Millisekundenpulsar als Schwarze Witwe
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
26. Oktober 2012
Mit einem neuen Verfahren ist es Astronomen jetzt gelungen,
erstmals einen Millisekundenpulsar nur anhand seiner Gammastrahlung aufzuspüren.
Die Forscher stießen durch Auswertung von Daten des Satelliten Fermi
auf ein eigentümliches System aus zwei Sternen, in dem der Pulsar seinen
stellaren Begleiter langsam vernichtet.
Das Pulsarsystem PSR J1311-3430 mit dem ersten
Millisekundenpulsar, der allein anhand seiner
leuchtturmähnlichen Gammastrahlen-Emission (magenta)
entdeckt wurde. Das System ist so klein, dass es
vollständig in unserer Sonne Platz fände. Die
schematische Darstellung zeigt die Sonne, die
Umlaufbahn des Begleiters und dessen maximale
Größe im korrekten Maßstab; der Pulsar dagegen
wurde stark vergrößert.
Bild: SDO/AIA (Sonne), AEI |
Pulsare sind die kompakten Überreste von Explosionen massereicher Sterne. Manche von
ihnen drehen sich mehrere hundert Mal innerhalb einer Sekunde um die eigene Achse und
schicken dabei Strahlungsbündel ins All. Diese sogenannten Millisekundenpulsare ließen sich bisher nur
durch ihre Radiostrahlung aufspüren. Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für
Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover mit Unterstützung des Max-
Planck-Instituts für Radioastronomie erstmals einen Millisekundenpulsar allein anhand
seiner gepulsten Gammastrahlung entdeckt. Entscheidend für den Erfolg war eine neue, am
AEI entwickelte Analysemethode. Der Pulsar besitzt einen Begleitstern, den er in engem
Kreistanz vernichtet - Astronomen bezeichnen ihn daher als "Schwarze Witwe".
Schon im Jahr 1994 waren Forscher im Sternbild Zentaur auf eine Quelle intensiver
Gammastrahlung gestoßen. Man vermutete zwar, dass ein Pulsar dahinter steckt. Aber erst jetzt
konnte
das Team um Holger Pletsch vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik das Rätsel
lösen und den Millisekunden-Gammapulsar PSR J1311-3430 als Verursacher
identifiziert. Dabei half den Wissenschaftlern eine neue Datenanalysemethode, denn die rasend
schnell rotierenden Pulsare lassen sich extrem schwer finden.
Um einen Gammapulsar eindeutig nachzuweisen, müssen Astronomen mehrere Eigenschaften des
Himmelskörpers sehr genau kennen. Hierzu gehören etwa seine Position, die Drehfrequenz sowie
deren zeitliche Änderung. Gehört der Pulsar zu einem Doppelsternsystem, wird es noch
komplizierter: Es kommen mindestens drei Bahnparameter hinzu, die ebenfalls bestimmt werden
müssen.
Im Fall von PSR J1311-3430 hatten Astronomen den Begleitstern - er erhitzt sich durch die
Strahlung des Pulsars - bereits mit optischen Methoden beobachtet. Auf diese Weise konnten sie
die Bahnparameter des Doppelsternsystems teilweise abschätzen und die Position des Pulsars
eingrenzen.
"Wir haben eine besonders effiziente Methode entwickelt, um die Gammadaten des NASA-Satelliten
Fermi nach Millisekundenpulsaren zu durchsuchen, auch in Doppelsternsystemen. Nur so ließen
sich weite Parameterbereiche sehr fein durchkämmen", erklärt Holger Pletsch, der
auch Erstautor eines in
Science erschienenen Fachartikels ist. "Das neue Verfahren versetzt uns erstmals in die Lage, quasi blind
nach Gammapulsaren zu suchen - bis hin zu sehr hohen Rotationsfrequenzen."
Die Wissenschaftler analysierten die Fermi-Messdaten auf dem Computercluster
Atlas am AEI. "Wir
haben Daten untersucht, die der Gammasatellit über einen Zeitraum von insgesamt vier Jahren
gesammelt hat. Bereits kurz nach Beginn der Analyse zeigte sich ein eindeutiges Signal in den
Ergebnissen. Und was wir sahen, war sehr aufregend", so Pletsch.
PSR J1311-3430 dreht sich rund 390-mal in der Sekunde um die eigene Achse und sendet dabei
strahlförmig Gammaphotonen ins All. Etwa bei jeder millionsten Umdrehung erreicht eines dieser
Strahlungsquanten den Detektor an Bord von Fermi. Das Gammasignal verrät den Astronomen aber
auch vieles über den Begleiter des Pulsars: Die Bewegung im Doppelsternsystem moduliert die
Ankunftszeiten der Photonen und erlaubt Rückschlüsse auf den Partnerstern. "Das Begleitobjekt ist
klein und außergewöhnlich dicht", weiß AEI-Direktor Bruce Allen. "Es hat
mindestens die achtfache Masse des Planeten Jupiter, weist aber nur maximal 60
Prozent seines Radius auf."
Aus diesen Informationen berechneten die Forscher die Dichte des Begleiters, die sich als
ungewöhnlich hoch erwies. Seine Materie ist im Mittel rund 30-mal enger gepackt als die der Sonne.
Offenbar ist der Begleiter der kompakte Überrest eines Sterns, der bereits früher den Pulsar
umrundete. Im Laufe seiner Entwicklung verlor er Materie an den Pulsar und beschleunigte dessen
Drehung. Dabei kamen sich Pulsar und Begleiter immer näher.
"Heute wird der zurückgebliebene Sternkern, der vermutlich vor allem aus Helium besteht, von der
Strahlung des Pulsars sehr stark erhitzt und buchstäblich verdampft", so Pletsch.
Astronomen bezeichnen einen solchen Pulsar in Anlehnung an eine Spinnenart, die das kleinere
Männchen nach der Paarung ins Jenseits befördert, als Schwarze Witwe. In ferner Zukunft könnte
PSR J1311-3430 seinen Begleiter womöglich vollständig verdampfen und dann alleine durchs All
ziehen.
Doch damit nicht genug: "Unsere Entdeckung ist nicht nur eine Premiere, sondern stellt zudem
gleich mehrere neue Rekorde auf", meint Allen. Derzeit umrunden die Partner den
gemeinsamen Schwerpunkt in nur 93 Minuten auf einer fast perfekt kreisförmigen Bahn. Das ist die
kürzeste bekannte Bahnperiode aller Pulsare in Doppelsternsystemen.
Und mit einem Abstand vom lediglich 1,4-fachen der Erde-Mond-Entfernung ist es das engste
bisher bekannte System mit einen Pulsar. Pletsch und seine Kollegen nahmen auch ältere Beobachtungen mit dem Radioteleskop in
Green Bank in West Virginia unter die Lupe, konnten den flinken Pulsar hier jedoch nicht aufspüren.
"Offenbar schirmt die vom Begleiter abgedampfte Materie einen Großteil der Radiowellen ab und
macht den Pulsar für Radioteleskope möglicherweise sogar unsichtbar", vermutet Lucas Guillemot vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, Mitautor der Veröffentlichung. Die Wissenschaftler
planen bereits weitere Beobachtungen bei höheren Radiofrequenzen. So wollen sie unter anderem
die genaue Entfernung des Objekts von der Erde ermitteln.
Systeme wie der nun entdeckte Rekordpulsar bieten den Astronomen neue Einblicke in die bisher
nur unvollständig verstandene Entwicklung sehr enger Doppelsternsysteme. PSR J1311-3430
könnte außerdem neues Licht auf die Entstehung der Gamma- und Radiostrahlung im starken
Magnetfeld der Pulsare werfen. Möglicherweise ist er auch nur die Spitze des Eisbergs: Hinter
weiteren nicht identifizierten Gammaquellen könnten sich ähnlich außergewöhnliche Systeme
verbergen. Die Astronomen am AEU haben damit 30 Jahre nach der Entdeckung des ersten Millisekundenpulsars im Radiobereich eine neue
Möglichkeit aufgezeigt, um diese schwer
auffindbaren Himmelskörper leichter zu identifizieren.
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