Alter Riesenstern erweist sich als Jungspund
von Stefan Deiters astronews.com
30. August 2016
Mehrere Jahre lang hielt man einen rund 12.000 Lichtjahre
entfernten Stern für einen alten roten Überriesen mit einigen Besonderheiten.
Nun haben Astronomen Infrarotbeobachtungen ausgewertet und dabei eine
überraschende Entdeckung gemacht: Bei dem vermeintlich alten Stern dürfte es
sich eher um einen jungen Protostern handeln.
Blick auf IRAS 19312+1950 (heller Stern in
der Bildmitte). Die Daten stammen vom
NASA-Infrarot-Weltraumteleskop Spitzer.
Bild: NASA / JPL-Caltech [Großansicht] |
Der Stern IRAS 19312+1950 befindet sich etwa 12.000 Lichtjahre von der Erde
entfernt und war den Forschern zunächst bei Radiobeobachtungen aufgefallen.
"Astronomen waren auf das Objekt um das Jahr 2000 aufmerksam geworden und haben
seitdem versucht herauszufinden, in welchem Entwicklungszustand es sich
eigentlich befindet", erläutert Martin Cordiner, ein Astrochemiker, der am
Goddard Space Flight Center der NASA arbeitet.
Bei dem Objekt schien es sich um einen sauerstoffreichen Stern mit etwa der
10-fachen Masse unserer Sonne zu handeln. Die meisten Astronomen hielten IRAS
19312+1950 für einen verhältnismäßig alten Stern, der den größten Teil seiner
Entwicklung bereits hinter sich hat. Ein Hinweis darauf war die Entdeckung von
sogenannten Masern, das Mikrowellen-Äquivalent eines Lasers. Die bei IRAS
19312+1950 beobachteten Maser hatte man bislang fast ausschließlich bei älteren
Sternen nachweisen können.
Doch es gab auch Beobachtungen, die gegen einen alten Stern sprachen: So war
der Stern von einer gewaltigen Wolke an Material umgeben, in der sich eine bunte
Mischung der verschiedensten chemischen Verbindungen fand. Solche Wolken gibt es
in der Regel in Sternentstehungsregionen, doch war rund um den Stern keine
dieser stellaren Kinderstuben auszumachen. Handelte es sich also um einen alten
Stern, der von einer sehr untypischen Wolke umgeben war? Oder hatte die Wolke
vielleicht gar nichts mit dem Stern zu tun und lag nur zufällig im Gesichtsfeld?
Cordiner und seine Kollegen wollten versuchen, das Rätsel um IRAS 19312+1950
zu klären. Sie führten Beobachtungen mit dem ESA-Teleskop Herschel
durch und werteten Archivdaten des NASA-Teleskops Spitzer aus. Bei
beiden handelt es sich um Infrarot-Weltraumteleskope. Die Beobachtungen
verrieten den Astronomen etwas mehr über die Beschaffenheit der Wolke um den
Stern.
Das Objekt erwies sich als deutlich heller, als man bislang angenommen hatte.
Außerdem entdeckte das Team größere Mengen an Eis aus Wasser und Kohlendioxid in
der Wolke um den Stern. Dieses Eis befindet sich auf Staubkörnern in relativer
Nähe zum Stern. Der Staub und das Eis verschlucken einen Teil der Strahlung des
Sterns und lassen diesen so lichtschwächer erscheinen, als er tatsächlich ist.
Die Wolke scheint außerdem zu kollabieren und eine Gesamtmasse von der 500-
bis 700-fachen Masse der Sonne zu haben. Bei einem alten Stern würde man
erwarten, dass er Material ins All hinausbläst. Auch die Menge an Material in
der Wolke ist zu groß, um von einem alten Stern erzeugt worden zu sein.
"Wir glauben, dass es sich hier um einen stellaren Embryo handelt, der sich
langsam dem Ende der Phase nähert, in der er noch Material aufsammelt", so
Cordiner. Die Forscher entdeckten auch zwei enggebündelte Ströme aus Gas, die
mit einer Geschwindigkeit von mindestens 90 Kilometern pro Sekunde ins All
schießen. Auch dies passt gut zu einem Protostern.
Ein typischer junger Stern dürfte IRAS 19312+1950 hingegen nicht sein, da er
ja auch Eigenschaften aufweist, die man eher von alten Sternen kennt. "Es spielt
keine Rolle, wie dieses Objekt aussieht, es ist faszinierend und kann uns etwas
Neues über den Lebenszyklus von Sternen verraten", so Teammitglied Steven Charnley vom Goddard Space Flight Center.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist.
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