Spätentwickler unter den Zwerggalaxien
von Stefan Deiters astronews.com
23. Februar 2010
Astronomen haben mit dem Weltraumteleskop Hubble
eine Gruppe von kleinen, sehr alten Galaxien entdeckt, die sich nach zehn
Milliarden Jahren erstmals nahe kommen und in Zukunft vermutlich zu einer
elliptischen Galaxie verschmelzen werden. Der Fund in unserer kosmischen
Nachbarschaft gewährt so einen Blick auf Geschehnisse, die im jungen Universum
häufig vorgekommen sein müssen.
Die Hickson Compact Group 31 in einem Bild, das
aus Daten von Hubble, Spitzer und GALEX erstellt
wurde.
Bild: NASA, ESA, S. Gallagher (The
University of Western Ontario) und J. English
(University of Manitoba)
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Begegnungen, Kollisionen und Verschmelzungen von Zwerggalaxien
waren in der Frühzeit des Universums relativ häufig. Durch solche Verschmelzungen
kleinerer Galaxien entstanden im Laufe von Milliarden Jahren die
Galaxiengiganten, die wir in unserem lokalen Universum beobachten können. Mit
dem Weltraumteleskop Hubble haben Astronomen nun aber eine Gruppe von
vier Galaxien entdeckt, die offenbar seit vielen Milliarden Jahren existieren,
zuvor aber noch nicht mit anderen Galaxien zusammengetroffen sind. Diese Gruppe,
genannt Hickson Compact Group 31, befindet sich in relativer Nähe - sie
ist nur 166 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt.
Die Astronomen wussten schon länger, dass die vier Galaxien sich gegenseitig
beeinflussen. Ihre klassische Spiralstruktur erscheint nämlich schon deutlich
gestört, man erkannte Gezeitenarme aus Gas und Staub. Bei dem hellsten Objekt auf
dem jetzt veröffentlichten Hubble-Bild handelt es sich um zwei gerade
kollidierende Galaxien. Überall in dem System kommt es zu heftiger
Sternentstehung, die durch die Kompression des Gases bei der Kollision von
Galaxien ausgelöst wird.
Dank der neuen Hubble-Beobachtungen konnten die Wissenschaftler nun
mehr über die Entwicklungsgeschichte der Gruppe erfahren und etwa bestimmen,
wann die Begegnung der Galaxien begonnen hat und welches Ergebnis sie haben
wird. "Wir haben entdeckt, dass die ältesten Sterne in einigen alten
Kugelsternhaufen bis zu zehn Milliarden Jahre alt sind. Das deutet darauf hin,
dass das System schon einige Zeit existiert", erläutert Sarah Gallagher von der
University of Western Ontario im kanadischen London, die die
Untersuchung leitete. "Bei der Mehrzahl von solchen Zwerggalaxien kam es schon
vor Milliarden von Jahren zu Wechselwirkungen, aber diese kommen zum ersten Mal
zusammen. Das ganze dauert schon einige Hundert Millionen Jahre, was aber nur
ein Wimpernschlag in der kosmischen Geschichte ist. Wir haben hier ein sehr
seltenes lokales Beispiel für Vorgänge, die sich früher sehr häufig abgespielt
haben."
Überall in der Gruppe entdeckten die Astronomen junge Sternhaufen und
Sternentstehungsregionen, in denen gerade unzählige neue Sterne entstehen. Das
gesamte System, so die Untersuchungen, ist äußerst reich an Wasserstoffgas, dem
Grundbaustein von Sternen. Mit Hilfe von Hubbles Advanced Camera for Surveys
untersuchten Gallagher und ihr Team die jüngsten und hellsten dieser
Sternhaufen, um ihr Alter zu bestimmen und mehr über die
Sternentstehungsgeschichte in der Gruppe zu erfahren.
Zusätzliche Informationen über das System kamen vom Infrarotteleskop
Spitzer und von Beobachtungen im Ultravioletten des Galaxy Evolution
Explorers (GALEX). Sie erlaubten es, die gesamte Sternentstehung in dem
System abzuschätzen. "Mit Hubble konnten wir einzelne Sternhaufen
auflösen und so ihr Alter bestimmen", ergänzt Gallagher.
Die Hubble-Beobachtungen ergaben, dass die hellsten Sternhaufen in
dem System, die aus mehr als 100.000 Sternen bestehen, weniger als zehn
Millionen Jahre alt sind. Die Daten zeigten auch, dass in der Gruppe erst sehr
wenig Gas verbraucht ist - ein weiterer Hinweis darauf, dass die Sternentstehung
hier erst vor galaktisch kurzer Zeit eingesetzt hat. "In der Gruppe gibt es etwa
fünf Mal mehr Wasserstoff als in der Milchstraße."
"Dies ist ein eindeutiges Beispiel für eine Gruppe von Galaxien vor der
Verschmelzung. Es gibt hier so viel Gas, das alles durcheinander mischt", so
Gallagher. "Die Galaxien sind relativ klein, etwa so groß wie die Große
Magellansche Wolke, eine Satellitengalaxie der Milchstraße. Bei früheren
Beobachtungen konnte man die Geschwindigkeit der Galaxien bestimmen. Sie bewegen
sich nur mit 60 Kilometern pro Sekunde relativ zueinander. Man kann sich daher
nichts anderes vorstellen, als dass sie in vielleicht einer Milliarde Jahren alle
als eine elliptische Galaxie enden werden."
Unklar ist, warum die Zwerggalaxien erst jetzt miteinander verschmelzen und
in dieser Hinsicht "Spätentwickler" sind. Sie könnten, so eine Vermutung, sich
in einer relativ wenig bevölkerten Region des Universums befinden und deshalb
entsprechend länger gebraucht haben, um sich zu "finden". Die Hickson Compact
Group 31 ist eine von 100 kompakten Galaxiengruppen, die vom kanadischen
Astronomen Paul Hickson katalogisiert wurden. Die Wissenschaftler
veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Untersuchung in der Februar-Ausgabe der
Fachzeitschrift The Astronomical Journal.
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