Geschicklichkeitstests mit Kosmonauten
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
10. November 2016
In der Schwerelosigkeit haben Astronauten offenbar nicht
dieselbe Geschicklichkeit wie auf der Erde. Warum dies so ist, wissen
Raumfahrtmediziner bislang nicht. Um die Ursache zu finden und eventuell auch
Gegenmaßnahmen entwickeln zu können, haben drei Kosmonauten auf der ISS nun mit
Experimenten mit dem Kontur-2-Joystick des DLR begonnen.
Andrei Borissenko testet den
Kontur-2-Joystick des DLR-Instituts für Robotik
und Mechatronik.
Foto: Roskosmos [Großansicht] |
In der Schwerelosigkeit erreicht der Mensch nicht immer dieselbe
Geschicklichkeit wie auf der Erde - nicht einmal mit Übung. Ein Phänomen, das in
der bemannten Raumfahrt bekannt, aber nicht entschlüsselt ist: Was ist der Grund
für die verminderte Hand-Auge-Koordination im All, und wie können
Leistungseinbußen ausgeglichen werden?
Zusammen mit Kosmonauten auf der Internationalen Raumstation ISS haben
Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) deshalb
eine achtwöchige Experimentreihe gestartet. Hierbei kommt der Kontur-2-Joystick
des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik zum Einsatz, der sich seit Juli
2015 auf der ISS befindet.
Das System ist kraftreflektierend und ermöglicht dank Telepräsenz-Technologie
die feinfühlige Fernsteuerung von robotischen Systemen, so als ob der Bediener
selbst vor Ort wäre. Letztes Jahr wurden mehrere Experimente zur Steuerung von
Robotern auf der Erde mit dem Kontur-2-Joystick auf der ISS erfolgreich
abgeschlossen. Zuletzt konnte das Projektteam im Dezember 2015 mit einem
feinfühligen "Tele-Handshake" zwischen ISS und Erde diese Technologie
erfolgreich demonstrieren.
Ganz besonders kritisch ist die Leistungsfähigkeit der Hand-Auge-Koordination
bislang beim manuellen Andocken der Sojus an die ISS. Fällt das
automatische System aus, muss das Raumschiff über das TORU-System mit zwei
Joysticks gesteuert werden - ein extrem schwieriges Manöver, das jahrelanges
Training der Astronauten erfordert. Eine weitere aktuelle Anwendung, die
Geschicklichkeit erfordert, betrifft die Steuerung des Canadarms - der
Roboterarm an der Außenwand der ISS.
Da robotische Systeme und Telepräsenz-Technologien in der Raumfahrt eine
immer größere Rolle spielen, ist auch die Bedienungsfähigkeit des Menschen
künftig stärker gefragt. "Von der neuen Kontur-2-Studie erwarten wir
uns wichtige Hinweise zum besseren Verständnis der menschlichen Sensomotorik
unter Bedingungen der Schwerelosigkeit. Dies ist ein unverzichtbarer Aspekt, um
zukünftige Telepräsenz- oder Telerobotiksysteme sicher und effizient zu bedienen
und somit unsere Vision der planetaren Exploration Realität werden zu lassen",
erklärt Projektleiter Dr. Bernhard Weber vom DLR-Institut für Robotik und
Mechatronik.
Die Experimentreihe zielt darauf ab, jeden Bewegungsaspekt isoliert
betrachten und analysieren zu können. Dazu haben Weber und seine Kollegen eine
Computersimulation mit möglichst einfachen Aufgaben entwickelt: Die Kosmonauten
sollen mit dem Joystick einen Cursor auf einem Bildschirm steuern und führen
diverse Ziel- und Folgeaufgaben aus. Getestet werden die Leistungen bei
Positionssteuerung, Geschwindigkeitssteuerung und vor allem die Auswirkungen der
unterschiedlichen Joystick-Einstellungen. Denn über die Kraftrückkopplung kann
die Dämpfung, Steifigkeit und Masse des Joysticks in verschiedenen
Intensitätsgraden geregelt werden. Durch die optimale Einstellung des Joysticks
erhofft man sich eine Verbesserung der Sensomotorik in der Schwerelosigkeit.
Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, sind an der Studie gleich mehrere
Kosmonauten beteiligt: Andrei Borissenko, Sergey Ryschikow und Oleg Novitsky
führen über denselben Zeitraum von acht Wochen dieselben Aufgaben mehrmals in
unterschiedlicher Reihenfolge durch. Die terrestrischen Vortests haben die
Probanden dabei schon absolviert. Das Kontur-2-Team hatte sich dazu im
Juli mit den drei Kosmonauten getroffen und die Experimente im
Gagarin-Kosmonauten-Trainingszentrum in Moskau durchgeführt, um mögliche
Leistungseinbußen in der Schwerelosigkeit genau bestimmen zu können.
Nun haben Andrei Borissenko und Sergey Ryschikow ihre ersten Sessions
erfolgreich an Bord der ISS durchgeführt und werden die Experimentreihe bis Ende
Dezember fortsetzen. Die Erkenntnisse helfen den DLR-Wissenschaftlern, die
Ursachen für die verminderte Hand-Auge-Koordination zu klären, Lösungsansätze
für einen möglichen Ausgleich zu erarbeiten und Telepräsenz-Technologien wie den
Kontur-2-Joystick weiter für den Einsatz im Weltraum zu optimieren.
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