Gesuchte Neutrinoverwandlung beobachtet
von Stefan Deiters astronews.com
13. März 2012
Teilchenphysiker auf der ganzen Welt bemühen sich seit
Jahren, eine vermutete, aber bislang noch nicht sicher bestätigte Transformation
von Neutrinos zu beobachten. Von ihrem Nachweis erhoffen sich die
Wissenschaftler letztlich neue Erkenntnisse über die Entstehung der Materie im
Universum. Ein internationales Forscherteam meldet nun einen entscheidenden
Erfolg.
Blick in einen
Detektortank in Daya Bay.
Foto: Roy Kaltschmidt, Lawrence Berkeley
National Laboratory |
"Physiker auf der ganzen Welt haben an fünf verschiedenen Experimenten
versucht, als erste diesen Prozess zu messen", freut sich Robert McKeown vom
California Institute of Technology über den Erfolg des Teams, in dem er
selbst mitarbeitet. "Unsere präzisen Messungen mit dem Daya Bay Experiment
liefern nun die noch fehlende Information, um die Transformationen der Neutrinos
zu verstehen."
Neutrinos sind Elementarteilchen, deren Verhalten sich so gar nicht mit
unseren Erfahrungen aus dem Alltag verträgt: Sie durchdringen praktisch alles
und wechselwirken dabei nur äußerst selten mit anderen Partikeln, was ihre
Untersuchung zu einer großen Herausforderung macht - und dies, obwohl uns in
jeder Sekunde Milliarden von Neutrinos durchströmen.
Doch damit nicht genug: Neutrinos gibt es zudem in drei verschiedenen Sorten,
nämlich als Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos. Und diese können sich sogar im
freien Flug von einem Typ in den anderen umwandeln. Die Teilchenphysiker nennen
dies Neutrino-Oszillation. Die Entdeckung dieser Oszillationen half, das
solare Neutrino-Problem zu lösen. Man hatte nämlich festgestellt, dass auf der Erde weniger solare Neutrinos ankommen als
bei den Fusionsprozessen in der Sonne eigentlich entstehen sollten und begann
schon zu zweifeln, ob man die Vorgänge im Inneren unseres Zentralgestirns
tatsächlich richtig verstanden hatte. Schließlich stellte sich aber heraus, dass
sich ein Teil der Neutrinos auf dem Weg zur Erde in einen anderen Typ verwandelt
hatte.
Die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Neutrino-Sorten beschreiben die
Wissenschaftler mit Hilfe von drei sogenannten Mischungswinkeln theta12, theta23
und theta13, mit denen sich berechnen lässt, wie häufig Übergänge zwischen den
einzelnen Typen zu erwarten sind. Zwei dieser Mischungswinkel sind seit längerem
bekannt, nach dem letzten noch fehlenden Wert, theta13, haben Teilchenphysiker
auf der ganzen Welt gesucht. Er betrifft die Umwandlung des Elektron-Neutrinos in
andere Typen. In den vergangenen Jahren hatte es allerdings schon Hinweise
gegeben, dass dieser Mischungswinkel mit hoher Wahrscheinlichkeit größer als
Null ist. Und auch eine obere Grenze hatten Physiker schon bestimmt (astronews.com
berichtete).
Die Messung von theta13 gelang nun am Daya Bay Neutrino Experiment,
das sich in China in der Nähe von Hongkong befindet. Es besteht derzeit aus
sechs mit Flüssigkeit gefüllten Tanks, mit deren Hilfe Antineutrinos
nachgewiesen werden sollen, die in einem nahegelegenen Kernreaktor entstehen.
Drei dieser Neutrinodetektoren befinden sich etwa 400 Meter vom Reaktor
entfernt, die anderen drei rund 1.700 Meter.
Bei den Nuklearreaktionen im Reaktor entstehen Elektron-Antineutrinos, die
sich mit beiden Detektoren nachweisen lassen. Allerdings registrieren die
entfernteren Detektoren weniger Elektron-Antineutrinos als erwartet, da sich ein
Teil dieser Antineutrinos in Myon- oder Tau-Antineutrinos umgewandelt haben.
Diese lassen sich zwar nicht direkt beobachten, doch können die Wissenschaftler
aus den fehlenden Elektron-Antineutrinos auf den gesuchten Mischungswinkel
theta13 schließen. Aus den sechs Prozent weniger gemessenen
Elektron-Antineutrinos in den entfernteren drei Detektortanks folgt, so die
Forscher in einem Artikel für die Fachzeitschrift Physical Review Letters,
ein theta13 von genau 8,8 Grad. Das Verfahren zur Messung gleicht einem
Experiment, das auch an einem französischen Reaktor durchgeführt werden soll (astronews.com
berichtete).
Die am Daya Bay Experiment beteiligten Wissenschaftler beschreiben
den gefundenen Wert für theta13 als "vergleichsweise groß" und wollen in den
kommenden Monaten weitere Daten sammeln, um statistische und systematische
Fehler auszubügeln. Das Daya Bay Experiment ist ganz neu und die jetzt
präsentierten Resultate sind das Ergebnis der Auswertung der ersten Daten der Anlage,
die noch gar nicht ihre geplante Endausbaustufe erreicht hat. Im Sommer soll
deswegen die Datensammlung unterbrochen werden, um noch weitere Detektoren
installieren zu können.
Dass nun alle drei Mischungswinkel bekannt sind, ist ein wichtiger Schritt
zur nächsten Phase von Neutrinoexperimenten, bei denen man beispielsweise
herausfinden möchte, welches der drei Neutrino-Typen der massereichste Typ ist
und ob es Unterschiede in der Oszillation von Neutrinos und Antineutrinos gibt.
Letztlich sollen die Experimente aber die Frage klären helfen, warum es
eigentlich Materie im Universum gibt. Im Urknall sollten nämlich gleich große
Mengen von Materie und Antimaterie entstanden sein. Beide müssten sich dann
eigentlich gegenseitig komplett ausgelöscht haben. Offenbar ist dies aber nicht
passiert, denn sonst könnten wir uns heute nicht Gedanken darüber machen, wieso
dies nicht geschehen ist.
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