Die Anwendung des DDA hängt auch noch von etwas anderem ab: Dem Interesse an der Frage, nach der Menge an zukünftigen Menschen. Dieses Interesse, dass es auch schon früher gab, könnte doch ohne weiteres systematischen Schwankungen unterliegen.
Wie gesagt: es geht nicht um die tatsächliche Anwendung des DA. Wir sind wohl keine typischen DA-Anwender. Aber wir sind typische Menschen. Das gilt unabhängig davon, wie viele Menschen DA-Anwender waren.
Wir haben die Geburtsnummern von allen bisher geborenen Menschen. Wenn wir nun die Geburtsnummer eines dieser Menschen nach einem Kriterium herausgreifen, dann muss die Zufälligkeit dieses Auswahlverfahrens erst einmal belegt werden, wenn man den Anspruch erhebt, eine zufällige Auswahl getroffen zu haben.
Ja, das DA setzt voraus, dass man das gezogende Los als zufällig gezogen betrachten darf, ohne das zu beweisen. Allerdings macht man das immer: wenn ich jemandem sage, dass die Chance, im Lotto zu gewinnen, 1:10 Mio beträgt, dann fodert der auch nicht, zu beweisen, dass sein Lottoschein als zufällig unter allen Lottoscheinen gezogen betrachtet werden darf: das zeigt sich von allein, weil es ein Experiment ist, das man unzählige Male wiederholen kann. Beim DA kann man es nicht unzählige Male wiederholen, aber das ändert nichts daran, dass es am vernünftigsten ist, bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass man seine eigene Geburtsnummer als zufällig gezogen betrachten kann.
Und die Tätigung dieser Aussage fällt Dir nicht schwer, wenn Du Dir ansiehst, wie untypisch unsere Zeit, im Vergleich zur Vergangenheit ist?
Jede Zeit hatte das Gefühl, untypisch zu sein im Vergleich zur Vergangenheit...
Anderseits, selbst wenn wir diese Prämisse akzeptieren: wir wissen nicht, wie sich diese "Untypischheit" auf die Zukunft auswirkt: macht sie eine lange Zukunft für die Menschheit (bzw. viele künftige Geburten) wahrscheinlicher, oder weniger wahrscheinlich? Das hängt jetzt völlig von subjektiven Bewertungen verschiedener Trends (Technologie, Waffensysteme, Umweltverschmutzung, etc.) ab. Das DA ignoriert diese subjektiven Bewertungen und sagt: man kann in den meisten Situationen (oder auch: bis zum Beweis des Gegenteils) sagen, dass wir typisch sind. Und wenn die Menschheit auf eine lange, stabile Zukunft zusteuern würde, würde der typische Mensch eben in dieser langen, stabilen Zukunft leben. Das tun wir aber nicht. Also leben wir entweder (mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit) am Anfang dieser langen, stabilen Zukunft, oder aber es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine derart lange, stabile Zukunft.
Wie schon etliche Male in solchen Diskussionen erwähnt, muss die Nichtexistenz einer "langen stabilen Zukunft" keineswegs heissen, dass die Menschheit gleich ausstirbt. Es reicht z.B. auch, wenn es irgendwann in den nächsten Jahrhunderten zu einem Ende von neuen Geburten bzw. zu einem Ende der Entstehung neuer "Ichs" kommt (bzw. zu einem asymptotischen Abfall selbiger). Denn wie lange diese "Ichs" dann noch weiterexistieren, kann man mit dem DA nicht erfassen: selbst wenn wir persönlich eines Tages zu solchen langlebigen "Ichs" würden, leben wir zweifellos am Anfang dieser Entwicklung (sie hat ja noch gar nicht stattgefunden).
Und wenn ich mir die schnelle Entwicklung der Menschheit und ihrer Technologie in den letzten Jahrzehnten, Jahrhunderten anschaue, dann frage ich mich tatsächlich, warum viele hier so verbissen davon überzeugt sind, dass wir noch bis in alle erdenkliche Zukunft (bis in die Unendlichkeit, sogar, wenn es nach einigen geht) nach der alten Steinzeit-Methode Kinder (bzw. neue "Ichs") auf die Welt stellen werden und dazu noch neue Welten erobern und besiedeln (mit neuen "Ichs" füllen) werden. Technologie verändert den Menschen, und wir werden in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten mehr technologische Veränderungen durchmachen als alle Generationen vor uns. Insofern sollte man das DA eher als eine Anregung nehmen, solche simplen Extrapolationen zu hinterfragen, und uns zu fragen, was stattdessen kommen könnte. Wie erreichen wir den maximalen Wohlstand für alle, wenn die Anzahl der "Ichs" begrenzt ist? Welche Szenarien - auch bedrohliche, die es zweifellos auch gibt - könnte das für die Zukunft der Menschheit nahelegen, die wir in Betracht ziehen sollten?
Man kann es auch so sagen: die Frage nach den existenziellen Bedrohungen für die Menschheit ist vielleicht die ethischste und wichtigste aller Fragen überhaupt, die sich eine Zivilisation stellen kann. Der schweigende Himmel sollte uns eine Warnung sein.
Wenn Du hier eine physikalische Informationen miteinbeziehen willst, wie willst Du dann noch für die generelle Nichteinbeziehung andere physikalischer Informationen argumentieren?
Welche "physikalischen" Informationen zur Frage, wie lange es die Menschheit noch gibt willst du denn einbeziehen, und wie willst du die verschiedenen Informationen bewerten?
Unphysikalisch ist es deshalb, weil es die Verletzung von Erhaltungsgesetzen voraussetzt: Jeder Mensch braucht, um zu leben, eine bestimmte Menge an Energie. Genauer, er braucht einen Fluss von höherwertiger Energie (chemisch gespeichert), die er zu niederwertiger Energie (Wärme) umwandeln kann. Derjenige Teil des Universums, den wir erreichen können, ist endlich gross - wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Das heisst, selbst wenn Raum und Zeit unendlich sind, ist auch die Menge an (höherwertiger) Energie, die wir erreichen können, endlich. Es kann deshalb nur so viele Menschen geben, wie es braucht, um diese endliche Energiemenge vom höherwertigen Energiezustand (über den Umweg der chemisch gespeicherten Energie) in Wärme umzuwandeln. Und dann ist Schluss: mehr Menschen kann es nicht geben. Diese maximale Zahl von Menschen mag gigantisch gross sein, aber sie ist eben doch, endlich.