Hauptgruppen 3 bis 5 und die obersten beiden Perioden 2 und 3, um für eine funktionierende Biochemie geeignete Elemente bereitzustellen. In der 3. Hauptgruppe befindet sich dort Bor und Aluminium. Bor als Halbmetall neigt dazu, sich eher mit seinesgleichen oder aber mit Halogenen und Chalkogenen zu verbinden. Immerhin gibt es aber mit Borazenen einige interessante Verbindungen, die komplexer sind als das, was das darunter stehende Aluminium hervorbringen kann. Aluminium als Metall scheidet von vornherein aus.

In der 4. Hauptgruppe haben wir Kohlenstoff und Silizium. Dass Kohlenstoff geeignet ist, wissen wir ohnehin, aber warum läuft es dem Silizium den Rang ab, obwohl es doch auf der Erdoberfläche erheblich mehr Silizium als Kohlenstoff gibt? Silizium hat aufgrund seines Atombaus erhebliche Nachteile. Es verfügt über eine weitere voll besetzte Elektronenschale, so dass der Atomradius größer ist als der von Kohlenstoff. Das verhindert wirksam die Bildung von Doppelbindungen oder Dreifachbindungen mit sich selbst, weil sich die vorhandenen Elektronenorbitale nicht wie beim Kohlenstoff überlagern können. Damit entfallen eine Reihe von Reaktionsmöglichkeiten, weil solche Mehrfachbindungen zugleich energiereich sind. Bindungen mit Silizium sind folglich stets Einfachbindungen. Das hat wiederum Folgen für die Bindung mit Sauerstoff. Da es nur Einfachbindungen gibt, muss sich Silizium mit vier Sauerstoffatomen verbinden, um seine Außenschale zu komplettieren. Sauerstoff kann jedoch stets zwei Elektronen aufnehmen, muss sich folglich mit einem weiteren Siliziumatom verbinden, das wiederum mit vier Sauerstoffatomen verbunden ist usw. Das Resultat ist ein Kristallgitter, wo beliebig viele SiO4-Tetraeder diamantähnlich angeordnet sind.

Aus diesem Grund ist Quarz fest, hart und wasserunlöslich. Das wiederum ist schlecht für eine Biochemie, weil Silizium als Oxid für weitere Syntheseprozesse nicht mehr verfügbar ist. Hinzu kommt, dass die Bindungsaffinität zu Sauerstoff erheblich größer ist als zu anderen Nichtmetallen. Falls bei der Planetenentstehung größere Mengen an Silan vorhanden gewesen sein sollten, so würden sie binnen kurzer Zeit mit Wasser zu Quarz bzw. Kieselsäure und Wasserstoff reagieren. Aus diesen Gründen scheidet Silizium als Baustoff für Polymere aus.

In der 5. Hauptgruppe befinden sich Stickstoff und Phosphor, die in den Makromolekülen, aber auch als Energiequelle in die Biochemie integriert werden. Die beiden Elemente der 6. Hauptgruppe, Sauerstoff und Schwefel, werden ebenfalls als Baustoff für die Herstellung von Makromolekülen, aber auch für reaktive Seitengruppen in Biokatalysatoren verwendet. (Beispiel: Di-Sulfid-Brücken in Proteinen mit Hilfe der Aminosäure Cystein, die eine SH-Seitengruppe aufweist) Alles andere, also Halogene (insbesondere Chlor) und Metall-Ionen, haben die Funktion von Beiwerk, um z.B. Proteine spezifisch funktionieren zu lassen (in Gestalt prosthetischer Gruppen) oder andere chemische Prozesse zu kanalisieren (Sauerstofftransport, Photosynthese, Nervenerregungsweiterleitung u.a.), aber stellen nicht das materielle Fundament für Makromoleküle dar. Sie sind daher Spurenelemente bzw. Mikroelemente, aber eben keine Bioelemente. Aus rein chemischen Gründen ist die Auswahl auf Kohlenstoff, im Verbund mit Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff sowie Schwefel und Phosphor eingeschränkt. Auch auf anderen Planeten ist daher nichts anderes zu erwarten, egal für wie beschränkt man den sogenannten "Kohlenstoff-Chauvinismus" halten mag ...

Viele Grüße!
 

Bynaus

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Danke, Mahananda, das war sehr interessant und überzeugend zu lesen.

Wenn du nun, quasi als Anwalt des Teufels, auf eine leicht andere Biochemie unter anderen Bedingungen spekulieren müsstest - in welche Richtung würde das gehen bzw. welche Variation einer nicht (oder nicht nur?) auf Kohlenstoff basierenden Biochemie würde dich noch am wenigsten überraschen?
 

Mahananda

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Hallo Bynaus,

als Alternative zu Kohlenstoff fällt mir gerade nichts ein ... ;) Variationsmöglichkeiten sehe ich in der Relation Kohlenstoff/Stickstoff. Hier könnte es einige Überraschungen geben, wenn anstelle von Wasser ein Wasser-Ammoniak-Gemisch vorherrscht. Insbesondere die Nitrilchemie besitzt das Potenzial zu vielfältigen Synthesewegen, die zu ganz anderen Polymerklassen führen würden als ausgerechnet Nucleinsäuren mit Purinen und Pyrimidinen. Auch Phosphor wäre entbehrlich, wenn energiereiche CN-Verbindungen infolge eines Überangebots an Ammonium-Ionen reproduzierbar werden.

Interessant könnte zudem die Integration von Aromaten in eine Biochemie sein, weil sich hierbei eine Vielzahl an Verzweigungsmöglichkeiten bietet, die zu komplexen Netzwerken hochwachsen könnten. Die Verwendung von Aromaten ist hier recht eng begrenzt (Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan). Immerhin zeigt diese Verbindungsklasse aufgrund seiner karzinogenen Wirkung eine nicht unerhebliche biologisch relevante Potenz (ebenso wie die Giftigkeit des HCN auf so eine Potenz verweist).

Weiterhin ist das Potenzial der metallorganischen Verbindungen (ebenfalls sehr giftig!) biochemisch noch gar nicht ausgeschöpft. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass auch da noch eine Vielzahl an Varianten möglich ist, wobei auch hier ein Fluid aus Ammoniakwasser weitere Möglichkeiten einer komplexen Chemie unter Beteiligung von Stickstoffhaltigen reaktiven Gruppen eröffnet, die die Verbindungspalette erheblich bereichern dürfte.

So weit erste Überlegungen von mir dazu.

Viele Grüße!
 

Dgoe

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Hallo Mahananda,

das ist wirklich sehr interessant, besonders auch diese Variationen. Während des Lesens stellte sich mir auch eine Frage, vielleicht kannst Du etwas dazu sagen.
Denn ich musste unwillkürlich an Plastik denken, wie absurd auch immer, denn:
Kunststoff – Wikipedia
Kunststoffe können sowohl aus linearen Ketten als auch aus verzweigten und vernetzten Ketten bestehen. Die Kettenlänge der einzelnen polymeren Moleküle variiert zwischen einigen tausend Moleküleinheiten bis über eine Million monomeren organischen Moleküleinheiten.
Ist es theoretisch möglich unter denkbar exotischen extraterrestrischen Bedingungen, dass Kunststoffe mit zu einer Biochemie beitragen könnten?

Gruß,
Dgoe
 

Mahananda

Registriertes Mitglied
Hallo Dgoe,

nun ja, es gibt ja immerhin fibrilläre Proteine, wie z.B. Keratin. Die sind schon so wie Kunststoff. Allerdings muss man unterscheiden zwischen Polymerisation und Polykondensation. Während Kunststoffe meist Polymerisationsprodukte sind, stellen Proteine Polykondensationsprodukte dar.

Das Problem bei unseren Kunststoffen besteht darin, dass sie vernetzte Strukturen bilden und dadurch schwer reproduzierbar sind, wenn es auf eine identische Monomer-Abfolge ankommt, wie das bei unseren Proteinen der Fall ist.

Andererseits sind Zellulose, Glykogen und Stärke in ihrer Struktur durchaus ähnlich und - da sie aus Vervielfältigung eines einzelnen Monomerbausteins (meist Glucose, aber auch andere Einfach-Zucker) hervorgehen - nicht an einen komplizierten Synthese-Apparat gebunden, wie er für die Protein-Synthese nötig ist.

Aus rein chemischen Voraussetzungen heraus ist prinzipiell nichts gegen einige Arten von Kunststoffen einzuwenden (wenn es nicht gerade PVC oder PTFE ist), die in Zellen verbaut werden. Problematisch erscheint mir nur die abiotische Anreicherung von solchen Makromolekülen. Hierbei ist zu bedenken, dass bereits die Vorstufen von Kunststoffen schlecht bis gar nicht wasserlöslich sind. Bei Polyethylen z.B. würden zunächst längere Ketten von Alkanen entstehen, die dann - weil Benzin oder Paraffinöl - auf der Wasseroberfläche schwimmen bzw. sich auf Gesteinsoberflächen absetzen würden und infolge Reaktionsträgheit als eine Art Ölschlamm verbleiben.

Zur weiteren Polymerisation bzw. Polykondensation fehlt dann zum einen der katalytische Apparat (das geringere Problem, weil metallreiche Oberflächen bei hinreichender Energiezufuhr katalytisch wirken könnten) und zum anderen die Integration in den Stoffwechsel einer Protozelle (diese müsste ja mit dem sperrigen Molekül, das sehr reaktionsträge ist, etwas anfangen können - anderenfalls droht Verstopfung des Zell-Innenraums). Der Weg, den das irdische Leben beschritten hat, ist plausibler (wenn auch sicher nicht der einzig mögliche!): Verkettung von Monomeren zu beliebig einsetzbaren Polymeren (also Aminosäuren mit variablen Seitengruppen zu Proteinen) und dann via Selektion austesten, was passt und was nicht.

Kunststoffe sind außer als Gerüststoff kaum zu etwas zu gebrauchen. Und da sie schlecht abbaubar sind (Enzyme kommen wegen der vernetzten und hydrophoben Struktur kaum ran, um CH-Gruppen herauszulösen und z.B. in den Fettsäurestoffwechsel zu integrieren), haben Proteine mit analogen Eigenschaften wegen ihrer einfacheren Wiederverwertbarkeit hier einen klaren Selektionsvorteil. Also: Kunststoffe kann man für fortgeschrittene Evolutionsstadien nicht völlig ausschließen, sind aber sehr unwahrscheinlich in den frühen Evolutionsstadien.

Viele Grüße!
 

Dgoe

Gesperrt
Hallo Mahananda,

interessant, vielen Dank. Vielleicht wird irgendwann mal das eine oder andere Süppchen auch in einer Simulation durchgerechnet, denke nur, dass die Rechenpower bisher noch nicht ausreicht.

Ein wichtiges Kriterium ist ja auch die Reproduktionsfähigkeit, die sich in anderen Variationen vielleicht schwieriger gestaltet. Überhaupt ist es irgendwie ein kleines Wunder, dass die Moleküle auf diese 'Idee' gekommen sind, die sich dann per Selektion manifestiert/etabliert hat. Wieviele Try-and-Error waren wohl dafür nötig? Und überhaupt, dass sich die Atome und Moleküle so organisieren, offenbar einfach dann, wenn die Rahmenbedingungen es den "Spielregeln" erlauben...

Mit Spielregeln meine ich die chemischen und physikalischen Gesetze, die in Biochemische münden usw., mit Rahmenbedingungen vor allem die Geologischen und natürlich schon den richtigen Mix aus den Supernovae-Resten, habitable Zone, etwas Wasser*, usw...

Während die Gesetze universumsweit die gleichen sind, sollte es ja nur um die richtigen Rahmenbedingungen gehen und wenn dann leichte Variationen auch noch etwas Flexibilität zulassen, dürfte es mehr als äußerst unwahrscheinlich sein, dass die Genese nur auf der Erde geschehen ist. Insbesondere in Anbetracht der neuesten Hochrechnungen in Sachen Planeten.

Das war nur 'laut' gedacht.

*: Wasser gibt es ja im Überfluß, siehe nur ein Beispiel:
12 Milliarden Lichtjahre entfernt: US-Forscher entdecken gigantisches Wasserreservoir im All - SPIEGEL ONLINE
Die Menge umfasse das 140-billionenfache allen Meerwassers der Erde

Gruß,
Dgoe
 
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Mahananda

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Hallo Dgoe,

Ein wichtiges Kriterium ist ja auch die Reproduktionsfähigkeit, die sich in anderen Variationen vielleicht schwieriger gestaltet.

Evolution führt immer zu Kompromissen zwischen Aufwand und Nutzen. Es läuft am Ende immer darauf hinaus, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel an Variationsbreite zuzulassen, damit der Selektionsdruck genügend Angriffsfläche findet, um - den jeweils gegebenen Bedingungen entsprechend - noch besser optimierte Varianten übrig zu lassen, die sich ihrerseits in eine größere Variationsbreite aufspalten. Da Reproduktion zu den elementaren Lebensprozessen gehört, greift hier die Selektion besonders harsch durch und lässt nur das übrig, was sich in Konkurrenz zu anderen Möglichkeiten am effizientesten gestaltet.

Zu irgend einem frühen Zeitpunkt der chemischen Evolution hat sich bei uns RNA als Matrize durchgesetzt. Da RNA darüber hinaus auch enzymatische Aktivität zeigt (wenn auch nicht in einem großen Umfang, aber immerhin!), bildete sie ein Brückenglied hin zur Aufspaltung in Genom (aus Nucleinsäuren - neben RNA auch DNA) und Proteom (aus Proteinen, die mit Hilfe von Aminosäuren produziert wurden). Nun kann man über Alternativen zu RNA nachdenken, die ebenfalls hätten entstehen können, sich aber nicht durchgesetzt haben.

Eine Möglichkeit sind z.B. PNA's (Peptid-Nucleinsäuren), bei denen das Rückgrat nicht aus Zucker (Ribose) und Phosphat gebildet wird, sondern - wie bei Proteinen - aus Aminosäuren, die mittels Peptid-Bindungen verkettet sind. An den Seitenketten der Aminosäuren befinden sich dann die vier Basen, die sich auch in der RNA finden (Adenin, Uracil, Guanin und Cytosin). Nachteil wäre hier, dass PNA keine katalytische Aktivität zeigt. Als Matrize für ein Genom wäre sie jedoch gut geeignet. Sie wäre sogar stabiler als RNA, weil die Esterbindungen des Phosphatanteils brüchiger sind als Peptidbindungen. In diesem Falle müsste man sich ein anderes Brückenglied einfallen lassen, das zwischen PNA und Enzymen vermittelt. Der Stoffwechsel der Protozelle muss ja dennoch irgendwie in Gang kommen und in die Lage versetzt werden, zu einer größeren Organisationshöhe hochzuwachsen. Also sind PNA's im Vergleich zu RNA letztlich benachteiligt. In einer Konkurrenzsituation würde RNA das Rennen machen.

Hinzu kommt, dass die einzelnen RNA-Nucleotide - also die Bausteine, aus denen sich RNA zusammensetzt - für sich genommen durch ihren Phosphatanteil für Energieübertragungsprozesse geeignet sind. Bekanntestes Beispiel ist der Umsatz von ATP zu ADP und umgekehrt, der gewissermaßen den Treibstoff im Zellstoffwechsel darstellt. Ein RNA-Nucleotid ist Adenosin-mono-phosphat (AMP). Durch Anlagerung einer weiteren Phosphatgruppe entsteht Adenosin-di-phosphat (ADP) und schließlich mit noch einer weiteren Phosphatgruppe Adenosin-tri-phosphat (ATP), das dann universell für chemische Prozesse als Energielieferant verwertet wird. Gerade diese Mehrfach-Nutzbarkeit von chemischen Stoffklassen macht eine Biochemie aus, und da Adenin in vielen zentral wichtigen Stoffen (u.a. neben ATP auch cAMP, NADH und NADP) eingebaut ist - einschließlich des Ribose-Anteils - muss hier bereits sehr früh eine Weichenstellung erfolgt sein, die konkurrierenden Varianten keine Entfaltungsmöglichkeit mehr geboten hat.

Denkbar sind natürlich Varianten, in denen die Nitrilchemie oder die Aromatenchemie stärker zum Tragen kommt, so dass Zucker und Phosphat ins Hintertreffen geraten, nachdem hier eine fundamentale Weichenstellung erfolgt ist, aber das ist natürlich alles sehr spekulativ, da das Feld der organischen Chemie ein sehr weites ist, was immer für die eine oder andere Überraschung gut ist, an die man vorher nicht gedacht hat. Die stärkere Integration von Schwefel könnte z.B. ebenfalls zu völlig anderen Synthesewegen führen als die, die sich bei uns etabliert haben. Aber es lohnt sich nicht, sich hierin zu verlieren, da die Ausstattung der Gesteinsoberflächen mit Metall-Ionen ebenfalls katalytisch kanalisierend wirken. Und dieses weite Feld in die Kalkulationen mit einzubeziehen, macht das Ganze geradezu uferlos.

Während die Gesetze universumsweit die gleichen sind, sollte es ja nur um die richtigen Rahmenbedingungen gehen und wenn dann leichte Variationen auch noch etwas Flexibilität zulassen, dürfte es mehr als äußerst unwahrscheinlich sein, dass die Genese nur auf der Erde geschehen ist.

Der Schluss liegt zwar einerseits nahe, ist aber andererseits keinesfalls zwingend. Da die konkreten Bedingungen, die hier zur Entstehung des Lebens geführt haben, unbekannt und aller Voraussicht nach nicht reproduzierbar sind (Man könnte vielleicht im Labor Leben künstlich erzeugen, aber der dabei beschrittene Weg muss nicht derselbe sein wie der, der einst auf der Erde beschritten wurde. Was damals wirklich ablief, ist schlicht unkalkulierbar!), lässt sich keine Vorab-Wahrscheinlichkeit festlegen, nach der Leben bei hinreichender Häufigkeit von geeigneten Planeten auch tatsächlich entsteht. Wenn es dumm kommt, haben wir hier einfach so ein unwahrscheinliches Glück gehabt, dass es anderswo nur tote Welten gibt.

Wir wissen es nicht, und der einzige Weg, es herauszufinden, ist der, dass man die Atmosphären von Exoplaneten beobachtet und spektroskopisch untersucht. Finden sich Anzeichen eines chemischen Nichtgleichgewichts (also z.B. das gemeinsame Vorkommen von Ozon und Methan), haben wir ein deutliches - wenn auch nicht absolut sicheres - Indiz für das Vorhandensein einer Biosphäre. Finden sich diese Anzeichen nicht, muss das andererseits nicht bedeuten, dass dort alles tot ist. Die Erde ist auch erst seit etwa 2,2 Milliarden Jahren mit einer Ozonschicht versehen, obwohl es Leben schon 1,3 Milliarden Jahre länger gibt. Hier sind also auch eine Reihe Unwägbarkeiten vorhanden, die berücksichtigt werden müssen. Aber mal sehen, vielleicht sind wir in zehn Jahren schon etwas schlauer, nachdem das EELT in Betrieb gegangen ist ...

Viele Grüße!
 
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