Entfernte Galaxien mit stürmischen Winden
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
9. Mai 2011
Das Weltraumobservatorium Herschel hat erstmals riesige Sturmwolken aus
molekularem Gas in den Zentren von Galaxien aufgespürt. Manche davon besitzen
Windgeschwindigkeiten von mehr als 1.000 Kilometern pro Sekunde - das
Vieltausendfache von Wirbelstürmen auf der Erde. Die Aufnahme gelang mit dem in
Deutschland entwickelten Instrument PACS.
Diese Illustration aus Herschel-Daten zeigt eine
sehr leuchtstarke Infrarot-Galaxie mit
massereichen Winden aus molekularem Gas.
Bild:
DLR / ESA / AOES Medialab [Großansicht] |
Weit entfernte Galaxien im Universum zeigen viel mehr Aktivität als
unsere Milchstraße heute. Erklärt wird dies in gängigen
Entwicklungsmodellen dadurch, dass gasreiche Galaxien verschmelzen, was
zu erhöhter Sternentstehung führt (so genannte "Starburst"-Galaxien) und
das Schwarze Loch im Zentrum anwachsen lässt. Plötzlich hört diese
erhöhte Aktivität aber auf. In nur wenigen Millionen Jahren sinkt die
Sternentstehungsrate rapide und auch das Schwarze Loch wächst nicht mehr
weiter. In dieser - für kosmische Verhältnisse - kurzen Zeitspanne
müssen gewaltige Mengen Rohmaterial, etwa eine Milliarde Sonnenmassen,
aus der Galaxie entfernt werden. Doch welche physikalischen Prozesse
sind hierfür verantwortlich?
Die Lösung für dieses Rätsel könnte das europäische Weltraumteleskop
Herschel nun geliefert haben: Die Aufnahmen des Instruments PACS (Photodetector
Array Camera and Spectrometer) zeigen, dass die Galaxien mit den aktivsten
Kernen die stärksten Winde haben. Diese können den gesamten Gasnachschub einer
Galaxie weggeblasen und so eine weitere Entstehung von Sternen sowie das
Anwachsen des Schwarzen Lochs in ihrem Zentrum verhindert haben. Dieses Ergebnis
bestätigt die gängigen Theorien zur Galaxienentwicklung und ist der erste
systematische Nachweis für die Bedeutung galaktischer Winde bei der Entwicklung
elliptischer Galaxien.
Die Aufnahmen zeigen den Zwischenschritt in der Galaxienentwicklung von
Scheibengalaxien mit vielen jungen Sternen und einem hohen Gasanteil hin zu
elliptischen Galaxien mit alten Sternpopulationen und wenig Gas. Sie erklären
aber auch eine weitere Beobachtung: Die Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum
einer Galaxie und die Masse der Sterne im inneren Bereich der Galaxie scheinen
in einem Zusammenhang zu stehen. Eine solche Korrelation wäre eine natürliche
Folge der jetzt gefundenen galaktischen Winde, da diese das gemeinsame
Gasreservoir entfernen und somit sowohl die Sternentstehung als auch das
Wachstum des Schwarzen Lochs unterbinden.
Die Beobachtungen reichen noch nicht aus, die treibende Kraft hinter diesen
Winden definitiv zu bestimmen. Allerdings scheint es zwei Kategorien zu geben:
Galaxien mit starker Sternentstehung ("Starburst"-Galaxien) verlieren bis zu
einigen hundert Sonnenmassen an Gas pro Jahr, einer Menge, die ungefähr auch
ihrer Sternentstehungsrate entspricht. Mit Geschwindigkeiten von einigen hundert
Kilometern pro Sekunde werden diese Winde wahrscheinlich vom Strahlungsdruck der
Sterne und Sternexplosionen angetrieben.
Galaxien, die durch das Schwarze Loch in ihrem Zentrum dominiert werden,
verlieren sehr viel mehr Material, bis zu tausend Sonnenmassen pro Jahr und
mehr; ihre Winde mit Geschwindigkeiten von etwa tausend Kilometern pro Sekunde
werden wahrscheinlich hauptsächlich durch den Strahlungsdruck des aktiven
Galaxienkerns verursacht. Um diese ersten Ergebnisse zu bestätigen und andere
Eigenschaften der Winde zu klären, werden die Herschel-PACS-Beobachtungen
bei einer größeren Anzahl Galaxien fortgesetzt.
Herschel, das Infrarot-Observatorium der Europäischen
Weltraumorganisation ESA, startete am 14. Mai 2009 mit einer Ariane 5
ECA-Trägerrakete vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana.
Seither durchsucht es das Weltall nach Wärmestrahlung, die knapp über dem
absoluten Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius) liegt und liefert so neue
Erkenntnisse über die Entwicklung von Galaxien. An Bord befinden sich drei
Instrumente: HIFI (Heterodyne Instrument for the Far-Infrared), ein
hochauflösendes Heterodyn-Spektrometer, SPIRE (Spectral and Photometric Imaging
Receiver), ein abbildendes Photo- und Spektrometer für den Wellenlängenbereich
von 200 bis 670 Mikrometern, und PACS (Photodetector Array Camera and
Spectrometer), ein abbildendes Photometer und Spektrometer für den Bereich von
57 bis 210 Mikrometern.
PACS wurde unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische
Physik (MPE) entwickelt und vom vom Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt
(DLR) mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi)
gefördert. Zudem trägt Deutschland den größten Anteil am Instrument Control
Center (ICC), das den Betrieb der Instrumente während der Mission
sicherstellt, und ist wesentlich am Bau des Instruments HIFI beteiligt.
|
|