Blasenfrei Zapfen im All
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
30. November 2011
Treibstoff blasenfrei in die Brennkammer einer Rakete zu befördern ist
nicht einfach, insbesondere dann nicht, wenn sich die Rakete im Weltall
befindet. Ermöglicht wird dies in der Regel mithilfe spezieller
Vorrichtungen im Tank, die nun während des Flugs der Forschungsrakete
TEXUS 48 ausgiebig getestet wurden. Zudem waren 48 Fischlarven mit an
Bord.
Am 27. November 2011 startete die
Forschungsrakete TEXUS 48 vom Raumfahrtzentrum
Esrange bei Kiruna in Nordschweden.
Foto: DLR |
Am vergangenen Sonntagmorgen startete die Forschungsrakete TEXUS 48
des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) vom Weltraumzentrum
Esrange bei Kiruna in Schweden. Schwerpunkt der Mission mit dem Beinamen
"CRYSTAL" (Cryo Stage Technology Advanced Laboratory) waren Tests neuer
Technologien für eine verbesserte Treibstoffversorgung in
Raketenoberstufen. Dafür wurden erstmalig zwei Experimentmodule von
TEXUS (TEXUS steht für "Technologische Experimente unter
Schwerelosigkeit") vor dem Start mit flüssigem Stickstoff betankt. Er
dient als Testflüssigkeit für die Experimente. In einem weiteren Versuch
erforschen Wissenschaftler das Orientierungsvermögen von Fischlarven
unter Schwerelosigkeit. Die Rakete erreichte während ihres rund
dreizehnminütigen Fluges eine Höhe von 263 Kilometern. Dabei herrschte
für etwa sechs Minuten annähernde Schwerelosigkeit.
Die Triebwerke von modernen Raketenoberstufen werden im Weltraum oft
mehrfach gezündet, um die ideale Umlaufbahn möglichst effizient zu
erreichen. Zwischen diesen Antriebsphasen ist die Oberstufe der
Schwerelosigkeit ausgesetzt. Während dieser so genannten ballistischen
Flugphasen ist es wichtig, die Positionierung der Treibstoffe in den
Tanks der Raketenstufe zu kontrollieren. Sonst kann es passieren, dass
sich die Flüssigkeit im Tank verteilt, anstatt am Tankauslass verfügbar
zu sein.
Aus diesem Grund befinden sich in den Tanks Vorrichtungen, die den
Treibstoff sammeln, die so genannten Propellant Management Devices
(PMDs). Ihre Funktion beruht üblicherweise auf der Kapillarwirkung. Auf
der CRYSTAL-TEXUS-Mission werden diese PMDs nun mit ultrakalten
Treibstoffen ausgiebig getestet. Die Raketenoberstufen werden
klassischerweise mit flüssigem Sauerstoff, der eine Temperatur von minus
180 Grad Celsius besitzt, und mit flüssigem Wasserstoff (minus 255 Grad
Celsius) betankt. Auf TEXUS 48 werden die beiden
Raketentreibstoffe allerdings aus Sicherheitsgründen durch flüssigen
Stickstoff (minus 200 Grad Celsius) ersetzt.
Mit TEXUS 48 sind auch 48 junge Fischlarven für einen kurzen
Zeitraum ins All geflogen. Ihr Sinnesorgan für die
Schwerkraftwahrnehmung ähnelt dem des Menschen. Es befindet sich im
Innenohr und besteht aus kleinen Schweresteinen - Otolithen - und
Sinneszellen, welche die Impulse der Otolithen ans Gehirn weiterleiten.
Die Schweresteinchen entstehen durch die Biomineralisation von
Kalziumkarbonat-Kristallen. Ein Vorgang, der durch das Gehirn gesteuert
wird und auf beiden Kopfseiten unterschiedlich stark ausfallen kann. In
solchen asymmetrisch geformten Otolithen vermuten Wissenschaftler den
Grund für Bewegungskrankheiten wie die See- oder Reisekrankheit.
Forscher der Universität Stuttgart-Hohenheim untersuchen auf dem
TEXUS-48-Flug den Zusammenhang zwischen Asymmetrie der Otolithen
und Anpassungsvermögen an veränderte Schwerkraftbedingungen. Hierzu
setzen sie die Hälfte der Fischlarven während des gesamten Fluges einer
leicht verminderten Schwerkraft (0,01 g) aus. Die andere Hälfte schwebt
zunächst nahezu schwerelos (0,0001 g) und erfährt anschließend die
gleiche verminderte Schwerkraft wie die andere Gruppe.
Die Wissenschaftler zeichnen die Bewegungen beider Gruppen auf und
vergleichen später im Labor die Verhaltensparameter mit der Ausprägung
der Sinnesorgane wie etwa Struktur und Kristallisation der Otolithen.
Bereits während des Fluges von TEXUS 45 im Februar 2008 führte
das Team ähnliche Untersuchungen durch und hofft nun, die damaligen
Ergebnisse bestätigen und um neue Daten ergänzen zu können. Ziel der
Forschungen ist es, die Grundlagen- und Ursachenforschung im Bereich
Bewegungskrankheiten voranzubringen.
Die DLR-Mission fand in Kooperation mit der Europäischen
Weltraumorganisation ESA statt und weiteren Partnern statt. Das
TEXUS-Programm bietet Wissenschaftlern die Möglichkeit,
eigenständig Experimente unter verminderter Schwerkraft durchzuführen
und Experimente für die Internationale Raumstation ISS vorzubereiten.
Maximal zweimal pro Jahr starten die TEXUS-Raketen von Esrange
und erreichen in ballistischem Flug eine Gipfelhöhe von bis zu 270
Kilometern. Dabei herrscht für etwa sechs Minuten annähernde
Schwerelosigkeit.
Die Nutzlast landet danach am Fallschirm und wird per Hubschrauber
geborgen. Die Experimente werden während des Fluges in übereinander
liegenden, autonomen Einzelmodulen innerhalb der Rakete durchgeführt.
Dabei können die Daten per Telemetrie sowie nach der Bergung der
wissenschaftlichen Nutzlast gewonnen werden. Die direkte Steuerung und
Überwachung der Versuchsabläufe per Telecommanding und Videoübertragung
sind möglich. Der "Jubiläumsflug", TEXUS 50, ist für 2013
geplant.
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