Die Rolle der Wassereis-Wolken
von Stefan Deiters astronews.com
18. Juni 2013
Daten der Sonde Mars
Reconnaissance Orbiter zeigen, dass die Temperaturen in der Atmosphäre des
Roten Planeten im Verlauf eines Tages nicht nur einmal ansteigen und wieder
sinken, sondern zweimal. Für das regelmäßige Auftreten dieses Phänomens dürften
Wassereis-Wolken verantwortlich sein, deren Rolle bislang offenbar unterschätzt
wurde.
Mit dem Mars
Climate Sounder an Bord des Mars Reconnaissance
Orbiter wurden die Temperaturen in der
Marsatmosphäre gemessen.
Bild: NASA/JPL-Caltech |
"Wir sehen ein Temperaturmaximum in der Mitte des Tages, allerdings auch
ein zweites Maximum kurz nach Mitternacht", erklärt Armin Kleinboehl vom Jet
Propulsion Laboratory der NASA, der Erstautor der unlängst in den
Geophysical Research Letters vorgestellten Studie. Diese zweimal täglich
auftretenden Temperaturschwankungen, die immerhin 32 Grad ausmachen können,
wurden mit dem Instrument Mars Climate Sounder an Bord der NASA-Sonde
Mars Reconnaissance Orbiter festgestellt.
Die jetzt ausgewerteten Daten des Instruments wurden zu verschiedenen Tages- und
Nachtzeiten in ganz unterschiedlichen Regionen des Planeten gewonnen und zeigen,
dass das eigentümliche Muster der Temperaturschwankungen das ganze Jahr über und
auch überall auf dem Mars zu beobachten ist.
Wissenschaftlicher bezeichnen globale Schwankungen des Windes, der Temperatur
oder des Drucks, die sich täglich oder mehrmals täglich wiederholen als
"atmosphärische Gezeiten". Sie entstehen nicht durch den gravitativen Einfluss
eines anderen Himmelskörpers, sondern durch die wechselnde Erwärmung des
Planeten am Tag und in der Nacht.
Atmosphärische Gezeiten lassen sich auch auf der Erde feststellen, beeinflussen
aber die Temperaturen in der unteren Atmosphäre nur wenig. In der dünnen
Marsatmosphäre, die nur etwa ein Prozent der Erdatmosphäre ausmacht,
beeinflussen die kurzzeitigen Temperaturschwankungen allerdings die gesamte
Atmosphäre.
Diese eigentümlichen zweimal täglichen Temperaturvariationen auf dem Mars hatte
man bereits in den 1970er Jahren festgestellt, war bislang allerdings davon
ausgegangen, dass sie nur in den Zeiten auftreten, in denen es sehr viel Staub
in der Marsatmosphäre gibt, da dieser Staub dann durch das Sonnenlicht
aufgeheizt wird.
"Wir waren überrascht, als wir dieses starke zweimal tägliche Muster in der
Temperatur auch in der staubfreien Marsatmosphäre gesehen haben", so Kleinboehl.
"Während die täglichen atmosphärischen Gezeiten als Reaktion auf die
Tag-Nacht-Schwankungen der Aufheizung durch die Sonne schon seit Jahrzehnten
bekannt sind, kam die Entdeckung der beständigen zweimal täglichen Schwankungen
auch außerhalb großer Staubstürme recht unerwartet. Wir haben uns daher gefragt,
was wohl dafür verantwortlich sein könnte."
Die Wissenschaftler fanden eine Antwort: Es sind die Wolken aus Wassereis, die
sich fast ganzjährig in der Atmosphäre des Mars nachweisen lassen. Über dem
Äquator befinden sie sich in einer Höhe zwischen zehn und 30 Kilometern und
absorbieren die von der Oberfläche im Tagesverlauf ausgesandte
Infrarotstrahlung. Die Wassereis-Wolken sind fast durchsichtig, die Absorption
durch diese Wolken führt aber trotzdem jeden Tag zu einer Erwärmung der
mittleren Atmosphäre. Klimamodelle, die die Wolken aus Wassereis
berücksichtigen, können auch die zweimal täglichen Temperaturschwankungen in der
Marsatmosphäre richtig beschreiben.
"Wir stellen uns den Mars immer als kalte und trockene Welt mit wenig Wasser
vor, aber in der Marsatmosphäre gibt es mehr Wasserdampf als in den oberen
Schichten der Erdatmosphäre", erklärt Kleinboehl. "Man wusste, dass sich Wolken
aus Wassereis in kalten Regionen bilden, allerdings wurde die Wirkung dieser
Wolken auf die Temperaturverteilung in der Marsatmosphäre nicht berücksichtigt.
Wir wissen jetzt, dass wir auch die Wolkenstruktur berücksichtigen müssen, wenn
wir die Marsatmosphäre verstehen wollen. Dies ist ganz ähnlich bei
wissenschaftlichen Studien über die Erdatmosphäre: Dort muss man auch die Wolken
besser verstehen, um ihren Einfluss auf das Klima abschätzen zu können."
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Mission Mars, die astronews.com-Berichterstattung über die Erforschung des
Roten Planeten |
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