Der entfernteste voll entwickelte Galaxienhaufen
von Stefan Deiters astronews.com
9. März 2011
Astronomen haben mit einer Reihe von Teleskopen, darunter
auch dem Very Large Telescope der europäischen Südsternwarte ESO, einen
entfernten Galaxienhaufen entdeckt, der verblüffend den Galaxienhaufen in
unserem lokalen Universum gleicht. Dabei sehen wir ihn zu einer Zeit, in der
unser Weltall noch nicht einmal ein Viertel seines heutigen Alters hatte.
Diese Bild wurde aus Daten des Very Large
Telescope der ESO und des japanischen
Subaru-Teleskops auf Hawaii erstellt. Der jetzt
entdeckte vollständig entwickelte Galaxienhaufen
ist rechts der Mitte als Ansammlung von roten
Punkten zu sehen.
Bild: ESO/NOAJ/Subaru/R. Gobat [Großansicht]
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"Wir haben die Entfernung des entferntesten voll entwickelten
Galaxienhaufen gemessen, der bislang entdeckt wurde", erklärt Raphael Gobat vom
französischen Laboratoire AIM-Paris-Saclay, der auch Erstautor einer
Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics ist,
in der die jetzt vorgestellte Arbeit beschrieben wird. "Das Überraschende ist,
dass bei genauerer Betrachtung dieses Galaxienhaufens er nicht wirklich jung
aussieht - viele seiner Galaxien sind vergleichsweise ruhig und zeigen nicht die
typische Sternentstehungsaktivität von Galaxien im jungen Universum."
Galaxienhaufen sind die größten Strukturen im Universum. Es handelt sich um
Ansammlungen von Galaxien, die durch ihre gegenseitige Anziehungskraft
zusammengehalten werden. Astronomen vermuten, dass Galaxienhaufen mit der Zeit
wachsen, weswegen es im jungen Universums vergleichsweise wenig massereiche
Haufen dieser Art geben sollte. Man hat inzwischen zwar schon weiter entfernte
Galaxienhaufen entdeckt, doch handelte es sich dabei bislang immer um junge
Haufen, die gerade dabei waren sich zu bilden.
Das internationale Astronomenteam nutzte die Instrumente VIMOS (VIsible
Multi-Object Spectrograph) und FORS2 (FOcal Reducer and Spectrograph) des
Very Large Telescope der europäischen Südsternwarte ESO um die Entfernungen
von einigen merkwürdigen rötlichen Lichtflecken zu bestimmen, die bei
Beobachtungen mit dem Infrarot-Weltraumteleskop Spitzer aufgefallen
waren. Diese Gruppierung mit der Bezeichnung CL J1449+0856 sah ganz wie ein
entfernter Galaxienhaufen aus. Die VLT-Beobachtungen ergaben jetzt, dass es sich
tatsächlich um einen solchen handelt und wir ihn in einer Zeit sehen, zu der
unser Universum gerade einmal drei Milliarden Jahre alt ist.
Als man die Entfernung zu dem Haufen kannte, nahm man dessen Mitglieder mit
dem Weltraumteleskop Hubble und erdgebundenen Teleskopen, darunter auch
wieder das VLT, genauer unter die Lupe. Dabei stellte sich heraus, dass offenbar
in vielen der fernen Galaxien keine Sterne mehr entstehen, sondern die Sterne in
ihnen oft schon rund eine Milliarde Jahre alt sind. Der Haufen scheint also
schon vollständig entwickelt zu sein und ähnelt damit, sogar von der Masse her,
dem vergleichsweise nahegelegenen Virgo-Galaxienhaufen.
Auch Beobachtungen im Röntgenbereich, die mit dem ESA-Röntgenteleskop
XMM-Newton gemacht wurden, deuten auf einen vollständig entwickelten
Galaxienhaufen hin. Die beobachtete Röntgenstrahlung scheint nämlich von heißem
Gas zwischen den Galaxien zu stammen, dessen Konzentration zum Zentrum des
Haufens hin zunimmt. In jungen Galaxienhaufen findet sich eine solche
Gasverteilung in der Regel nicht.
"All dies spricht dafür, dass es bereits vollständig entwickelte
Galaxienhaufen gab, als das Universum nur etwa ein Viertel seines jetzigen
Alters hatte", fasst Gobat zusammen. "Solche Haufen sollten nach unseren
Theorien sehr selten sein, von daher können wir uns glücklich schätzen, einen
entdeckt zu haben. Wenn wir allerdings noch deutlich mehr davon finden, müssten
wir unsere Vorstellungen über das junge Universum noch einmal überdenken."
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