Pionen und die starke Wechselwirkung
Redaktion
/ Pressemitteilung der Technischen Universität München astronews.com
26. Februar 2015
Das Verständnis der sogenannten starken Wechselwirkung ist
für die Modelle über den grundsätzlichen Aufbau der Materie von großer
Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielen dabei Pionen. Neue Messungen am Genfer
CERN zeigten jetzt, dass sich diese Teilchen tatsächlich so verhalten, wie von
der Theorie vorausgesagt - im Gegensatz zu früheren experimentellen Ergebnissen.
Das Experiment am CERN: Die Nickelscheibe
befindet sich im Zentrum des blauen
Stahlzylinders. Vier Detektormodule vermessen mit
höchster Präzision die Ablenkung der Pionen.
Foto: TU München [Gesamtansicht] |
Pionen genannte Kernteilchen tragen wesentlich zur sogenannten starken
Wechselwirkung bei. Sie ist die Kraft, die Atomkerne zusammenhält und für die
Masse der uns umgebenden Materie verantwortlich ist. Erstmals ist es Physikern
nun gelungen, die Verformbarkeit von Pionen exakt zu bestimmen. Das Ergebnis
stimmt gut mit den theoretischen Vorhersagen überein und revidiert frühere
Messungen, deren Ergebnisse nicht mit dem Standardmodell der Physik vereinbar
waren.
Die gesamte sichtbare Materie im Universum besteht aus winzigen
Elementarteilchen, aus Quarks und Elektronen. Die Bausteine der Atomkerne
wiederum, die Protonen und Neutronen, sind aus drei Quarks aufgebaut. Ein
Gold-Atomkern etwa besteht aus 79 Protonen und 118 Neutronen. Sie tauschen so
genannte Pionen aus, wodurch der Atomkern zusammenhält.
Pionen bestehen aus einem Quark und einem Antiquark, welche wiederum von der
starken Wechselwirkung fest aneinander gebunden werden. Das Ausmaß, in dem diese
beiden Bestandteile voneinander entfernt werden können, ist daher ein direktes
Maß für die Stärke der Bindungskraft zwischen den Quarks und damit für die
starke Wechselwirkung.
Um die Verformbarkeit der geladenen Pionen - Physiker sprechen auch von ihrer
Polarisierbarkeit - zu messen, schossen die Wissenschaftler des
COMPASS-Experiments am Forschungszentrum CERN in Genf einen Pionen-Strahl auf
eine Nickelscheibe. Die Pionen näherten sich den Nickel-Atomkernen dabei auf
Distanzen von im Mittel nur zwei Kernradien und erfuhren dabei das sehr starke
elektrische Feld des Nickelkerns.
Dieses elektrische Feld verursacht eine Polarisierung der Pionen und ändert
ihre Flugbahn unter Aussendung von Photonen, also Lichtteilchen. Aus der Messung
der Photonen und der Ablenkungen der Pionen für eine große Anzahl von 63.000
Pionen konnten die Wissenschaftler die Polarisierbarkeit der Teilchen bestimmen.
Das Ergebnis zeigt, dass die Pionen nur zu weit weniger als ein Tausendstel
ihres Volumens deformierbar sind.
"Das Experiment ist - trotz der hohen Teilchenenergien am CERN - eine große
Herausforderung", unterstreicht Professor Stephan Paul von der Technischen
Universität München (TUM), der auch Koordinator des Exzellenzclusters Universe
ist. "Der Effekt der Pion-Polarisierbarkeit ist winzig. Dies macht die Stärke
der inneren Kräfte besonders deutlich."
Erste in den 1980er Jahren durchgeführte Messungen hatten Ergebnisse
geliefert, die im Widerspruch zu den theoretischen Vorhersagen standen und die
Physiker vor große Rätsel gestellt. "Die Theorie der starken Wechselwirkung ist
einer der Grundpfeiler unseres Verständnisses der Natur auf der Ebene der
Elementarteilchen", meint TUM-Wissenschaftler Dr. Jan Friedrich, der auch
Mitglied des Exzellenzclusters Universe ist und der die Datenanalyse der
COMPASS-Kollaboration leitete. "Daher ist die gute Übereinstimmung dieses
Ergebnisses mit der Theorie von großer Bedeutung."
Das COMPASS-Experiment wird seit 2002 am Super Proton Synchrotron
(SPS) betrieben, dem zweitgrößten Beschleunigerring am CERN. Zur Kollaboration
gehören rund 220 Physiker aus 13 Ländern. In Deutschland sind die Universitäten
in Bielefeld, Bochum, Bonn, Erlangen-Nürnberg, Freiburg, Mainz und München
beteiligt sowie die Technische Universität München, bei der die Verantwortung
für die Datenanalyse lag.
Über ihre Resultate berichteten die Wissenschaftler kürzlich in der
Zeitschrift Physical Review Letters.
|