Rätsel um seltsamen Meteoriten-Aufbau gelöst
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bayreuth astronews.com
28. Juni 2017
Wissenschaftler haben eine Erklärung für den scheinbar
widersprüchlichen Aufbau von Mond- und Mars-Meteoriten gefunden. Diese enthalten
nämlich manchmal auf engstem Raum Minerale, deren Entstehungsbedingungen sich
stark unterscheiden. Diese Bedingungen scheinen zudem oft auch nicht zum
Ursprung der Brocken zu passen.
Modell der Kristallstruktur von Cristobalit
X-I. Diese Hochdruckphase von Cristobalit setzt
sich zusammen aus zwei Schichten (grün und blau),
jede von ihnen besteht aus Si₆O.
Bild: Leonid Dubrovinsky [Großansicht] |
Wenn Asteroiden oder Kometen auf dem Mond oder dem Mars aufprallen, entstehen
hohe Drücke und Temperaturen, die das vom Einschlag getroffene Gestein
schockartig verändern. Zuweilen werden dabei einzelne Brocken des veränderten
Gesteins zur Erde geschleudert. Viele dieser Meteorite haben der Wissenschaft
vor allem aus zwei Gründen Rätsel aufgegeben: Zum einen enthalten sie Seifertit,
ein Mineral, das sich unter extrem hohen Drücken aus Siliziumdioxid bildet.
Asteroiden- oder Kometen-Einschläge, die derart hohe Drücke erzeugen, müssten so
heftig sein, dass größere Bereiche des Mond- und Marsgesteins dadurch
aufgeschmolzen oder zertrümmert werden. Doch von solchen Katastrophen ist der
Forschung nichts bekannt. Zum anderen befindet sich oftmals direkt neben dem
Seifertit das Mineral Cristobalit, das bei deutlich geringeren Drücken aus
Siliziumdioxid entsteht.
Den Wissenschaftlern am Bayerischen Geoinstitut (BGI) der Universität
Bayreuth ist es jetzt gelungen, diesen seltsamen Meteoriten-Aufbau zu erklären.
An der Röntgenlichtquelle PETRA III des DESY in Hamburg sowie an der
Europäischen Synchrotronquelle ESRF in Grenoble haben sie Cristobalit-Proben
einer intensiven Bestrahlung und hohen Drücken von bis zu 83 Gigapascal
ausgesetzt – dies entspricht ungefähr dem 820.000-fachen Druck der
Erdatmosphäre. Die Beugungsmuster des Röntgenlichts zeigten, wie sich das
Mineral bei unterschiedlichen Drücken veränderte.
Als entscheidend erwies sich der Unterschied zwischen einem hydrostatischen
Druck, der das Mineral aus allen Richtungen mit gleicher Stärke zusammenpresst,
und einem nicht-hydrostatischen Druck, der ungleichmäßig auf das Mineral
einwirkt und darin starke Spannungen erzeugt. Die Ergebnisse haben die Forscher
überrascht: Ein hoher nicht-hydrostatischer Druck verwandelt Cristobalit
dauerhaft in Seifertit – und zwar auch dann, wenn er schwächer ist als der
äußerst hohe Druck, der nötig wäre, um Seifertit direkt aus Siliziumdioxid zu
formen.
Wird Cristobalit dagegen einem hohen Druck ausgesetzt, der von der
Gleichmäßigkeit eines hydrostatischen Drucks nur geringfügig abweicht, nimmt das
Mineral eine neue Kristallstruktur an. Diese Struktur, Cristobalit X-I, war
zuvor noch bei keinem Silikat beobachtet worden. Sobald der
"quasi-hydrostatische" Druck absinkt, fällt Cristobalit in seine ursprüngliche
Struktur zurück.
Mit diesen Erkenntnissen lässt sich das Rätsel der Meteorite leicht auflösen:
Der darin enthaltene Seifertit muss kein Produkt extremer Einschläge sein, die
für Mond und Mars dramatische Folgen gehabt hätten. Er kann sich auch, bei
weniger heftigen Einschlägen, unter geringeren – wenngleich immer noch hohen –
nicht-hydrostatischen Drücken aus Cristobalit gebildet haben.
"Der an Seifertit angrenzende Cristobalit lässt sich gut als ein unter
sinkendem Druck entstandenes Rückfallprodukt aus Cristobalit X-I erklären.
Cristobalit X-I hat sich nur vorübergehend unter quasi-hydrostatischem Druck
gebildet", erklärt Dr. Ana Černok vom Bayerischen Geoinstitut (BGI) an der
Universität Bayreuth, die zurzeit als Marie Curie Fellow an der Open
University in Großbritannien arbeitet. "Die Annahme, dass sowohl
nicht-hydrostatische als auch quasi-hydrostatische Drücke auf engstem Raum
entstehen, wenn Mond, Mars oder andere Planeten schockartig von Einschlägen
getroffen werden, stimmt mit den bisherigen Ergebnissen der Meteoritenforschung
gut überein", ergänzt Prof. Dr. Dr. h.c. Leonid Dubrovinsky.
Der Bayreuther Wissenschaftler betont, dass die neuen Erkenntnisse
grundsätzliche Bedeutung für die Meteoritenforschung haben: "Mineralien wie
Cristobalit und Seifertit erlauben, für sich genommen, keine eindeutigen
Rückschlüsse auf die Entstehung der Meteoriten. Unsere Messungen zeigen, dass
gleiche Kristalle sehr unterschiedliche Entstehungsgeschichten haben können.
Zudem ist deutlich geworden, dass es neben der Höhe von Drücken und Temperaturen
einen weiteren wichtigen Faktor gibt, der verstärkt in die Analysen von
Meteoriten einbezogen werden sollte: die zum Teil äußerst hohen mechanischen
Spannungen, die als Folge unterschiedlicher Druckzonen an der Gesteinsbildung
beteiligt sind."
Cristobalit ist nach dem Vulkan San Cristobal in Mexiko benannt, wo das 1884
erstmals beschriebene Gestein gefunden wurde. Namenspatron des Seifertit ist der
Bayreuther Mineraloge Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich Seifert, Gründer und
langjähriger Direktor des Bayerischen Geoinstituts. Prof. Dr. Ahmed El Goresy am
Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz hatte das Mineral zuerst in
Marsmeteoriten entdeckt. Auf seinen Vorschlag hin entschied sich die
Internationale Mineralogische Gesellschaft (IMA) im Jahr 2004 für den Namen "Seifertit".
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift Nature Communications erschienen ist.
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