Kosmische Bedingungen im Labor
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Kassel astronews.com
4. Februar 2013
In Kassel will man zukünftig versuchen, Bedingungen zu
simulieren, wie sie sonst nur im All anzutreffen sind. Auf diese Weise hoffen
die Forscher, Moleküle erzeugen zu können, die sonst auf der Erde nicht
vorkommen, sich aber möglicherweise in Sternentstehungsgebieten oder
Supernova-Überresten nachweisen lassen. Sie wollen so mehr über die Entstehung
und das Ende von Sternen lernen.
Temperaturunterschiede von mehreren Tausend Grad und Vakuum - unter diesen
extremen Bedingungen entstehen ganz besondere Moleküle. Sie finden sich nur im
All - und bald auch in einem Labor der Universität Kassel. Zum Beginn des
Wintersemesters hat die neue Fachgruppe Labor-Astrophysik ihre Arbeit
aufgenommen. Sie schließt eine Lücke im Angebot der Universität. Anders als bei
den sonstigen naturwissenschaftlichen Studienfächern gab es im Bereich
Astrophysik bislang nur ein theoretisch orientiertes Studienangebot.
In diesen Tagen werden die Instrumente für das Labor am Standort Oberzwehren
geliefert, bald darauf soll das Laboratorium in Betrieb gehen. Dort wird dann
unter Bedingungen Materie erzeugt, wie sie sonst im interstellaren Raum
vorherrschen. "Wir untersuchen die Komplexität organischer Moleküle im
Weltraum", erklärt Prof. Dr. Thomas Giesen, der die Forschergruppe leitet. "So
wollen wir erklärbar machen, wie Sterne entstehen und vergehen."
Statt wahllos im All nach bislang unbekannten Teilchen Ausschau zu halten,
verfolgen die Kasseler Wissenschaftler den umgekehrten Ansatz. Sie erzeugen in
ihren Apparaturen für einige Mikrosekunden Moleküle, die unter normalen
Umständen auf der Erde nicht vorkommen, und untersuchen sie spektralanalytisch.
Mit der Methode der Spektralanalyse lässt sich feststellen, wie bestimmte
Moleküle Licht absorbieren; dieses Verhalten wird in einem sogenannten
Molekül-Spektrum erfasst. "Das Molekül-Spektrum eines Stoffes ist dann wie ein
DNA-Abdruck", erläutert Giesen.
Diese spezifischen Muster finden sich auch in elektromagnetischer Strahlung,
wie sie von den Molekülwolken werdender oder sterbender Sterne in entfernten
Galaxien ausgesandt wird. Wenn speziell ausgestattete Teleskope nun Spektren
solcher Regionen aufnehmen, lässt sich überprüfen, ob die in Kassel erzeugten
Moleküle im All vorkommen oder nicht. Finden sie ein im Labor zuvor erzeugte
Molekül, können sie Rückschlüsse ziehen auf chemische Prozesse, die dort
ablaufen.
Die Kasseler Astrophysiker arbeiten dafür unter anderem mit dem
Stratosphären-Observatorium SOFIA zusammen, einem fliegenden Teleskop von NASA
und DLR, das an Bord einer umgebauten Boeing 747 installiert ist. Die
entscheidenden Beobachtungen werden dabei im Terahertz-Wellenlängenbereich
gemacht. Untersuchungen des Terahertz-Bereichs in ähnlicher Qualität gab es in
Deutschland bislang nur in Köln, künftig nun auch in Kassel. Weltweit gibt es
nur etwa 15 Forschergruppen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen.
Dabei sind die Wissenschaftler stark vernetzt. So bilden die Forscher der
Universität Kassel einen Verbund mit Kollegen aus Köln, Paris und dem
kanadischen Saskatoon, um mehr über die Entstehung von Sternen und Planeten zu
erfahren. Dazu nutzen sie auch den Teilchenbeschleuniger SOLEIL in der Nähe von
Paris.
"Letztlich geht es auch um die Frage, wie in der Folge von Sternengeburten
Planeten entstehen und ob unsere Erde eine einzigartige Ausnahme ist. Und wir
erwarten Hinweise, wo die Schnittstelle zwischen unbelebter Materie und dem
Leben liegt", beschreibt Giesen die Erwartungen an sein neues Laboratorium. Der
Astrophysiker hofft, dass sein Team zwei bis drei neuartige Moleküle pro Jahr im
Labor herstellen kann und schätzt, dass mehr als die Hälfte davon später auch im
All nachgewiesen wird. In der Vergangenheit war der Astrophysiker bereits an der
Entdeckung von mehr als 20 Molekülen im All beteiligt.
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