Haare aus Dunkler Materie um die Erde?
von Stefan Deiters astronews.com
24. November 2015
Aus was die mysteriöse Dunkle Materie besteht, weiß man bis
heute nicht. Sollte es sich dabei aber, wie viele Theorien vermuten, um einen
bestimmten Typus von Partikeln handeln, müssten diese in langen Strömen durch
unsere Galaxie fließen. Jetzt hat ein Forscher ausgerechnet, was passiert, wenn
so ein Strom auf die Erde oder den Jupiter trifft. Es hätte faszinierende
Konsequenzen.
Gibt es rund um die Erde "Haare" aus Dunkler
Materie? Nach den jetzt veröffentlichten
Ergebnissen einer Simulation erscheint dies
möglich.
Bild: NASA/JPL-Caltech [Großansicht] |
Dunkle Materie ist zwar unsichtbar, macht aber, davon sind zumindest viele
Wissenschaftler überzeugt, bis zu 27 Prozent der Gesamtmasse und Gesamtenergie des
Universums aus. Die normale Materie, die wir in Form von Sternen oder Gas um uns
herum sehen, bringt es nur auf etwa fünf Prozent, für den großen Rest ist die
noch mysteriösere Dunkle Energie verantwortlich, die für die beschleunigte
Expansion des Universums sorgt.
Doch auch wenn man die Dunkle Materie nicht sehen kann und bislang kein direkter
Nachweis gelungen ist, haben Astronomen sehr gute Gründe dafür, von ihrer Existenz
überzeugt zu sein. Die Dunkle Materie macht sich nämlich durch ihre gravitative
Anziehungskraft bemerkbar und beeinflusst so auch die Bewegung der sichtbaren
Materie.
Die meisten Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass es sich bei der Dunklen
Materie um eine bestimmte Art von bislang noch nicht nachgewiesenen
Elementarteilchen handelt, die man als "kalte Dunkle Materie" zusammenfasst -
kalt, weil sich die Partikel relativ langsam im Vergleich zur
Lichtgeschwindigkeit bewegen. Beispiele für Partikel der kalten Dunklen Materie
sind etwa sogenannte WIMPS, was für Weakly Interacting Massive Particles
steht. Modelle zur Galaxienentstehung berücksichtigen
diese kalte Dunkle Materie.
Material für die Entstehung von Galaxien sammelt sich danach an Orten, wo
Dichtefluktuationen in dieser Dunklen Materie für eine etwas höhere
Materiedichte sorgen. Solche Modelle sagen dann auch voraus, dass es in Galaxien
Ströme aus Dunkelmaterie-Partikeln geben muss, die sich durch die Galaxie bewegen und
um deren Zentrum kreisen.
"So ein Strom kann sehr viel größer sein, als das Sonnensystem und in unserer
galaktischen Nachbarschaft könnten sich gleich mehrere solcher Ströme kreuzen",
so Gary Prézeau vom Jet Propulsion Laboratory der NASA, der sich nun mit der
Frage beschäftigt hat, was eigentlich passiert, wenn so ein Strom auf die Erde
oder den Gasriesen Jupiter trífft.
Da Dunkle Materie nicht mit normaler Materie wechselwirkt - und deswegen ja auch
so schwer nachzuweisen ist - würden solche Ströme für uns natürlich keinerlei
Gefahr darstellen, die Gravitationskraft der Erde würde den Partikelstrom aber
natürlich beeinflussen. Wie genau, hat Prézeau jetzt mithilfe von
Computersimulationen ermittelt.
Danach sorgt ein Planet, der sich in so einem Strom von Dunkler Materie befindet, dafür,
dass die Partikel in sehr dünne Fäden - Prészeau bezeichnet sie als "Haare"
- fokussiert werden. Von der Erde sollten zahlreiche solcher Haare aus Dunkler
Materie ausgehen: Wenn Dunkelmaterie-Partikel genau durch den Erdkern strömen,
werden sie in einer Art Wurzelbereich der Haare fokussiert, der etwa eine
Million Kilometer von der Erdoberfläche entfernt liegt. Die Partikel, die
die Erdoberfläche nur streifen, bilden den oberen Bereich des Haares.
Interessant sind diese Berechnungen vor allem deshalb, weil es in den Wurzeln
der Dunkelmaterie-Haare eine deutlich höhere Konzentration von Dunkler Materie
geben sollte - sie liegt, so die Simulationen, bei mehr als einer Milliarde Mal
über der durchschnittlichen Konzentration. "Wenn man den genauen Ort der Wurzeln
dieser Haare feststellen könnte, wäre es möglich, eine Sonde dorthin zu
schicken, die eine Vielzahl von Daten über Dunkle Materie sammeln könnte", so
Prézeau.
Der Jupiter sollte, so das Ergebnis der Berechnungen, für noch dramatisch höhere
Konzentrationen in den Wurzelbereichen der Dunkelmaterie-Haare sorgen. Außerdem
zeigten die Simulationen, dass die Haare Informationen über die verschiedenen
Schichten der Erde enthalten: So würden Dichteunterschiede für charakteristische
Knicke in den Haaren sorgen.
Die Arbeit von Prézeau könnte ein erster Schritt zum besseren Verständnis über
Dunkle Materie sein. Allerdings sind noch umfangreiche weitere Untersuchungen
nötig, um die Resultate zu bestätigen. Über die Simulationen und ihre Ergebnisse
berichtet Prézeau jetzt in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift The
Astrophysical Journal erschienen ist.
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