Herschel misst benötigte Dunkle Materie
von Stefan Deiters astronews.com
18. Februar 2011
Mithilfe des europäischen Weltraumteleskops Herschel
konnten Astronomen nun bestimmen, wie viel Dunkle Materie nötig ist, damit sich
eine Galaxie mit nachhaltiger Sternentstehung bildet. Die Forscher erhoffen sich
von den Untersuchungen neue Erkenntnisse darüber, wie diese ominöse Substanz die
Entstehung von massereichen Galaxien im jungen Universum beeinflusst hat.
Herschel-Falschfarben-Aufnahme einer Region
im Sternbild Großer Bär, die als Lockman-Hole
bekannt ist. Hier ist ein nahezu ungestörter
Blick in die Tiefen des Alls möglich. Bei fast
jedem Punkt auf dem Bild handelt es sich um eine
weit entfernte Galaxie.
Bild: ESA / SPIRE-Konsortium /
HerMES-Konsortium [Großansicht]
|
"Wenn man mit zu wenig Dunkler Materie beginnt, würde die
Entstehung einer Galaxie im Sande verlaufen", erklärt Asantha Cooray von der
University of California in Irvine, der die jetzt in der Fachzeitschrift
Nature veröffentlichte Untersuchung geleitet hat. "Wenn man hingegen zu
viel hat, kann das Gas sich nicht effektiv genug abkühlen, um eine große Galaxie
entstehen zu lassen. Das Ergebnis sind viele kleine Galaxien. Mit der genau
richtigen Menge aber bekommt man eine Galaxie, in der zahlreiche Sterne
entstehen." Diese "richtige Menge" ist nach Untersuchungen der Astronomen etwa
die 300-milliardenfache Masse unserer Sonne.
Die Studie basiert auf Messungen mit dem europäischen
Infrarot-Weltraumteleskop Herschel, das im Mai 2009 gestartet wurde.
"Die neuen Beobachtungen zeigen, dass frühe Galaxien deutlich heftigere Phasen
von Sternentstehung durchlaufen als wir sie heute in der Milchstraße beobachten
können", erläutert William Danchi, Herschel-Programmwissenschaftler am
NASA-Hauptquartier in Washington. "Dies zeigt, wie wichtig die
Infrarotastronomie ist, weil sie uns erlaubt, durch den interstellaren Staub zu
blicken und Sterne in ihrer Kindheit zu beobachten."
Das Team um Cooray hat die Infrarotstrahlung von massereichen Galaxien in
zehn bis elf Milliarden Lichtjahre Entfernung gemessen, in denen gerade viele
neue Sterne entstehen. Die Astronomen vermuten, dass sich diese Galaxien im
Inneren von großen Ansammlungen von Dunkler Materie gebildet haben. Dunkle
Materie ist eine bislang nicht entdeckte Substanz, die sich nur durch ihre gravitative Wirkung bemerkbar macht. Im Falle der Galaxien sorgt diese dafür,
dass sich Gas und Staub an einer Stelle so konzentrieren, dass Sterne und damit
eine Galaxie entstehen kann.
Herschel erlaubte den Astronomen nun einen Blick auf diese Prozesse.
Mit Hilfe des Teleskops beobachteten sie die Infrarotstrahlung von entfernten
massereichen Galaxien, in denen gerade Sterne entstehen. Davon gibt es so viele,
dass sich ihre Strahlung zum sogenannten kosmischen Infrarothintergrund
überlappt. Dieser ist allerdings nicht gleichmäßig verteilt, sondern hat eine
netzartige Struktur. Da Herschel große Bereiche schnell und mit hoher
Auflösung kartieren kann, entstanden so die ersten detaillierten Karten dieses
kosmischen Infrarothintergrunds.
"Es hat sich gezeigt, dass es sehr viel effektiver ist, sich diese Muster und
nicht einzelne Galaxien anzuschauen", erläutert Jamie Bock vom NASA Jet
Propulsion Laboratory und verantwortlich für den Spectral and
Photometric Imaging Receiver (SPIRE) an Bord von Herschel, mit dem
die Beobachtungen gemacht wurden. "Das ist genauso, wie der Blick auf ein Foto
in einer Zeitschrift in Leseentfernung. Man sieht das gesamte Bild, aber nicht
die einzelnen Punkte. Herschel zeigt uns das großflächige Bild dieser
entfernten Galaxien und damit den Einfluss der Dunklen Materie."
Auf den Karten ist zu erkennen, dass Galaxien sich deutlich ausgeprägter in
Gruppen zu sammeln scheinen, als man bislang angenommen hatte. Diese
Haufenbildung hängt von der Menge der Dunklen Materie ab. Mit Hilfe einer Reihe
von nummerischen Simulationen konnten die Astronomen genau berechnen, wie viel
Dunkle Materie für die Entstehung einer einzelnen Galaxie mit fortgesetzter
Sternentstehung nötig ist.
"Diese Messungen sind sehr wichtig, da sie uns etwas über die wesentlichen
Zutaten für die Galaxienentstehung verraten", unterstreicht Alexandre Ambland
von der University of California in Irvine, der Erstautor des
Nature-Artikels. "In diesem Fall scheint die Zutat 'Dunkle Materie' eine
sehr exotische Substanz zu sein, über die wir noch sehr viel lernen müssen."
Die mit Herschel entdeckte optimale Masse zur Galaxienbildung liegt
deutlich unter dem bislang vermuteten Wert. Mit dem Teleskop konnten die
Astronomen zudem feststellen, dass die Sternentstehungsrate in den entfernten
Systemen drei bis fünf Mal höher ist, als man bislang auf Grundlage anderer
Beobachtungen geschätzt hatte.
|
|