Schneller Stern mit turbulenter Geschichte
von Stefan Deiters astronews.com
27. Juli 2010
Astronomen glauben mithilfe des Weltraumteleskops
Hubble das Rätsel um einen Stern gelöst zu haben, der sich mit einer
Geschwindigkeit von rund 2,5 Millionen Kilometern pro Stunde durch das All
bewegt. Er stammt vermutlich aus dem Zentrum unserer Galaxie und was ihm dort
und auf seinem späteren Weg passiert ist, hätte sich kaum ein Science
Fiction-Autor besser ausdenken können.
Der Stern HE 0437-5439 stammt vermutlich aus
dem Zentrum der Milchstraße.
Bild: NASA, ESA und G. Bacon (STScI) |
Der Stern, um den es geht, trägt den Namen HE 0437-5439 und rast
mit einer Geschwindigkeit von rund 2,5 Millionen Kilometern pro Stunde durchs
All. Es ist eine der höchsten Geschwindigkeiten, die man bislang entdeckt hat
und etwa dreimal schneller als die Geschwindigkeit, mit der sich die Sonne um
das Zentrum der Milchstraße bewegt. Mit Hubble konnten Astronomen nun
zeigen, dass der Hochgeschwindigkeitsstern direkt aus dem Zentrum unserer
Galaxie kommt. Seit 2005 hat man 16 solcher Sterne entdeckt, konnte aber erst
bei diesem direkt nachweisen, dass er tatsächlich aus dem Milchstraßenzentrum
stammt.
"Mit Hubble waren wir in der Lage, den Weg des Sterns
zurückzuverfolgen, indem wir seine genaue Bewegung am Himmel vermessen haben",
erläutert Warren Brown von Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics
in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts. "Seine Bewegung deutet
direkt auf das Milchstraßenzentrum. Solche ausgestoßenen Sterne sind sehr selten
in unserer Galaxie aus rund 100 Milliarden Sternen. Für jeweils 100 Millionen
findet man vielleicht einen."
Von der Untersuchung solcher Hochgeschwindigkeitssterne erhoffen sich die
Astronomen auch Hinweise auf die Verteilung der Dunkelmaterie in der
Milchstraße, da diese die Bahn der Sterne beeinflussen sollte. Der jetzt
entdeckte Stern befindet sich bereits in den entfernten Außenbereichen unserer
Galaxie und ist rund 200.000 Lichtjahre von ihrem Zentrum entfernt. Der
Durchmesser der Scheibe der Milchstraße beträgt ungefähr 100.000 Lichtjahre.
"Der Stern bewegt sich mit einer absurd hohen Geschwindigkeit, zweimal schneller
als er müsste, um dem Gravitationsfeld der Milchstraße entkommen zu können", so
Brown. "Kein Stern kann sich normalerweise so schnell bewegen, da muss schon
etwas sehr Exotisches passiert sein."
Doch HE 0437-5439 weist noch eine andere Besonderheit auf: Um seine heutige
Position erreichen zu können, dürfte der Stern etwa 100 Millionen Jahre benötigt
haben. Aufgrund seiner Masse, der neunfachen Masse der Sonne, sollte der Stern
allerdings nur eine Lebensdauer von etwa 20 Millionen Jahren haben und damit
schon längst erloschen sein. Stattdessen ist aber ein leuchtend bläulicher Stern
zu sehen.
Zur Erklärung von Farbe und Geschwindigkeit haben die Astronomen eine Theorie
entwickelt, die auf den ersten Blick abenteuerlich erscheint: Danach ist der
Stern das Ergebnis eines gravitativen Billardspiels und war zunächst alles
andere als ein Einzelgänger: Brown vermutet, dass es sich ursprünglich um ein
Dreifachsystem gehandelt hat, das im Zentrum der Milchstraße dem massereichen
Schwarzen Loch so nahe gekommen ist, dass der äußerste Stern des Systems aus
diesem herausgerissen wurde. Dadurch wurde das verbleibende Sternenduo, das sich
auf einer sehr engen Bahn umkreiste, aus dem galaktischen Zentrum
herauskatapultiert.
Auf ihrem Weg aus der Milchstraße hinaus, lief bei beiden Partnern die
normale Sternentwicklung weiter. Der massereichere Partner entwickelte sich
schneller, blähte sich auf und hüllte irgendwann seinen Begleiter vollkommen
ein. Die Sterne verschmolzen schließlich zu einem neuen großen Stern. Astronomen
nennen solche Objekte Blue Straggler. "Der Blue-Straggler-Teil mag sich zwar
merkwürdig anhören", gibt Brown zu, "aber man findet solche Sterne in der
Milchstraße und die meisten Sterne kommen tatsächlich in Mehrfachsystemen vor."
Der Stern HE 0437-5439 wurde 2005 im Rahmen des Hamburg/ESO Sky Surveys
entdeckt (astronews.com berichtete). Schon damals waren zwei Möglichkeiten
diskutiet worden, um die ungewöhnlichen Eigenschaften des Sterns zu erklären:
Entweder muss er aus dem Zentrum der Milchstraße stammen und anschließend zu
einem Blue Straggler geworden sein oder aber er wurde aus der Großen
Magellanschen Wolke katapultiert, von der er nur rund 65.000 Lichtjahre entfernt
ist.
Die Hubble-Beobachtungen konnten diese Frage nun klären. Mit dem
Weltraumteleskop visierten die Wissenschaftler den Stern mit einem zeitlichen
Abstand von 3,5 Jahren zweimal an und bestimmten seine relative Bewegung in
Bezug auf Galaxien im Hintergrund. Die Resultate wurden in der vergangenen Woche
in der Fachzeitschrift The Astropyhsical Journal Letters
veröffentlicht.
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