Überlichtschnelle Neutrinos kein Thema mehr
von Stefan Deiters astronews.com
11. Juni 2012
Schon im März hatte es sich angedeutet, auf einer
wissenschaftlichen Konferenz in Kyoto am Freitag wurde es nun bestätigt:
Neutrinos, die vom europäischen Teilchenlabor CERN in Genf ausgesandt werden,
erreichen ein Untergrundlabor in Gran Sasso
bei Rom nicht schneller, als es dem Licht möglich wäre. Dies ergaben jetzt
Messungen mit vier verschiedenen Experimenten.
Der
OPERA-Detektor in Gran Sasso.
Foto: OPERA-Kollaboration |
Es war der CERN-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci persönlich, der am
Freitag auf der 25. Internationalen Konferenz über Neutrinophysik und
Astrophysik im japanischen Kyoto die Ergebnisse von gleich vier
Neutrino-Experimenten vorstellte. Mit den Borexino, ICARUS, LVD und
OPERA war in den letzten Monaten die Flugzeit von am CERN in Genf ausgesandten
Neutrinos zum 730 Kilometer entfernten Untergrundlabor Gran Sasso in den Bergen
bei Rom bestimmt worden. Das Ergebnis: Die Elementarteilchen waren nicht
schneller als das Licht, sondern hielten sich an diese universelle
Geschwindigkeitsobergrenze.
Die Ergebnisse stehen damit im Widerspruch zu Messungen, die das OPERA-Team
im Spätsommer 2011 veröffentlicht hatte und bei denen sich die Neutrinos
offenbar mit Überlichtgeschwindigkeit bewegten. Die Nachricht, die einen
Widerspruch zur grundlegenden Annahme der Physiker darstellte, dass sich nichts
schneller bewegen kann als das Licht, sorgte sofort für große Aufmerksamkeit und
Skepsis (astronews.com berichtete wiederholt). Schon damals hatte das OPERA-Team
allerdings gewarnt, dass weitere Analysen nötig wären, bevor man irgendwelche
Schlüsse ziehen sollte. So wurden andere Forschergruppen gebeten, die Daten und
Messwerte zu prüfen und selbst entsprechende Experimente durchzuführen.
Auch das OPERA-Team wiederholte ihr Experiment noch einmal, kam aber Ende des
Jahres erneut zu dem überraschenden Ergebnis, dass die Neutrinos genau 60 Nanosekunden schneller
ihr Ziel erreicht hatten, als es dem Licht
möglich gewesen wäre. Die Zweifel blieben und die Suche nach den potentiellen Fehlern
ging weiter: Im Februar glaubte man dann, mögliche Fehlerquellen entdeckt zu
haben, allerdings ohne sicher zu wissen, wie diese die Resultate beeinflussen.
Um dies herauszufinden, waren neue Messungen im Mai geplant.
Zudem führten andere Experimente in Gran Sasso, mit denen sich die Flugzeit der
Neutrinos bestimmen lässt, eigene Messungen durch. Bereits im März konnte das
ICARUS-Experiment berichten, dass sie keine überlichtschnellen Neutrinos finden
konnten. Zum gleichen Ergebnis kamen dann auch die anderen Experimente,
einschließlich des OPERA-Experimentes. Die Daten vom September beruhen offenbar
auf einem fehlerhaften Bauteil in einem System, das für die exakte Zeitmessung
während des Experimentes verantwortlich ist.
"Obwohl das Ergebnis nicht so begeisternd ist, wie vielleicht einige gehofft
haben, ist es doch genau das, was wir im Grunde genommen alle erwartet haben",
so Bertolucci. "Diese Geschichte hat für große Aufmerksamkeit in der
Öffentlichkeit gesorgt. Die Menschen konnten hier direkt mitverfolgen, wie die
wissenschaftliche Herangehensweise funktioniert - ein unerwartetes Ergebnis wird
zur gründlichen Analyse freigegeben und untersucht. Die Auflösung erfolgt dann
teils durch die Zusammenarbeit von ansonsten konkurrierenden Experimenten. So
entsteht wissenschaftlicher Fortschritt."
|