Neues Rezept für Zwerggalaxien
von Stefan Deiters astronews.com
20. Februar 2009
Mit Hilfe des Galaxy Evolution Explorers, kurz
GALEX, sind Astronomen jetzt auf ein bislang unbekanntes Rezept für
Zwerggalaxien gestoßen: Sie entdeckten nämlich Systeme, die sich aus nahezu
unberührtem Gas bilden, das vermutlich aus der Anfangszeit des Universums übrig
geblieben ist. Weder Dunkle Materie noch Gas mit schwereren Elemente scheint an
der Entstehung dieser Zwerggalaxien beteiligt zu sein.
Der von
GALEX im Ultravioletten beobachtete Teil des
Leo-Rings. Die sich gerade bildenden
Zwerggalaxien sind markiert. Schwach bläulich ist
die aus Radiodaten des Arecibo-Teleskops
bestimmte Position des Wasserstoff-Gases im
Leo-Ring eingetragen.
Bild: NASA / JPL-Caltech / DSS
[Großansicht]
Gesamtansicht des Leo-Rings. Der obige
Ausschnitt stammt aus dem rechten unteren
Bereich. Die Arecibo-Daten wurden hier über ein
optisches Bild des Digitized Sky Survey gelegt.
Bild: NASA / JPL-Caltech / DSS |
Für die Astronomen war der Fund sehr überraschend, da man bislang
davon ausgegangen war, dass Galaxien in der Regel zusammen mit Dunkler Materie
entstehen oder sich aber aus Gas bilden, in dem sich schon ein gewisser
Anteil an schwereren Elementen befindet. Doch weder Dunkle Materie noch schwerere
Elemente scheinen bei der Entstehung der jetzt aufgespürten Galaxien eine Rolle zu
spielen. Dieser jetzt entdeckte Galaxientyp könnte im jungen Universum sehr viel
häufiger anzutreffen gewesen sein, da früher deutlich mehr unberührtes Gas zur
Verfügung stand.
Die Astronomen spürten die ungewöhnlichen Galaxien im sogenannten Leo-Ring
auf,
einer gewaltigen Wolke aus Wasserstoff- und Heliumgas, die zwei massereiche
Galaxien im Sternbild Löwe umgibt. Bei dem Ring handelt es sich sehr
wahrscheinlich um Material, das aus der Frühzeit des Universums übrig geblieben
ist und die Zeit relativ unverändert überstanden hat. Der Leo-Ring wurde vor
rund 25 Jahren entdeckt und ist im sichtbaren Bereich des Lichtes nicht zu
beobachten.
"Dieses Objekt wurde wiederholt von den besten Teleskopen auf der Welt im
Optischen und im Radiobereich untersucht", erläutert David Thilker von der
amerikanischen Johns
Hopkins University. "Doch trotz des ganzen Aufwands wurde außer dem Gas nichts
darin entdeckt. Keine Sterne, weder junge noch alte, konnte man sehen. Aber als
wir uns den Ring mit dem Galaxy Evolution Explorer anschauten, der sehr
empfindlich im ultravioletten Bereich des Lichts ist, fanden wir eindeutige
Spuren von starker Sternentstehung. Das war vollkommen
überraschend. Wir wurden Zeuge davon, wie eine Galaxie entsteht, allein aus
einer Wolke aus ursprünglichem Gas."
Thilker und seine Kollegen fanden im Ultravioletten eindeutige Spuren
von jungen Sternen, die gerade aus mehreren Gasklumpen des Rings entstehen. "Wir
vermuten, dass es sich bei diesen jungen stellaren Komplexen um Zwerggalaxien
handelt, obwohl frühere Untersuchungen dieser Gasklumpen mit Radioteleskopen
gezeigt haben, dass es in diesen Klumpen keine Dunkle Materie gibt", erklärt
Thilker. "Fast alle Galaxien, die wir kennen, bestehen überwiegend aus Dunkler
Materie. Sie dient quasi als Kondensationskeim für die Ansammlung von normaler,
leuchtenden Materie, wie Sterne, Gas und Staub. Was wir nun im Leo-Ring
beobachten ist eine neue Form der Entstehung von Zwerggalaxien aus Material, das
von der deutlich früheren Entstehung der Galaxiengruppe übrig geblieben sein
muss."
In unserer Umgebung gibt es drei große Galaxien: unsere Milchstraße und die
Andromeda-Galaxie mit Hunderten von Milliarden Sternen sowie den Dreiecksnebel
mit einigen zehn Milliarden Sternen. Außerdem verfügt unsere "lokale Gruppe" noch
über mehr als 40 kleinere Zwerggalaxien, in denen sich nur einige Milliarden Sterne
finden.
Alle diese Galaxien bestehen zu einem wesentlichen Teil aus Dunkler Materie, die
man durch ihren gravitativen Einfluss auf die Galaxien entdecken kann.
Es gibt allerdings Zwerggalaxien, die kaum Dunkle Materie enthalten: Sie
entstehen bei Galaxienkollisionen aus Gas der beteiligten Systeme, das ins All
geschleudert wurde und so den Halo aus Dunkler Materie verlassen konnte, die die
Galaxien normalerweise umgibt. Es handelt sich bei diesem Gas aber um kein
"frisches" Material, so dass es schon über einen höheren Anteil an schwereren
Elementen verfügt, die erst durch Sterne und deren Entwicklung produziert werden.
Die im Leo-Ring gefundenen Galaxie ähneln also wegen des Fehlens von
Dunkelmaterie den Zwerggalaxien, die in Folge von Kollisionen entstehen,
unterscheiden sich aber gleichzeitig in einem wichtigen Punkt: "Die
Zwerggalaxien im Leo-Ring sind aus viel unberührterem Material gemacht, ohne
schwerere Elemente", so Thilker. "Dank dieser Entdeckung können wir nun die
Entstehung von Sternen in Material studieren, das noch nicht angereichert
wurde."
Solches unangereicherte Material sollte es gerade im jungen Universum sehr
häufig gegeben haben, so dass sich da draußen noch viele unentdeckte
Zwerggalaxien ohne Dunkelmaterie befinden könnten. Ihre Ergebnisse
veröffentlichten die Astronomen in der gestrigen Ausgabe der
Wissenschaftszeitschrift Nature.
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