Proto-Galaxienhaufen im jungen Universum?
von Stefan Deiters astronews.com
11. Januar 2012
Mit dem Weltraumteleskop Hubble glauben Astrononen
fünf Galaxien aufgespürt zu haben, die gerade dabei sind, einen Galaxienhaufen
zu bilden. Die Galaxien sind so weit von uns entfernt, dass wir sie zu einem
Zeitpunkt sehen, zu dem das Universum gerade einmal 600 Millionen Jahre alt war.
Es wäre die entfernteste bislang bekannte Ansammlung von Galaxien.
Die Himmelsregion mit dem jetzt entdeckten
Proto-Galaxienhaufen. Rechts die im großen Bild
markierten Galaxien vergrößert im nahen Infrarot.
Bild: NASA, ESA, M. Trenti (University of
Cambridge, UK und University of Colorado,
Boulder, USA), L. Bradley (STScI) und das BoRG
Team [Großansicht] |
Die in dieser Woche stattfindende Tagung der American Astronomical Society in Austin im
US-Bundesstaat Texas ist dafür verantwortlich, dass zahlreiche Forscherteams
gerade jetzt ihre neuen Beobachtungen und Ergebnisse vorstellen. Da dürfen
natürlich auch die jüngsten Resultate des Weltraumteleskops Hubble
nicht fehlen. Bei einer Himmelsdurchmusterung im nahen Infrarot entdeckten
Astronomen nämlich mit Hubbles Hilfe fünf Galaxien, die offenbar eine
Gruppe bilden. Das allein wäre noch nichts Besonderes. Die fünf Galaxien sind
allerdings so weit von uns entfernt, dass ihr Licht 13,1 Milliarden Jahre
benötigt hat, um die Erde zu erreichen. Die Galaxien, die wir somit in ihrem
Zustand nur rund 600 Millionen Jahre nach dem Urknall sehen, gehören außerdem zu
den hellsten Galaxien, die in dieser frühen Phase des Universums beobachtet
wurden.
Galaxienhaufen sind die größten Strukturen im Universum, die durch ihre
gegenseitige Anziehungskraft zusammengehalten werden. Galaxienhaufen in unserer
kosmischen Umgebung können aus Hunderten oder gar aus Tausenden von Galaxien
bestehen. Bei der jetzt von Hubble aufgespürten Galaxiengruppe könnte
es sich um einen Vorläufer dieser gewaltigen Galaxienansammlungen handeln, also
um einen Proto-Galaxienhaufen.
"Diese Galaxien sind sehr früh entstanden, zu einer Zeit, in der Galaxien
gerade anfingen, sich zu Haufen zusammenzufinden", erläutert Michele Trenti von
der University of Cambridge in Großbritannien und der University of
Colorado im US-amerikanischen Boulder. "Diese Beobachtungen bestätigen
unser theoretisches Modell über die Bildung von Galaxienhaufen. Hubble
ist gerade leistungsfähig genug, um die ersten Beispiele dafür in dieser
Entfernung noch aufspüren zu können." Trenti, der die Untersuchung leitete,
stellte die Ergebnisse seines Teams gestern in Austin vor und ist auch Erstautor
eines Fachartikels über die Ergebnisse, der in der Zeitschrift The
Astrophysical Journal erscheinen wird.
Galaxienhaufen sind im Universum alles andere als selten: Die meisten
Galaxien gehören solchen Gruppierungen an und Astronomen haben daher auch schon
unzählige Galaxienhaufen von ganz unterschiedlicher Größe und in verschiedenen
Entfernungen untersucht. Gerade entstehende Galaxienhaufen zu finden, ist
allerdings relativ schwierig, da sie sehr selten und sehr leuchtschwach sind.
"Wir mussten in vielen verschiedenen Regionen schauen, da die
Wahrscheinlichkeit, etwas so seltenes zu finden, doch sehr klein ist", erzählt
Trenti. "Es ist ein wenig wie das Spiel 'Schiffe versenken': Entweder man trifft
etwas oder nicht. Meist gibt es in einer Region nichts, aber wenn wir die
richtige Stelle treffen, sind gleich mehrere Galaxien zu sehen."
Obwohl die Astronomen die leistungsfähige neue Wide Field Camera 3
des Weltraumteleskops Hubble nutzten, war die Suche eine echte
Herausforderung. Die Wissenschaftler konzentrierten sich deswegen auf die
hellsten Galaxien, in der Hoffnung, dass diese ihnen den Weg zu einem
entstehenden Galaxienhaufen weisen werden. Die hellsten Galaxien sollten nämlich
gleichzeitig auch die massereichsten sein und diese sich, so sagen es
Computermodelle der Astronomen voraus, in den Zentren gewaltiger Ansammlungen
von Dunkler Materie bilden. Die Dunkle Materie legt, durch ihre Anziehungskraft
auf normale Materie, praktisch das Fundament für die Entstehung von Galaxien.
Rund um die entdeckten hellen Galaxien vermuten die Wissenschaftler daher noch
zahlreiche weitere, leuchtschwächere Exemplare.
Die fünf jetzt von Hubble aufgespürten Galaxien haben eine Größe,
die etwa der Hälfte bis ein Zehntel der Größe unserer Milchstraße entspricht.
Ihre Leuchtkraft ist allerdings vergleichbar mit der unserer Heimatgalaxie. Die
Helligkeit der fernen Systeme erklären sich die Astronomen durch die großen
Mengen an Gas, die in diesen Objekten durch die Verschmelzung mit anderen
Galaxien zur Verfügung stehen. Simulationen deuten darauf hin, dass die hellen
Galaxien irgendwann alle einmal zur zentralen Galaxie des Haufens verschmelzen
werden - vergleichbar mit der elliptischen Riesengalaxie Messier 87 im Virgo-Galaxienhaufen.
Die Forscher vermuten, dass die Galaxien auf der Aufnahme in etwa so weit
voneinander entfernt sind, wie die Galaxien in der lokalen Gruppe, also in
unserem eigenen Galaxienhaufen, dessen massereichste Mitglieder die Milchstraße
und die Andromedagalaxie sind. Mit Hilfe spektroskopischer Beobachtungen planen
sie, die Entfernungen der Galaxien präziser zu bestimmen und auch ihre
Geschwindigkeiten zu ermitteln, um so sicher sagen zu können, dass sie
gravitativ aneinander gebunden sind.
Die jetzt vorgestellten Resultate passen gut ins sogenannte hierarchische
Modell der Galaxienentwicklung, nach dem sich große Objekte durch wiederholte
Verschmelzungen kleinerer Galaxien bilden. Die Beobachtungen waren Teil des
Brightest of Reionizing Galaxies Survey, also einer Durchmusterung, bei der
mit der Wide Field Camera 3 gezielt nach den hellsten Galaxien im
jungen Universum gesucht wird.
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