Forscher freuen sich über erste Resultate
Redaktion
/ Pressemitteilung des Paul Scherrer Instituts astronews.com
3. März 2010
Am CERN in Genf konnten erstmals Kollisionen von Teilchen mit der höchsten
Energie, die Menschen je erzeugt haben, vermessen werden. Sie wurden vom
CMS-Experiment am Large Hadron Collider aufgezeichnet.
Unerwartet schnell führten diese Daten nun zur ersten wissenschaftlichen
Veröffentlichung. Mit den Experimenten wollen die Physiker die Bedingungen
kurz nach dem Urknall simulieren.
Wissenschaftler beim Einbau des Detektors im
Zentrum des riesigen CMS-Detektors.
Foto: Paul Scherrer Institut / H. R.
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Über ein Jahr stand der neue Ringbeschleuniger am Genfer CERN wegen einer schweren Panne still. Seit Ende November 2009 läuft er wieder. So gut, dass zum ersten Mal millionenfach Protonen aus zwei Strahlen miteinander zur Kollision gebracht werden konnten. Bei jedem
Frontalzusammenstoß zwischen zwei Protonen entstehen neue Elementarteilchen, die explosionsartig auseinander
schießen. Der am Paul Scherrer Institut (PSI) entwickelte Pixeldetektor befindet sich nur wenige Zentimeter entfernt vom Ort des
Zusammenstoßes und zeichnet von diesem Logenplatz die Flugrichtung der Teilchen auf.
Die innerste der drei Lagen des Pixeldetektors, die den Strahl mit den kollidierenden Protonen wie die Schichten einer
großen Matrjoschka umschließen, sitzt nur vier Zentimeter vom Ort der Protonenkollisionen entfernt. Sie muss hochpräzise arbeiten, da sie dreidimensionale Bilder der Flugbahnen der Teilchen liefert. Schon in wenigen Stunden konnten die
Wissenschaftler der beteiligten Institute genug Daten sammeln, um eine erste teilchenphysikalische Messung zu machen.
Die Messung bestätige die Vorhersagen, die man mit Computersimulationen vorab gemacht hatte. Dies führte nun zu einem ersten auf diesem Experiment basierenden wissenschaftlichen Artikel, der in Rekordzeit zur Veröffentlichung akzeptiert wurde.
Und endlich haben die Wissenschaftler die Gewissheit dass ihr Detektor wie erhofft funktioniert.
Allein in der Entwicklung des Pixeldetektors stecken 15 Jahre Arbeit von
Dutzenden von Wissenschaftlern – nicht nur vom PSI, sondern auch von anderen
Instituten. Schlüsselkomponenten aber, wie die Verbindungstechnik, Sensor und Auslesechip wurden am PSI entworfen. Auch wurde der Detektor hier zusammengebaut.
"Am Anfang schien das Projekt schon sehr verrückt", blickt Projektleiter Roland Horisberger zurück. Man brauchte einen präzisen und leistungsfähigen Detektor, der mit damals verfügbaren Technologien nicht gebaut werden konnte. So musste alles neu entwickelt werden. Es gab nur eine ehrgeizige Vision, von der niemand wusste, ob sie gelingen würde.
Ihre Praxistauglichkeit hat sie mittlerweile schon längst bewiesen. Denn auf der entwickelten Technologie basierende Detektoren werden bereits seit einigen Jahren an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, einer der Großforschungsanlagen des PSI, eingesetzt. Zudem wird der Pixeldetektor auch in der Wirtschaft verwertet. Ein PSI-Spinoff, die Firma Dectris, baut und vertreibt diese Detektoren höchst erfolgreich weltweit. Sie sind auf dem Markt bisher konkurrenzlos.
Wofür aber der gigantische Entwicklungsaufwand? Der von PSI-Wissenschaftlern entwickelte Pixeldetektor sitzt im Zentrum des 22 Meter langen CMS-Detektors (Compact Muon Solenoid) am CERN. Er wiegt 12.500 Tonnen und ist eines der
größten Messinstrumente, die der Mensch je gebaut hat. CMS ist eines von vier Experimenten am Riesenbeschleuniger
Large Hadron Collider des CERN, mit denen die Physiker der Lösung der
großen Rätsel der Materie näher kommen wollen.
So hoffen die Wissenschaftler, bei den Teilchenkollisionen irgendwann das sagenumwobene Higgs-Teilchen nachweisen zu können, den letzten fehlenden aber grundlegenden Baustein für das Standardmodell der Elementarteilchenphysik. Findet man es, kann man erklären, wie Elementarteilchen überhaupt zu ihrer Masse kommen.
Zudem wollen die Teilchenphysiker herausfinden, ob sogenannte supersymmetrische Teilchen (SUSY) existieren. Mit ihnen könnte man die auch für Physiker noch rätselhafte dunkle Materie im Weltraum erklären.
Gemäß einer bisher spekulativen Theorie könnte sie aus solchen Teilchen bestehen. Gesehen hat diese allerdings noch niemand.
Sollten sie aber existieren, würden bei ihrem Zerfall viele sogenannte B-Mesonen entstehen. Diese wiederum erkennt man am einfachsten daran, dass sie von
ihrem Entstehungsort einige Millimeter weit fliegen, bevor sie in leichtere Elementarteilchen zerfallen. Gelingt es, diese Verfallsorte sicher zu finden, wäre man dem Ziel erheblich näher gekommen, die wenigen spektakulären Ereignisse aus den Abermilliarden von Teilchenkollisionen im CMS herauszufiltern. B-Mesonen zu finden und zu untersuchen eine der Hauptaktivitäten der Teilchenphysiker am PSI.
"Wenn es gelingt mit der Energie der Teilchen einen kritischen, bisher aber nicht bekannten Wert zu überschreiten, ist es möglich, dass wir neue Naturgesetze finden",
so Horisberger. "Auch die heute bekannten physikalischen Gesetze gelten meist nur bis zu einem gewissen Punkt." Die Messungen in der Veröffentlichung fanden bei 0,9 bis 2,36 Tera-Elektronenvolt (TeV) statt. Bereits das ist Weltrekord. Das Ziel der Physiker sind Kollisionen bei 14 TeV. Das wären Bedingungen wie kurz nach dem Urknall. Spätestens dann sollten sich Higgs- oder Supersymmetrie-Teilchen zeigen - wenn sie denn existieren.
Der Artikel über die Messungen erschien in der Februar-Ausgabe der
Fachzeitschrift Journal of High Energy Physics.
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