Uhrenvergleich über Ländergrenzen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt astronews.com
15. August 2016
Eine exakte Zeitmessung ist wichtig für Experimente in der
Grundlagenphysik, Astronomie und Geowissenschaft. Bislang waren die genauesten
Uhren allerdings nur lokal nutzbar. Doch dies hat sich geändert: Die optischen
Atomuhren in Deutschland und Frankreich sind nun mit Glasfaserkabeln
verbunden. Dies eröffnet der Forschung neue Möglichkeiten.
Blick auf Europa: Französische und deutsche
Atomuhren sind seit kurzem durch ein
Glasfaserkabel verbunden.
Bild: ESA/VITO [Großansicht] |
Optische Atomuhren haben in den letzten Jahren spektakuläre Fortschritte
gemacht. Sie sind 100-mal genauer als die besten Cäsium-Atomuhren. Leider ist
diese Genauigkeit bisher nur lokal nutzbar, denn die herkömmliche
Übertragungstechnik per Satellit verursacht eine zu hohe Frequenzunsicherheit.
Ein neuer direkter "Draht" zwischen Frankreich und Deutschland ändert dies
jetzt: Über eine 1400 Kilometer lange Glasfaserstrecke zwischen Braunschweig und
Paris lassen sich hochgenaue Frequenzen sozusagen auf die Reise schicken.
In diesen Städten betreiben die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) und
das Institut Systèmes de Référence Temps-Espace (LNE-SYRTE) die
genauesten optischen Uhren Europas. Ebenfalls am Uhrenvergleich beteiligt ist
das französische Laboratoire de Physique des Lasers (LPL). Ein erster
Vergleich zwischen den optischen Strontiumuhren der Partnerinstitute lieferte
den Beweis, dass die Verbindung tatsächlich mit der gewünschten Qualität
funktioniert.
Gleichzeitig stellt diese Messung den ersten Frequenzvergleich optischer Uhren
über Ländergrenzen hinweg mit einer bisher unerreicht kleinen relativen
Unsicherheit von 5 mal 10–17 dar. Damit wird ein europäisches
Netzwerk optischer Uhren denkbar. Dieses könnte in Zukunft ultragenaue optische
Referenzfrequenzen beispielsweise für die Grundlagenphysik, die Astronomie und
die Geowissenschaften zur Verfügung stellen. Über ihre Ergebnisse berichten die
Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe von Nature Communications.
Der
Vergleich von sehr genauen Uhren ermöglicht äußerst empfindliche Messungen, etwa
für die Suche nach möglichen zeitlichen Änderungen von Naturkonstanten. Der Gang
einer Uhr kann aber auch für die Messung des lokalen Gravitationspotenzials
genutzt werden: Ein Vergleich zwischen zwei Uhren ergibt – über die gemessene
Gravitationsrotverschiebung – die Höhendifferenz zwischen den Uhren, also
Stützpunkte für die Referenzfläche der Geodäten, das sogenannte Geoid der Erde.
Dieser Forschungsansatz wird beispielsweise im DFG-Sonderforschungsbereich 1128
("geo-Q") von Physikern und Geodäten gemeinsam verfolgt.
Die genauesten
Atomuhren basieren heutzutage auf optischen Übergängen. Diese optischen Uhren
können eine stabile Frequenz mit einer relativen Unsicherheit von wenigen 10–18
liefern. Somit sind sie etwa 100-mal genauer als die besten Cäsium-Fontänenuhren,
die zurzeit die SI-Einheit Sekunde realisieren. Doch Vergleiche, bei denen
Frequenzen optischer Uhren per Satellit übertragen werden, stoßen bei einer
Frequenzunsicherheit von 10–16 an ihre Grenzen.
Vor diesem
Hintergrund haben schon seit Jahren Wissenschaftler in der PTB und an zwei
französischen Instituten in Paris an einer Glasfaserverbindung zwischen dem
deutschen und dem französischen nationalen Metrologieinstitut, also der PTB und
dem LNE-SYRTE, gearbeitet. Jetzt ist die 1400 Kilometer lange Strecke fertig.
Sie beruht auf kommerziellen Glasfasern, bei denen Frequenzverschiebungen um bis
zu 6 Größenordnungen aktiv unterdrückt und Leistungsverluste von 200 dB (10–20)
mit speziellen Verstärkern ausgeglichen werden. So können optische Signale mit
sehr hoher Stabilität hindurchgeleitet werden.
Der deutsche Teil der
Strecke nutzt kommerziell angemietete Glasfasern und Einrichtungen des Deutschen
Forschungsnetzes (DFN). Der französische Teil nutzt das Netz des Bildungs- und
Forschungsministeriums RENATER, das von GIP RENATER betrieben wird. Etwa in der
Mitte der Strecke, im IT-Zentrum der Universität Straßburg, treffen sich die
Signale aus dem LNE-SYRTE und der PTB, sodass die Uhren der beiden Institute
dort miteinander verglichen werden können.
Dass die Strecke tatsächlich die hohen Erwartungen erfüllt, zeigte sich beim
ersten Vergleich der beiden optischen Strontium-Gitteruhren von PTB und
LNE-SYRTE. Bereits nach einer Mittelungszeit von nur 2000 Sekunden lag die
Frequenzschwankung bei weniger als 2 mal 10–17, und diese zeigt die
hohe Stabilität der Uhren. Die Strecke selbst erlaubt schnelle Uhrenvergleiche
mit einer Unsicherheit von weniger als 10–18. Da beide Uhren auf
demselben atomaren Übergang basieren, sollten sie theoretisch exakt die gleiche
Frequenz liefern. Doch ihre Standorte haben eine Höhendifferenz von 25 Metern,
die sich durch eine Gravitationsrotverschiebung ausdrückt. Tatsächlich konnte
das innerhalb der kombinierten Unsicherheit der Uhren von 5 mal 10–17
bestätigt werden.
Die Partner sehen diese erfolgreiche Zusammenarbeit als
einen wichtigen ersten Schritt in Richtung auf ein europäisches Netzwerk von
glasfaserverbundenen optischen Uhren, an dem sich sukzessive weitere europäische
Metrologieinstitute mit ihren optischen Uhren beteiligen könnten. Das dürfte
ihnen eine führende Rolle auf dem Gebiet der Verbreitung von optischen
Referenzfrequenzen einbringen. Langfristig könnte ein solches Netzwerk den
verschiedensten Nutzern ultrastabile und hochgenaue optische Referenzsignale
liefern, wie sie zurzeit nur in Metrologieinstituten verfügbar sind.
Davon könnten verschiedene Forschungsgebiete profitieren: unter anderem die
Grundlagenphysik für Tests der fundamentalen Gesetze der Physik, die
Geowissenschaften und nicht zuletzt auch die Metrologie. Damit ist auch ein
weiterer Schritt getan, um auf dem Weg zu einer Neudefinition der Sekunde
optische Uhren an der Realisierung der weltweiten Zeitskala zu beteiligen.
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