Gammastrahlen-Uhr in der Milchstraße
Redaktion / MPG
astronews.com
21. November 2006
Mithilfe der europäischen H.E.S.S.-Teleskope in Namibia entdeckten Forscher nun
eine pulsierende Gammastrahlenquelle in unserer Milchstraße. Die Gammastrahlung,
die von diesem Doppelsternsystem ausgeht, ändert sich regelmäßig und ist somit
die erste am Himmel aufgespürte Gammastrahlen-Uhr. Aus den Beobachtungen hoffen
die Forscher mehr über die Vorgänge in der Nähe eines Schwarzen Lochs oder
Pulsars erfahren zu können.
Astrophysiker des H.E.S.S. Teleskop-Systems in Namibia haben erstmals
pulsierende höchstenergetische Gammastrahlung in unserer Galaxis nachgewiesen.
Bisherige Beobachtungen pulsierender Quellen waren auf 100.000 Mal kleinere
Energien beschränkt. Quelle der Strahlung ist ein Doppelsternsystem mit dem
Katalognamen LS 5039, in dem ein kompakter Körper - ein Neutronenstern oder ein
Schwarzes Loch - in nur vier Tagen auf einer exzentrischen Bahn um einen blauen
Riesenstern rast. Der blaue Stern hat eine zwanzig Mal größere Masse als unsere
Sonne, sein Begleiter "wiegt" einige Sonnenmassen.
Die Intensität der Gammastrahlung pulsiert mit einer Periode von vier Tagen,
entsprechend der Umlaufzeit des Begleitsterns. Mit dem Abstand der beiden Sterne
ändern sich offensichtlich auch die Bedingungen für die Beschleunigung
hochenergetischer Teilchen und für die Abstrahlung von Gamma-Quanten. Je nach
Orientierung der beiden Sterne kann die Gammastrahlung auch in dem intensiven
Licht des blauen Riesensterns "stecken bleiben". Diese Entdeckung zeigt, dass
der kosmische Teilchenbeschleuniger in LS 5039 für astronomische Maßstäbe sehr
kompakt gebaut ist - er kann nicht viel größer sein als der Abstand Sonne-Erde
und erlaubt neue Einsichten in die Prozesse in solch extremen Regionen der
Milchstraße. Die Wissenschaftler veröffentlichen ihre Arbeit in der kommenden
Ausgabe der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
Viele Sterne in unserer Galaxis bilden Doppelsternsysteme; Einzelsterne wie
unsere Sonne sind eher eine Ausnahme. Aber selten kommen sich Doppelsterne so
nahe wie in LS 5039: Der Abstand der beiden Sterne beträgt nur einen Bruchteil
des Abstands zwischen Erde und Sonne und der kleinste Abstand auf der
exzentrischen Bahn des Begleiters entspricht der doppelten Größe des blauen
Sterns. Eine Umkreisung des Riesensterns dauert nur knapp vier Tage.
LS 5039 wurde erst 2005 als Quelle hochenergetischer Gammastrahlung entdeckt
(astronews.com berichtete). In neueren umfangreichen Beobachtungen haben die
H.E.S.S.-Astrophysiker jetzt eine zyklische Veränderung der Intensität der
Gammastrahlung entlang der Bahn des Begleitsterns nachgewiesen; LS 5039 ist
damit die erste "Uhr" am Gammastrahlen-Himmel.
Die Gammastrahlung dieser Quelle ist am stärksten, wenn der kompakte
Begleitstern von der Erde aus gesehen "vor", und am schwächsten, wenn er
"hinter" dem blauen Stern steht. Da die Bahnebene aber gegen die Sichtlinie
gekippt ist, kann es sich dabei nicht um einen reinen Abschattungseffekt
handeln. "Dazu kommt, dass sich auch das Spektrum der Gammastrahlen entlang des
Orbits ändert: Vor dem blauen Stern ist die Strahlung sehr viel härter, also
energiereicher", bemerkt Gavin Rowell vom Max-Planck-Institut für Kernphysik.
Diese Gammastrahlung entsteht vermutlich, wenn der Sternenwind des blauen
Riesensterns auf seinen Begleitstern trifft. Dieser Sternenwind entspricht
unserem "Sonnenwind", der zum Beispiel die Nordlichter verursacht, ist aber
wegen der heißen Atmosphäre des blauen Sterns sehr viel intensiver. In der
turbulenten Kollisionszone können Elementarteilchen auf höchste Energien
beschleunigt werden, die ihrerseits dann die beobachteten Gammaquanten
abstrahlen. Taucht der Begleitstern entlang seiner exzentrischen Bahn immer
tiefer in den Sternenwind und in das intensive Licht des blauen Sterns ein,
ändern sich die "Arbeitsbedingungen" für den kosmischen Beschleuniger und damit
auch Intensität und Energiespektrum der Gammastrahlung. Der Begleitstern dient
auf diese Weise quasi als Messinstrument für jene extremen Naturprozesse, die
sich in der Nähe des blauen Sterns abspielen.
Zur Modulation der Gammastrahlung trägt auch noch ein anderer geometrischer
Effekt bei: Seit Einsteins berühmter Gleichung E=mc² wissen wir, dass Strahlung
und Materie ineinander umgewandelt werden können. Genau dies passiert, wenn ein
Gammaquant auf Licht des blauen Sterns trifft und ein Elektron-Positron-Paar
entsteht. Das Sternenlicht stellt daher eine Art Nebel dar, durch den die
Gammastrahlung hindurch muss, wenn der Begleitstern hinter dem blauen
Riesenstern steht. "Diese periodische Abschwächung der Gammastrahlung ist ein
schönes Beispiel für die Erzeugung von Materie durch Strahlung, aber
andererseits macht der Effekt es schwieriger für uns, den Teilchenbeschleuniger
direkt zu sehen", so Guillaume Dubus vom Observatorium Grenoble, LAOG.
Die vom H.E.S.S.-Team beobachtete Modulation der Strahlung ist daher
vermutlich eine Kombination zweier Effekte, nämlich aus der Änderung der
Bedingungen für die Teilchenbeschleunigung entlang der Bahn des Begleitsterns
und dem "Nebel", den das intensive Sternenlicht für die Gammastrahlung
darstellt. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Gamma-Astronomie bei höchsten
Energien können wir mit einem kosmischen Beschleuniger quasi experimentieren und
sehen, wie er auf die sich periodisch verändernde Umgebung reagiert", sagt
Mathieu de Naurois vom Institut für Kern- und Hochenergiephysik LPNHE in Paris.
Die neue Entdeckung und die genauen Messungen des H.E.S.S.-Teams helfen, jene
Prozesse besser zu verstehen, die sich in der Umgebung stellarer Schwarzer
Löchern und Neutronensterne abspielen und zu einem kosmischen
Teilchenbeschleuniger führen.
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