Kosmischer Alkoholtest für Naturkonstante
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
14. Dezember 2012
Das Massenverhältnis von Protonen zu Elektronen gilt als
Naturkonstante. Beobachtungen mit dem 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg
haben nun gezeigt, dass dieses Verhältnis offenbar auch in einer weit entfernten
Galaxie den gleichen Wert hat wie auf der Erde. Der Nachweis gelang anhand des
Moleküls Methanol, dem einfachsten Vertreter aus der Stoffgruppe der Alkohole.
Luftbild des Radio-Observatoriums Effelsberg mit
dem 100-Meter-Radioteleskop. Mit diesem Teleskop
führten die Forscher spektroskopische
Beobachtungen des Methanol-Moleküls in Richtung
der weit entfernten Galaxie PKS1830-211 durch.
Bild: MPIfR / Peter Sondermann
/ VisCom |
Fundamentalen Naturkonstanten wie dem Proton-zu-Elektron-Massenverhältnis
können Physiker nur durch Messungen näher kommen. Zwar ergeben alle
erdgebundenen Experimente für dieses Verhältnis denselben Wert. Trotzdem wäre es
theoretisch möglich, dass die Konstante sich in verschiedenen Regionen des
Universums oder zu unterschiedlichen Zeiten in dessen Geschichte verändert hat.
Um zu überprüfen, ob es solche Abweichungen gibt, eignet sich das
Methanol-Molekül, der einfachste Vertreter aus der Stoffgruppe der Alkohole.
Eine Reihe von Linien im Radiospektrum dieses Moleküls würden bei einer Änderung
des Proton-zu-Elektron-Massenverhältnisses eine deutliche Frequenzverschiebung
zeigen, während andere Linien von dieser Verschiebung nicht betroffen wären.
Erst kürzlich hat eine Gruppe an der VU-Universität Amsterdam herausgefunden,
welche Eigenschaft das Methanol zu einem solch empfindlichen "Messfühler" macht:
Letztendlich handelt es sich dabei um einen Quantentunnel-Effekt, der zustande
kommt, wenn die interne Rotation des Moleküls beeinträchtigt ist. Dieser Effekt
führt zu sehr hohen Werten für die Empfindlichkeits-Koeffizienten der
entsprechenden Spektrallinien, die sich alle einzeln berechnen lassen.
"Dadurch wird nun das Methanol-Molekül ein idealer Testfall, um eine mögliche
zeitliche Veränderung des Proton-zu-Elektron-Massenverhältnisses zu entdecken",
sagt Wim Ubachs, Professor an der VU-Universität Amsterdam und Leiter des
Physik-Departments. "Deshalb haben wir vorgeschlagen, nach Linienstrahlung von
Methanol im fernen Universum zu suchen, um die Struktur der so gefundenen
Moleküle mit der des Methanols in der heutigen Zeit in Laborexperimenten zu
vergleichen."
Das Team beobachtete eine Galaxie, in der bereits eine Reihe verschiedener
Moleküle beobachtet worden waren. Die Galaxie, die in der Sichtlinie zu einer
intensiv strahlenden Radioquelle namens PKS1830-211 steht, ist etwa sieben
Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit ihrem Suchprogramm zielten die
Wissenschaftler auf vier verschiedene Linienübergänge im Radiospektrum des
Methanol-Moleküls.
Mithilfe des 100-Meter-Radioteleskops in Effelsberg konnten sie auch
tatsächlich alle vier Linien entdecken. "Als optische Astronomin war es für mich
eine interessante Erfahrung, Beobachtungen bei so großen Wellenlängen
durchzuführen, wie sie im Radiobereich auftreten", sagt Julija Bagdonaite,
Doktorandin an der VU-Universität Amsterdam und Erstautorin der jetzt im Magazin
Science erschienenen Veröffentlichung. "Das Methanol-Molekül hat diese
Radiowellen bereits vor sieben Milliarden Jahren absorbiert, und die Wellen
haben seinen Fingerabdruck aus ferner Vergangenheit auf ihrem Weg zur Erde mit
sich getragen."
Aus einer Analyse der Quantenstruktur des Methanol-Moleküls leiteten die
Forscher ab, dass sich zwei von dessen Spektrallinien, die sie bei Frequenzen um
25 GHz beobachten, kaum von einer Änderung des
Proton-zu-Elektron-Massenverhältnisses beeinflussen ließen. Die anderen beiden
Linien reagieren viel empfindlicher auf eine Modifikation dieses Parameters.
"Die Quelle, die wir untersucht haben, ist von unseren Beobachtungsobjekten
mit Abstand am besten geeignet, um die Gültigkeit unserer lokalen Physik auch in
weit entfernten exotischen Umgebungen zu untersuchen", sagt Christian Henkel vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie. "Es wäre phantastisch, wenn wir noch
mehr Quellen dieser Art finden könnten, mit denen wir noch weiter in die
Vergangenheit schauen könnten."
Bei der Auswertung der Daten bezogen die Wissenschaftler auch systematische
Effekte der Beobachtungen mit ein und kamen so zu folgendem Ergebnis: Das
Massenverhältnis von Proton und Elektron hat sich im Lauf der vergangenen sieben
Milliarden Jahre um einen Faktor von maximal 10-7 geändert und gilt
damit zu Recht als Naturkonstante.
Dieses Ergebnis lässt sich auch als Bestätigung dafür interpretieren, dass
die Struktur der molekularen Materie, wie aus spektralen Beobachtungen
abgeleitet, sehr genau mit derjenigen vor sieben Milliarden Jahren
übereinstimmt. Mögliche Abweichungen betragen nur ein Hunderttausendstel Prozent
oder sogar weniger.
"Wenn wir tatsächlich Abweichungen in dieser fundamentalen Konstante finden
würden, dann hätten wir ein Problem mit unserem Verständnis der Grundlagen der
Physik", schließt Karl Menten, Direktor am Max-Planck-Institut für
Radioastronomie. "Vor allem wäre damit Einsteins Äquivalenzprinzip verletzt, das
Herzstück der Allgemeinen Relativitätstheorie."
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