Von Meereswirbeln und Schwarzen Löchern
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der ETH Zürich astronews.com
30. September 2013
Wissenschaftler haben festgestellt, dass bestimmte
Meereswirbel auf der Erde mathematisch ganz ähnlich beschrieben werden können
wie Schwarze Löcher. Diese Erkenntnis könnte helfen, den Transport von
Wassermassen in den Ozeanen besser zu verstehen. Eventuell lassen sich auch
gewaltige Wirbel wie der Große Rote Fleck auf Jupiter auf diese Weise erklären.
Schon Edgar A.
Poe beschrieb in einer seiner Geschichten einen
Schaumgürtel um einen Meereswirbel. Diese
Illustration dazu stammt aus dem Jahr 1919.
Bild: idw / ETH Zürich / Harry
Clarke |
Laut Forschern der ETH Zürich und der Universität von Miami ähneln einige der
größten Meereswirbel der Erde mathematisch den faszinierenden Schwarzen Löchern
im Weltall. Diese Wirbel sind nämlich durch Ringe aus sich im Kreis bewegendem
Wasser so scharf von ihrer Umgebung abgegrenzt, dass nichts in ihrem Inneren
entkommt.
Die milden Winter Nordeuropas verdanken wir dem Golfstrom, der Teil der
weltumspannenden Meeresströmungen ist, die unser Klima prägen. Zusätzlich wird
unser Klima aber auch durch riesige Meereswirbel mit mehr als 150 Kilometern
Durchmesser beeinflusst. Die Zahl solcher Wirbel in südlichen Ozeanen nimmt laut
Forschungsberichten zu, was den Transport von warmem und salzigem Wasser nach
Norden erhöht. Dies könnte den negativen Einfluss schmelzenden Polareises
ausgleichen.
Bisher konnten Wissenschaftler diese Wirkung der Wirbel jedoch nicht genau
messen, da sie die Grenzen der rotierenden Wassermassen nicht bestimmen konnten.
George Haller, Professor für Nichtlineare Dynamiken an der ETH Zürich, und
Francisco Beron-Vera, Forschungsprofessor für Ozeanographie an der Universität
von Miami, haben nun eine Lösung für dieses Problem gefunden. In einer
Publikation im Fachmagazin Journal of Fluid Mechanics stellen sie eine
neue mathematische Methode vor, wassertransportierende Meereswirbel mit klarer
Umgrenzung zu erkennen.
Die Schwierigkeit, solche Wirbel zu finden, liegt darin, zusammenhängende
Wasserinseln in einem turbulenten Ozean ausfindig zu machen. Die gleichzeitig
rotierende und gesamthaft driftende Bewegung erscheint für einen Beobachter
außerhalb und innerhalb eines Wirbels als chaotisch. Haller und Beron-Vera
konnten Ordnung in dieses Chaos bringen, indem sie zusammenhängende Wasserinseln
in einer Sequenz von Satellitendaten identifizierten. Zu ihrem Erstaunen
erkannten sie dabei, dass solche fest zusammenhängenden Wirbel mathematisch
Schwarzen Löchern ähneln.
Schwarze Löcher sind Objekte im Weltall mit einer so großen Masse, dass sie
alles, was sich ihnen auf eine bestimmte Distanz nähert, anziehen. Nichts, was
in ihren Wirkungsbereich gerät, kann ihnen entkommen, nicht einmal Licht. Aber
wenn ein Lichtstrahl ein Schwarzes Loch in einem bestimmten Abstand streift,
wird er durch dessen Schwerkraft so stark gebogen, dass er sich zu einem
kreisförmigen Orbit schließt. Eine Barriereoberfläche, zusammengesetzt aus solch
geschlossenen Lichtringen, wird in Einsteins Relativitätstheorie als
Photonsphäre bezeichnet.
Haller und Beron-Vera entdeckten nun ähnliche geschlossene Barrierelinien um
bestimmte Meereswirbel. Auf diesen Linien bewegen sich Flüssigkeitspartikel wie
auf einem geschlossenen Orbit - ähnlich der Bewegung von Licht in einer
Photonsphäre. Und wie bei Schwarzen Löchern kann nichts aus dem Inneren dieser
geschlossenen Barrierelinien entkommen, nicht einmal Wasser.
Genau diese Barrieren sind es, die dabei helfen, fest zusammenhängende
Meereswirbel in der großen Menge vorhandener Satellitendaten zu erkennen. Laut
Haller ist es sehr erstaunlich, dass es solche kohärenten "Wassersphären"
tatsächlich gibt. Weil die Wirbel so stabil zusammenhalten, funktionieren sie
wie ein Transportvehikel - nicht nur für Kleinstlebewesen wie Plankton oder
Fremdkörper wie Plastikmüll oder Öl, sondern auch für Wasser mit einer
Temperatur und einem Salzgehalt, die vom umliegenden Wasser abweichen können.
Haller und Beron-Vera haben diese Beobachtung bei den so genannten Agulhas-Ringen
überprüft, eine Gruppe von Meereswirbeln, die regelmäßig im südlichen Ozean an
der Südspitze Afrikas entstehen und warmes, salziges Wasser nordwärts
transportieren. Die Forscher verfolgten sieben Agulhas-Ringe des
Schwarzen-Loch-Typs, die das Wasser, das sie umfassten, fast ein Jahr ohne
Durchmischung mit dem umliegenden Wasser beförderten.
Solch kohärente Wirbel kommen laut Haller noch in anderen komplexen
Strömungen außerhalb des Meeres vor. In diesem Sinne sind viele Wirbelstürme
wahrscheinlich auch Schwarzen Löchern ähnlich. Das wohl spektakulärste Beispiel
für einen Wirbel des Schwarzen-Loch-Typs könnte der große rote Fleck - ein
stationärer Megasturm - des Planeten Jupiter sein. "Mathematiker versuchen schon
lange, solche kohärenten Wirbel in komplexen Strömungen zu verstehen", erklärt
Haller.
Erstaunlicherweise war vermutlich der erste, der Meereswirbel als solche
scharf abgegrenzten Wirbelströme erkannt hat, der amerikanische Autor Edgar
Allan Poe. In seiner Geschichte "Im Strudel des Malstroms" beschreibt er einen
stabilen Gürtel aus Schaum um einen Meeresstrudel. Dies diente Haller und Beron-Vera
als Inspiration, um nach diesen stabilen Gürteln - dem Meeres-Äquivalent von
Photonsphären - mit ausgeklügelten mathematischen Formeln zu suchen.
Ihre Resultate könnten dabei helfen, einige der Großen Fragestellungen der
Ozeanforschung zu beantworten, von Klima-bezogenen Fragen bis zu
Ausbreitungsmustern von Müll und Öl.
|