Dunkle Materie verhält sich anders als erwartet
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
1. Oktober 2009
Eine neue Beobachtung stellt Astronomen vor ein Rätsel.
Demnach scheint zwischen der Verteilung dunkler und sichtbarer Materie in
Galaxien ein unerwarteter Zusammenhang zu bestehen. Nach Ansicht der Forscher
lassen die neuen Daten nur zwei Schlüsse zu: Entweder sind die bisherigen
Annahmen über die Natur der dunklen Materie in einem wichtigen Punkt falsch -
oder es gibt die dunkle Materie gar nicht.
Wird das Universum von dunkler Materie dominiert
oder hat die etablierte Theorie noch deutliche
Lücken?
Bild: STScI / NASA |
Galaxien rotieren so schnell, dass die Sterne in ihnen eigentlich
aufgrund der Fliehkraft auseinander getrieben werden müssten. Das hat die
Physikerin Vera Rubin schon vor 40 Jahren bei Untersuchungen des
Andromeda-Nebels festgestellt. Eine rätselhafte Kraft scheint das jedoch zu
verhindern. Viele Forscher vermuten daher, dass die so genannte dunkle Materie
aufgrund ihrer Masseanziehung die Galaxien zusammenhält. Bislang hat jedoch
niemand diesen mysteriösen Stoff tatsächlich nachweisen können. Es gab
allerdings in den vergangenen Jahren manche weitere, wenn auch indirekte
Hinweise auf die Existenz der dunklen Materie.
Nach der aktuellen Lehrmeinung kann diese im Prinzip nur auf eine einzige
Weise mit "normaler" Materie interagieren: durch Gravitation. Ein europäisches
Forscherteam hat nun jedoch eine erstaunliche Entdeckung gemacht, die dieses
Paradigma in Frage stellt. "Die dunkle und sichtbare Materie in Galaxien
scheinen sich auf eine rätselhafte Weise miteinander auszutauschen", erklärt Dr.
Benoit Famaey. "Die dunkle Materie scheint irgendwie viel zu genau zu 'wissen',
wie die sichtbare Materie in Galaxien verteilt ist."
Der Humboldt-Stipendiat absolviert momentan ein Forschungssemester in der
Arbeitsgruppe von Professor Dr. Pavel Kroupa am Argelander-Institut für
Astronomie der Universität Bonn. Zusammen mit Kollegen aus Belgien, Schottland
und Italien hat er berechnet, wie groß die Menge dunkler Materie in den inneren
Regionen verschiedener Galaxien anhand der Beobachtungsdaten sein müsste. "Dabei
haben wir eine Beziehung zwischen den beiden Materieformen festgestellt, die es
eigentlich gar nicht geben dürfte", sagt er.
Merkwürdigerweise scheinen sich die Sterne im Zentrum großer Galaxien normal
zu verhalten. Man kann sich eine kugelförmige Grenzfläche denken, die das
Zentrum umschließt. Innerhalb dieser Grenzfläche braucht man die dunkle Materie
gar nicht. Außerhalb verhalten sich die Bewegungen der Sterne aber nicht mehr
wie eigentlich erwartet. Das europäische Forscherteam hat nun die Größe der
Grenzfläche zur Gesamtmasse der sichtbaren Materie in Beziehung gesetzt, die von
ihr umschlossen wird. Erstaunlicherweise ist diese so genannte "Flächendichte"
konstant - ein völlig unerwartetes Ergebnis.
Man kann es nämlich so interpretieren, als würde die dunkle Materie erst ab
einer bestimmten Beschleunigung nötig. "Irgendetwas geht da vor, das nicht in
das bisherige Paradigma passt", fasst Famaey das Resultat zusammen. Die Analysen
legen seiner Meinung nach zwei mögliche Erklärungen nahe: Entweder sei die
Interaktion zwischen normaler und dunkler Materie komplexer als bislang gedacht.
Oder - und diese Lösung sei in vielerlei Hinsicht weit einfacher - die
Gravitationsgesetze von Newton und Einstein müssten modifiziert werden. In den
galaktischen Dimensionen würden dann größere Gravitationskräfte wirken.
Der israelische Wissenschaftler Mordehai Milgrom hatte diese Überlegung
bereits 1983 angestellt. "Die jetzigen Beobachtungen decken sich genau mit dem,
was Milgrom vorhergesagt hat", gibt Kroupa zu bedenken. "Sie sind ein weiterer
eindrucksvoller Hinweis, dass die Newtonsche Gravitationstheorie so nicht
stimmen kann."
"Unsere Analysen zeigen, dass die zusätzlich benötigten Gravitationskräfte
sehr stark mit der Verteilung der sichtbaren Materie zusammen hängen", bestätigt
Famaey. "Durch eine Modifikation der Gravitationstheorie ließe sich dieser
Befund problemlos erklären - schließlich wäre dann die sichtbare Materie die
einzige Quelle der Gravitation." Und Kroupa ergänzt: "Im Angesicht dieser
Resultate scheint es immer deutlicher zu werden, dass die heute bekannte Physik
der Galaxien und der Kosmologie ernsthafte Lücken aufweist." Die Untersuchung
der Wissenschaftler erscheint in der Fachzeitschrift Nature.
Andere Astronomen warnen allerdings vor voreiligen Schlüssen. "Die Resultate
deuten schon darauf hin, dass es mehr Wechselwirkungen zwischen normaler und
dunkler Materie gibt als erwartet", sagte Mark Wilkinson von der University
of Leicester der Zeitschrift New Scientist. "Aber es ist noch zu
früh, irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen." Nach Wilkinsons Angaben wäre
es auch möglich, dass normale Materie die dunkle Materie mehr beeinflusst als
vorhergesagt und die dunkle Materie etwa durch Supernova-Explosionen aus dem
Zentrum der Galaxie herausgeblasen werden könnte.
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