Eine Software für das Überleben im All
Redaktion
/ Pressemitteilung der Technischen Universität München astronews.com
12. April 2016
Wie kann man eigentlich sicherstellen, dass
Lebenserhaltungssysteme an Bord von Raumschiffen und Raumstationen so
funktionieren wie vorgesehen und nicht etwa andere wichtige Systeme stören?
Eine Möglichkeit sind komplexe Simulationen mit einer extra dafür entwickelten
Software. In München ist mit Virtual Habitat ein solches Programm
entwickelt worden.
Leben auf der ISS funktioniert nicht ohne
Systeme zur Lebenserhaltung.
Foto: NASA [Großansicht] |
Der Weltraum ist wohl die lebensfeindlichste Umgebung, die wir kennen.
Trotzdem leben Menschen dort - auf der Internationalen Raumstation ISS, mithilfe
von dort installierten Lebenserhaltungssystemen. Forscherinnen und Forscher der
Technischen Universität München (TUM) haben eine Software entwickelt, mit deren
Hilfe diese Systeme simuliert werden können.
Im Kinofilm "Der Marsianer" bleibt der Raumfahrer Mark Watney alleine auf dem
Mars zurück. Schnell wird deutlich, wie abhängig sein Überleben von den
Lebenserhaltungssystemen ist. Er benötigt Sauerstoff, Trinkwasser, Nahrung,
Normaldruck und Wärme. Nichts davon liefert ihm der Rote Planet.
Im Weltraum sind die Bedingungen sogar noch extremer. Trotzdem plant die NASA
auf lange Sicht Missionen, bei denen Raumfahrer über mehrere Wochen oder Monate
unterwegs wären, etwa zu einem Asteroiden oder sogar zum Mars. "Eine
entscheidende Frage dabei ist: Laufen die Lebenserhaltungssysteme über diesen
langen Zeitraum stabil?", erklärt Claas Olthoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Lehrstuhl für Raumfahrttechnik der TUM. Wechselwirkungen mit anderen Systemen
oder auch unvorhergesehene Störungen und Ausfälle müssen berücksichtigt werden.
Seit 2006 arbeiten Wissenschaftler am Lehrstuhl an der Software "Virtual
Habitat", die genau diese Probleme berechnen kann. Mit "V‑HAB" simulieren die
Forscher Modelle von der Größe eines Raumanzugs bis hin zu einer mit zehn Mann
besetzten Mondbasis. Sogar jahrelange Missionen werden berechnet. Der Vorteil
des Tools: Es sind bereits zahlreiche funktionsfähige
Lebenserhaltungstechnologien programmiert und es können Wechselwirkungen
zwischen verschiedenen Systemen berechnet werden.
Ein Kernbestandteil der Software ist ein Modell des menschlichen Körpers,
denn die Menschen liefern unter anderem Kohlendioxid und Urin. Dies sind die
Ausgangstoffe, die das Lebenserhaltungssystem wiederum verarbeiten kann. Durch
eine chemische Reaktion mit Wasserstoff entsteht aus dem Kohlendioxid Methangas
und Wasser. Das Lebenserhaltungssystem pumpt das Methan über Bord, das Wasser
steht dann wieder den Raumfahrern zur Verfügung und kann als Trinkwasser oder
zur Produktion von Sauerstoff durch Elektrolyse verwendet werden. Auch Urin kann
in Trinkwasser umgewandelt werden. Diese Wechselwirkungen zwischen Mensch und
Maschine sind sehr komplex und V‑HAB versucht möglichst viele davon abzubilden.
Die Software wird ständig weiterentwickelt und mit Modellen von
verschiedensten Systemen ergänzt; von einem Radiator zur Kühlung von Raumanzügen
bis hin zu Algenkulturen für die Nahrungsproduktion. Während seines
Studien-Aufenthalts am Johnson Space Center der NASA in Houston hatte
Masterstudent Daniel Pütz etwa die Gelegenheit, den Einbau eines neuen
Lebenserhaltungssystems auf der Internationalen Raumstation (ISS) mithilfe von
"V‑HAB" zu simulieren und so weitere Funktionen zu programmieren und zu testen.
Momentan sind sowohl ein amerikanisches als auch ein russisches
Lebenserhaltungssystem auf der ISS installiert. Nun soll ein europäisches
dazukommen. Die Weltraumagentur ESA ließ das sogenannte Advanced Closed Loop
System (ACLS) entwickeln. Durch eine enge Verbindung zwischen den einzelnen
Sub-Systemen ist es kompakter und somit platzsparend. 2017 wird es mit einem
japanischen Raumschiff zur ISS gebracht und ins amerikanische Labormodul
Destiny zu Testzwecken eingebaut.
Doch ein neues System birgt auch immer Risiken, erklärt Olthoff. Denn es kann
die bestehenden Systeme beeinflussen oder sogar stören. Da ACLS eine andere
Technologie zur CO2-Filterung benutze als die bereits installierten
Systeme, bestehe hier insbesondere die Gefahr, dass mehr Wasserdampf in die Luft
gelange. Auf der Raumstation muss die Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 60
Prozent liegen. Ein höherer Wert wäre gefährlich, da sich an schlecht belüfteten
Stellen Schimmel bilden könnte.
Wie Pütz durch die Simulationen herausfand, können die vorhandenen
Filterungssysteme die höhere Feuchtigkeit, die durch das System produziert wird,
ohne Schwierigkeiten ausgleichen. Auch die anderen Werte bewegen sich im grünen
Bereich. "V-HAB" wurde bereits von der NASA zur Analyse einer Asteroidenmission
genutzt, und daher stehen die Chancen gar nicht so schlecht, dass die Software
auch in Zukunft für die Berechnung von geplanten Langzeitmissionen eingesetzt
wird. Und so den echten "Marsianern" vielleicht einen Überlebensvorteil
verschafft.
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