Vier Experimente in sechs Minuten
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
30. März 2011
Gestern startete vom Raumfahrtzentrum Esrange im schwedischen Kiruna aus
eine TEXUS-49-Rakete des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt (DLR). Während des Flugs, bei dem eine Höhe von 268 Kilometern
erreicht wurde,
herrschte rund sechs Minuten lang Schwerelosigkeit. Diese Zeit wurde für
materialwissenschaftliche Experimente sowie für einen Versuch zur
Gesundheitsforschung genutzt.
Am Dienstag startete TEXUS 49 vom
Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna in
Nordschweden.
Foto: Astrium GmbH |
Am Dienstag, 29. März 2011, startete um 6.01 Uhr MESZ die
Forschungsrakete TEXUS 49 vom Raumfahrtzentrum Esrange bei
Kiruna in Nordschweden. Die Rakete des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt (DLR) trug vier deutsche Experimente zur Gesundheits- und
Materialforschung in eine Höhe von 268 Kilometern. Während der
20-minütigen Flugzeit herrschte für rund sechs Minuten Schwerelosigkeit,
bevor die Nutzlast planmäßig am Fallschirm landete.
Hauptnutzlast der Mission war die in Deutschland entwickelte
Elektromagnetische Levitationsanlage EML. Mit ihr erforschten
Wissenschaftler des Kölner DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum
in zwei Experimenten thermophysikalische Eigenschaften und das
Erstarrungsverhalten von Metalllegierungen, die von industriellem
Interesse sind. So wurde beispielsweise eine Aluminium-Nickel-Verbindung
untersucht, die in der Luftfahrt und anderen Verkehrssystemen verwendet
wird.
Ein zweites Experiment beschäftigte sich mit einer
Nickel-Tantal-Legierung mit beigemischten keramischen Partikeln, die die
Verschleißeigenschaften dieses Verbundwerkstoffes verbessern sollen. In
der Schwerelosigkeit sind dabei wesentlich genauere Messungen möglich
als im Labor auf der Erde. Denn hier sind die notwendigen Haltekräfte
zum Schmelzen in der Schwebe (Levitieren) und störende innere Strömungen
in der flüssigen Metallprobe wesentlich reduziert. Die Forscher gewinnen
somit hochpräzise Daten, die wichtig sind für künftige
Computersimulationen. Diese werden für moderne industriellen
Herstellungsverfahren benötigt.
Im materialwissenschaftlichen Experiment TRACE+ (Transparent Alloys for
Columnar Equiaxed Solidification) des Forschungszentrums ACCESS aus
Aachen wurden Vorgänge und Strukturen untersucht, die bei der Erstarrung
metallischer Legierungen eine Rolle spielen. Dies wurde beispielhaft an
einem Gemisch organischer Substanzen durchgeführt, das ähnlich einem
flüssigen Metall erstarrt. Die Durchsichtigkeit dieser Legierung
erlaubte dabei eine direkte Beobachtung des Erstarrungsablaufes. Die so
gewonnenen Daten sollen zur Verbesserung industrieller Gießprozesse
beitragen.
Das medizinisch-biologische Experiment SITI-1 einer
Wissenschaftlergruppe der Universität Magdeburg hatte zum Ziel, die
Mechanismen aufzuklären, die zu Störungen des menschlichen Immunsystems
in der Schwerelosigkeit führen. So leiden einige Astronauten bei
längeren Aufenthalten im All verstärkt unter Infektionen. Auf TEXUS
49 wurden dazu Zellkulturen eingesetzt, in denen die Aktivität
aller Gene des Immunsystems mittels moderner DNA-Chip-Technologie
untersucht wurde. Die Wissenschaftler vermuten, dass bestimmte Moleküle
der Zellmembran für die durch die Schwerelosigkeit hervorgerufenen
Störungen verantwortlich sind. Sollte sich diese Vermutung bestätigen,
könnten diese Erkenntnisse langfristig auch zu neuen Ansätzen bei der
Bekämpfung von Krankheiten führen.
Mit den Startvorbereitungen und der Durchführung der TEXUS-49-Mission
hatte das DLR die Firma Astrium Space Transportation in Bremen
beauftragt. Weiterhin beteiligt waren die Firma Kayser-Threde in München
und die mobile Raketenbasis (Moraba) des DLR in Oberpfaffenhofen. Die
zweistufige Trägerrakete VSB-30 wurde gemeinsam von den brasilianischen
Raumfahrtorganisationen CTA (Centro Técnico Aerospacial) und
IAE (Instituto de Aeronáutica e Espaço), der DLR Moraba, sowie
der schwedischen Raumfahrtorganisation SSC (Swedisch Space
Corporation) entwickelt und im Rahmen des TEXUS-Programms
bereits zum siebten Mal vom Raketenstartplatz Esrange aus gestartet.
In dem seit 1976 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
und Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) über das DLR
Raumfahrtmanagement geförderten TEXUS-Programm
(Technologie-Experimente unter Schwerelosigkeit) wird mit Hilfe von
Forschungsraketen eine annähernde Schwerelosigkeit für etwa sechs
Minuten Experimentierzeit erreicht. Der "Jubiläumsflug", TEXUS 50,
ist für 2012 oder 2013 geplant.
Bei bis zu zwei Flügen pro Jahr starten die Raketen von Esrange bei
Kiruna in Nordschweden, erreichen in ballistischem Flug eine Gipfelhöhe
von bis zu 270 Kilometern, landen am Fallschirm und werden anschließend
per Hubschrauber geborgen. Die Experimente werden dabei in übereinander
liegenden, autonomen Einzelmodulen innerhalb der Rakete durchgeführt.
Dabei kann die Datengewinnung während des Fluges per Telemetrie und nach
der Bergung der wissenschaftlichen Nutzlast erfolgen. Die direkte
Steuerung und Überwachung der Versuchsabläufe per sogenanntem
Telecommanding und Videoübertragung sind möglich.
Das TEXUS-Programm bietet Wissenschaftlern die Möglichkeit,
eigenständige Experimente unter verminderter Schwerkraft durchzuführen
und Experimente für die Internationale Raumstation ISS vorzubereiten. Es
zeichnet sich durch eine weitgehende Wiederverwendbarkeit der
Nutzlasten, relativ kurze Vorbereitungs- und Zugriffszeiten, einen
regelmäßigen und nutzerfreundlichen Zugang zur Schwerelosigkeit und die
im Vergleich zu bemannten Missionen niedrigeren Sicherheitsanforderungen
aus. All dies ermöglicht eine relativ kostengünstige Forschung.
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