Large Hadron Collider: Eine Kraft jenseits des Standardmodells?

astronews.com Redaktion

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Jetzt vorgestellte Ergebnisse des Large Hadron Collider beauty-Experiments am CERN in Genf liefern neue Hinweise auf eine Abweichung gegenüber den theoretischen Erwartungen, die sich aus dem Standardmodell der Teilchenphysiker ergeben. Bestätigen sich die Resultate könnte dies auf die Existenz einer neuen fundamentalen Kraft hindeuten. (23. März 2021)

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Wolverine79

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"Doch die LHCb-Kollaboration verfügt über alle Voraussetzungen, um in Beauty-Quark-Zerfällen die mögliche Existenz von Effekten einer neuen Physik zu klären. Was wir dazu brauchen, sind viele weitere Messungen", so Serra.

Wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, beträgt im Moment die Wahrscheinlichkeit, dass die Daten mit der theoretischen Vorhersage übereinstimmen nur 0,1%. Oder andersrum ausgedrückt, die Wahrscheinlichkeit, dass man eine "Kraft jenseits des Standardsmodell" entdeckt hat, beträgt derzeit 99,9%. Allerdings sieht man das ganze erst als "sicher" an, wenn eine Wahrscheinlichkeit von 99,99997% erreicht wurde?

Seit 2014 ist man bis auf die erste Nachkommastelle gekommen. Heißt das, es dauert noch mal 7 Jahre, bis man die zweite Nachkommastelle erreicht hat (99,99%)? Oder was genau ist mit "viele weitere Messungen" gemeint? Lässt sich das in etwa abschätzen, wie lange das noch dauern wird?

Viele Grüße
Jens
 

TomS

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Vielleicht mal eine kurze Erklärung, um was es überhaupt geht.

Die Kopplung der Leptonen (Elektron, Myon, Tau) sowie die zugehörigen Neutrinos

$$ \ell = e, \mu, \tau $$

an die Eichbosonen (Photon gamma, Z, W) erfolgt über eine verallgemeinerte Ladung (im Falle der elektromagnetischen Kopplung eines Elektrons an das Photon handelt es sich um die bekannte elektromagnetische Ladung).


Die Kopplungsstärken für die Photon-, Z- und W-Vertices

$$ \gamma \to \ell + \bar{\ell} $$

$$ Z \to \ell + \bar{\ell} $$

$$ W^\pm \to \ell + \bar{\nu}_\ell $$

sind proportional zu

$$ g^\gamma_\ell, g^Z_\ell, g^W_\ell $$


Gemäß des Standardmodells sind die Werte für die Leptonen der drei Generationen identisch, d.h.

$$ g^\gamma_e = g^\gamma_\mu = g^\gamma_\tau $$

$$ g^\gamma_{\nu_e} = g^\gamma_{\nu_\mu} = g^\gamma_{\nu_\tau} $$

sowie analog für Z und W.


Für die Zerfallskonstanten Gamma der Zerfälle der Eichbosonen in Leptonen (exemplarisch für Z)

$$ Z \to e^- e^+ $$

$$ Z \to \mu^- \mu^+ $$

$$ Z \to \tau^- \tau^+ $$

folgt

$$ \Gamma_{Z \to e^- e^+} = \Gamma_{Z \to \mu^- \mu^+} = \Gamma_{Z \to \tau^- \tau^+} $$


Für Zerfälle von Mesonen wie das J (auch psi genannt)

$$ J \to e^- e^+ $$

$$ J \to \mu^- \mu^+ $$

$$ J \to \tau^- \tau^+ $$

gilt analog

$$ \Gamma_{J \to e^- e^+} = \Gamma_{J \to \mu^- \mu^+} = \Gamma_{J \to \tau^- \tau^+} $$


D.h. gemäß der Lepton-Universalität verhalten sich verwandte Leptonen der drei Generationen - mit Ausnahme der unterschiedlichen Masse - identisch.


Grob gesprochen untersucht man am LHC sogenannte Verzweigungs-Verhältnisse, d.h. wie oft eine gegebene Teilchensorte in verschiedene Endzustände zerfällt. Gemäß der o.g. Beziehungen folgt exemplarisch

$$ \frac{\Gamma_{J \to e^- e^+}}{\Gamma_{J \to \mu^- \mu^+}} = 1 $$

D.h. das J zerfällt gleich oft in Elektron-Positron sowie Myon-Antimyon-Paare.


Laut LHCb zeigt sich für bestimmte Zerfälle von B-Mesonen jedoch, dass entsprechende Verzweigungs-Verhältnisse den Wert Eins verletzen.
 
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Wolverine79

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Kann niemand einschätzen wie lange dieses "... viele weitere Messungen" noch dauern wird? Oder zumindest eine grobe Schätzung. Sprechen wir hier von einigen Monaten oder eher Jahren?
 

ralfkannenberg

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Kann niemand einschätzen wie lange dieses "... viele weitere Messungen" noch dauern wird? Oder zumindest eine grobe Schätzung. Sprechen wir hier von einigen Monaten oder eher Jahren?
Hallo Wolverine79,

es dürften wohl eher viele Jahre sein, wobei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sich die Messungen nicht bestätigen werden, sondern ein systematischer Fehler vorliegt. Und solche systematischen Fehler sind typischerweise gar nicht einfach aufzuspüren, das geht noch am einfachsten mit unabhängigen Experimenten.


Freundliche Grüsse, Ralf
 
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