Sterne auf heißen und kalten Bahnen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
5. Januar 2018
Die Bewegungen der Sterne in einer Galaxie verraten
Astronomen einiges über die Entwicklungsgeschichte des Systems. Auf Grundlage
von Daten, die im Rahmen der CALIFA-Himmelsdurchmusterung gewonnen wurden, haben
Forscher nun Geschwindigkeitskarten von 300 Galaxien erstellt. Daraus lässt sich
im Zweifelsfall auch ablesen, um was für eine Galaxie es sich eigentlich
handelt.
Vier Galaxien aus der CALIFA-Durchmusterung.
Die obere Reihe zeigt SDSS-Bilder der Galaxien.
Die mittlere Reihe zeigt eine Karte der mittleren
Sterngeschwindigkeit innerhalb der Galaxie; in
den blauen Regionen bewegen sich die Sterne im
Durchschnitt auf uns zu, in roten Regionen
bewegen sie sich von uns weg. Die unterste Zeile
zeigt, ob die Bewegung gleichförmig oder gemischt
ist – ob also die betreffenden Sterne im
wesentlichen der Durchschnittsbewegung folgen
oder ob es deutliche Abweichungen vom
Durchschnitt gibt.
Bild: CALIFA-Team / L. Zhu (MPIA) [Großansicht] |
Sternbewegungen in einer Galaxie sind wie ein Geschichtsbuch, das
dokumentiert, wie sich die Galaxie im Laufe der Zeit entwickelt hat. Jetzt hat
eine Gruppe von Astronomen die erste repräsentative Bibliothek solcher
Galaxien-Geschichtsbücher zusammengestellt. Die dafür ausgewerteten Daten zeigen
die Vielfalt der Entwicklungsgeschichten der untersuchten 300 Galaxien. Damit
können Astronomen, die Simulationen der kosmische Geschichte durchführen, ihre
Simulationen nun mit einer großen Anzahl systematischer Beobachtungen
vergleichen.
Für Sterne in Galaxien gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten von
Bewegungen. Einige der Sterne umkreisen das Zentrum der Galaxie in geordneter
Weise – genau wie unsere Sonne und Milliarden anderer Sterne, die das Zentrum
unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, innerhalb einer flachen Scheibe
umkreisen. Andere Sterne in anderen Galaxien haben dagegen zufällig orientierte,
langgestreckte Bahnen.
Eine Gruppe von Forschern unter der Leitung von Ling Zhu vom
Max-Planck-Institut für Astronomie konnte jetzt anhand von Daten aus einer groß
angelegten Durchmusterung die typischen Umlaufbahnen von Sternen in Hunderten
von Galaxien bestimmen. Die Eigenschaften dieser Bahnen dokumentieren, wie die
betreffende Galaxie entstanden ist, und sie erlauben es, Modelle der
Galaxienbildung auf die Probe zu stellen. Die Daten sind Teil der
CALIFA-Durchmusterung, einer systematischen spektroskopischen Untersuchung von
über 600 Galaxien, die mit dem PMAS-Spektrographen am 3,5-Meter-Teleskop des
Calar Alto Observatory in Spanien durchgeführt wurde.
Als Teil der Untersuchung erstellten die Astronomen Geschwindigkeitskarten
von 300 Galaxien, die zeigen, wie sich Sterne in verschiedenen Regionen der
Galaxie auf uns zu oder von uns weg bewegen. Die Forscherinnen und Forscher
unterschieden dabei zwischen nahezu kreisrunden Stern-Umlaufbahnen, die sie als
"kalte Bahnen" bezeichnen, und stark verlängerten "heißen Bahnen", die für die
zufällige, ungeordnete Bewegung von Sternen typisch sind.
Durch den Vergleich ihrer Daten mit geeigneten Modellen konnten die Forscher
zeigen, dass in weniger massereichen Galaxien, mit einer Gesamtmasse von bis zu
zehn Milliarden Sonnenmassen, überwiegend kalte Bahnen zu finden sind. In den
größten Galaxien, mit über 100 Milliarden Sonnenmassen, herrschen dagegen heiße
Bahnen vor. Insgesamt befinden sich die Sterne der meisten Galaxien auf "warmen"
Bahnen zwischen den beiden Extremen.
Diese Bewegungsmuster enthalten Informationen über die Entstehungsgeschichte
einer Galaxie. Galaxien wachsen über Milliarden von Jahren, indem sie mit
anderen Galaxien verschmelzen. Hat eine Galaxie zwar wiederholt kleinere
Galaxien "verschluckt", ist aber nie mit einer anderen Galaxie von ähnlicher
Größe wie sie selbst verschmolzen, dann weist sie typischerweise eine flache,
rotierende Scheibe von Sternen auf. Unsere eigene Heimatgalaxie, die
Milchstraße, ist eine solche Scheibengalaxie.
Verschmelzen dagegen zwei Galaxien mit etwa gleicher Masse, dann entsteht
eine sogenannte elliptische Galaxie, mit einem Wirrwarr von Sternbahnen, die in
viele unterschiedliche Richtungen ausgerichtet sind. Aufgrund der gemeinsamen
Rotation ihrer Scheibensterne haben Scheibengalaxien einen höheren Anteil an
kälteren Sternumlaufbahnen. Die Astronomen stellten außerdem fest, dass es sich
bei den durcheinander gewürfelten Bahnen innerhalb elliptischer Galaxien nicht
um kreisförmige Bahnen in verschiedenen Ausrichtungen handelt, sondern ganz
überwiegend um langgestreckte, heiße Bahnen.
Anhand der Sternbahnen lässt sich daher zwischen Scheibengalaxien und
elliptischen Galaxien unterscheiden – auch in Fällen, in denen bloße Bilder der
Galaxien keine eindeutige Beurteilung zulassen. Anders ausgedrückt: Durch die
Messung von Sternumlaufbahnen können die Forscher erkennen, ob die Vergangenheit
einer Galaxie eine ruhige Abfolge kleinerer Verschmelzungen war oder ob sie von
einer gewaltigen großen Galaxienverschmelzung geprägt wurde.
Die Forscher hatten damit eine neuartige und genaue Methode gefunden, um die
Geschichte einer Galaxie abzulesen. Für Forscher, die die Entstehung und
Entwicklung von Galaxien simulieren, sind die neuen Ergebnisse eine Fundgrube
neuer Beobachtungsdaten, mit denen ihre Simulationen vereinbar sein müssen.
Die CALIFA-Durchmusterung war von Anfang an so geplant worden, dass sie eine
repräsentative Stichprobe von Galaxien liefert. Mithilfe der neuen Daten können
Astronomen, die die kosmische Geschichte simulieren, jetzt direkt nachprüfen, ob
ihre Simulationen die richtigen Vorhersagen für die Häufigkeit von heißen,
kalten und warmen Bahnen bei Galaxien unterschiedlicher Massen liefern oder
nicht.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
in Nature Astronomy erschienen ist.
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