Blue Straggler verraten dynamisches Alter
von Stefan Deiters astronews.com
19. Dezember 2012
Kugelsternhaufen gehören mit zu den ältesten Bestandteilen
unserer Milchstraße. Obwohl sie alle ungefähr zur gleichen Zeit entstanden sind,
unterscheiden sie sich doch dynamisch deutlich voneinander. Nun gelang es, den
unterschiedlichen dynamischen Alterungsprozess der Haufen allein aus
Beobachtungen abzuleiten. Dabei halfen den Astronomen einige eigentümliche
Sterne.
Der Kugelsternhaufen NGC 6388 in einer
Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble. Es handelt
sich um einen Haufen, der mit mittlerer
Geschwindigkeit dynamisch gealtert ist. Bild:
NASA, ESA, F. Ferraro (University of Bologna) [Großansicht] |
Kugelsternhaufen sind gewaltige Ansammlungen von 100.000 oder noch deutlich
mehr Sternen, die alle durch ihre gegenseitige Anziehungskraft zusammengehalten
werden. Mit einem Alter von typischerweise zwölf bis 13 Milliarden Jahren
gehören sie mit zu den ältesten Objekten in unserer Milchstraße. In ihnen finden
sich zudem auch die ältesten Sterne unserer Heimatgalaxie.
In der Milchstraße kennt man ungefähr 150 dieser Kugelsternhaufen. Und obwohl
sie alle etwa zur selben Zeit entstanden sind, unterscheiden sie sich doch oft
auf ganz eigentümliche Weise. Kugelsternhaufen entwickeln sich nämlich auch
dynamisch weiter, wodurch sich beispielsweise die Verteilung der Sterne im
Haufen ändert. So wandern massereichere Sterne, durch einen als
Massensegregation bezeichneten Prozess, im Verlauf dieser dynamischen
Entwicklung des Haufens in Richtung des Haufenzentrums. Einige Haufen scheinen
allerdings dynamisch jünger zu sein als andere.
"Alle diese Sternhaufen sind vor vielen Milliarden Jahren entstanden",
erläutert Francesco Ferraro von der Universität im italienischen Bologna, der
die jetzt vorgestellte Untersuchung leitete. "Aber wir haben uns gefragt, ob
einige vielleicht schneller altern als andere. Durch die Beobachtung eines
bestimmten Typs von blauen Sternen, die sich in diesen Haufen finden lassen,
haben wir entdeckt, dass sich einige Haufen tatsächlich sehr viel schneller
entwickelt haben und auch eine Methode gefunden, um ihrer Alterungsrate zu
messen."
Da die Sterne eines Kugelsternhaufens alle zur selben Zeit entstanden und die
Haufen sehr alt sind, sollte es in ihnen keine hellen, massereichen Sterne mehr
geben. Massereiche Sonnen entwickeln sich nämlich deutlich schneller als ihre
masseärmeren Geschwister, da sie mit ihrem nuklearen Brennstoff sehr viel
verschwenderischer umgehen.
Überraschenderweise entdeckte man in Kugelsternhaufen trotzdem helle,
bläuliche Sterne, die sogenannten Blue Straggler, also "blaue Nachzügler". Sie
sind, so die Theorie der Astronomen, durch Kollision und Verschmelzung
masseärmerer Sterne oder durch einen Massenübertrag in einem engen
Doppelsternsystem entstanden, wodurch die Sonnen praktisch wieder verjüngt
wurden (astronews.com berichtete). Da diese Blue
Straggler eine vergleichsweise hohe Masse aufweisen, sollten sie auch merklich
von der Massensegregation betroffen sein. Die hellen Sterne eignen sich daher
besonders für das Studium der dynamischen Entwicklung eines Kugelsternhaufens.
Die Astronomen untersuchten mithilfe des MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskops am La
Silla Observatorium der europäischen Südsternwarte ESO, dem Weltraumteleskop
Hubble und anderen Teleskopen die Verteilung von Blue Stragglern in 21
verschiedenen Kugelsternhaufen der Milchstraße.
Dabei stellte sich heraus, dass einige Haufen recht jung erscheinen - die
Blau Straggler sind im gesamten Haufen verteilt. Eine weitaus größere Gruppe
sieht hingegen dynamisch alt aus: Hier sind die Blue Straggler vor allem im
Zentrum der Haufen zu finden. Eine dritte Gruppe scheint sich gerade in einer
Übergangsphase zu befinden, in der sich zunächst die Blue Straggler in
Zentrumsnähe weiter nach Innen bewegen und anschließend auch die weiter
entfernten Blue Straggler.
"Da diese Haufen ungefähr alle zur gleichen Zeit entstanden sind, lassen sich
daraus große Unterschiede in der Entwicklung der einzelnen Haufen ablesen",
erklärt Barbara Lanzoni aus Bologna, eine Co-Autorin der Studie. "Im Fall der
schnell alternden Haufen glauben wir, dass der Segregationsprozess innerhalb von
einigen Hundert Millionen Jahren abgeschlossen sein wird, während er bei den
langsam alternden Haufen noch um ein Vielfaches länger als das gegenwärtige
Alter des Universums andauern sollte. "
Durch das Absinken der massereichsten Sterne eines Haufens zum Zentrum, kommt
es im Verlauf der dynamischen Entwicklung schließlich zu einem als Core
Collaps bezeichneten Phänomen, durch das sich im Haufenzentrum eine extrem
hohe Dichte von Sternen einstellt. Die Prozesse, die zu einem solchen Core
Collaps führen, sind theoretisch sehr gut verstanden und werden von der
Anzahl, der Dichte und der Geschwindigkeit der Sterne eines Haufens beeinflusst.
Die genaue Rate der dynamischen Entwicklung kannte man hingegen nicht, da
sich zwar Anzahl und Dichte der Sterne eines Haufens bestimmen lassen, nicht
aber ihre Geschwindigkeit. Man war daher bisher auf theoretische Überlegungen
angewiesen. In der jetzt vorgestellten Studie konnte der dynamische
Alterungsprozess von Kugelsternhaufen somit erstmals auf Grundlage von
Beobachtungen nachgewiesen werden.
Die Astronomen berichten über ihre Untersuchung in der in dieser Woche
erscheinenden Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift Nature.
|