Oftmals sehen sich Astrophysiker mit der Frage konfrontiert, was
ihre Arbeit denn eigentlich der Menschheit nützt. Die Europäische
Weltraumagentur ESA liefert immer wieder erstaunliche Antworten darauf: So
haben ESA-Wissenschaftler bei der Entwicklung von Sensoren für die
Röntgenstrahlung von Himmelsobjekten eine Kamera entworfen, die sich als
mächtige neue Waffe im Kampf gegen Krebs erweisen könnte.
Der Kamerachip mit dem Galiumarsenid-Detektor
(Vergrößerung unten).
Foto: ESA |
Eine wirksame Krebsbehandlung hängt von der frühzeitigen Erkennung und
Beseitigung von Krebszellen ab. In diesem Stadium sind sie aber am
schwersten aufzuspüren. Bei Brustkrebs - heute fast überall die häufigste
Krebsart - sammeln sich Krebszellen meist in den Lymphknoten an, von wo
sie sich rasch im ganzen Körper ausbreiten. Die gegenwärtig verfügbaren
medizinischen Geräte geben den Ärzten über den Zustand des Gewebes nur
wenig Auskunft. Deshalb muss ein Chirurg in einem exploratorischen
Eingriff versuchen, das erkrankte Gewebe ausfindig zu machen. Wenn dies
gelingt, lässt sich das befallene Gewebe chirurgisch entfernen. Kann der
befallene Bereich nicht abgegrenzt werden, ist der Arzt möglicherweise
gezwungen, das gesamte lymphatische System herauszuschneiden. Eine solch
drastische Behandlung kann dann Nebenwirkungen wie übermäßige
Gewichtszunahme hervorrufen, weil der Hormonhaushalt des Patienten gestört
ist.
Im Zentrum für Weltraumforschung und -technik (ESTEC) der ESA in den
Niederlanden haben nun Mitarbeiter der für die Entwicklung von
Technologien für wissenschaftliche Nutzlasten verantwortlichen Abteilung
eine neue Röntgenkamera entworfen, die Sofortdiagnosen erstellen und
krebsbefallenes Gewebe für Chirurgen erkenntlich machen könnte. Wichtig
ist, dass es sich um eine kleine Vorrichtung handelt, die bei Operationen
ständig eingesetzt werden könnte. "Die von uns entworfene Kamera
funktioniert nicht wie ein herkömmlicher Fotoapparat, sondern völlig
digital, so dass der Chirurg das gesamte lymphatische System und die
möglicherweise krebsbefallenen Bereiche auf dem Bildschirm untersuchen
kann. Dann entscheidet er, welcher Teil entfernt werden muss", sagt Dr.
Tone Peacock, Leiter der Abteilung Nutzlasttechnologie.
Das ESA-Team hatte nach einer Lösung zur Herstellung von Bildaufnahmen
unter Verwendung hochenergetischer Röntgenstrahlen gesucht, weil manche
Himmelskörper wenig sichtbares Licht, dafür aber große Mengen von
Röntgenstrahlung abgeben. Um diese sehen zu können, benötigen die
Astronomen Röntgenkameras. Bisher waren die Astronomen in diesem Bereich
aber eher mit Blindheit geschlagen. Das gegenwärtig in der Umlaufbahn
befindliche Röntgenteleskop der ESA, XMM-Newton, beobachtet
niederenergetische - die so genannte "weiche" - Röntgenstrahlung. Als
Nachfolger des erfolgreichen XMM-Newton wünschen sich die
europäischen Wissenschaftler einen Satelliten mit der Bezeichnung XEUS,
der Aufnahmen von der hochenergetischen "harten" Röntgenstrahlung machen
kann, doch fehlte ihnen eine zuverlässige Kamera - bis heute.
Die Forscher im ESTEC haben erstmals einen Mikrochip hergestellt, der den
in Videokameras üblichen Typen ähnelt, aber für harte Röntgenstrahlung
statt für sichtbares Licht empfindlich ist. Neu an ihm ist, dass er nicht
aus Silizium, sondern aus einer chemischen Verbindung namens "epitaktisches
Galliumarsenid" hergestellt ist. Dieser neue Werkstoff wurde unter der
Leitung des ESA-Mitarbeiters Dr. Marcos Bavdaz nach den sehr hohen
Anforderungen solcher Sensoren für harte Röntgenstrahlung entwickelt. Der
Sensorprototyp hat gerade eine umfassende Erprobung in einer deutschen
Röntgenprüfeinrichtung (HASYLAB) bestanden.
Es mag überraschen, dass die medizinische Aufnahmetechnik Gemeinsamkeiten
mit der Beobachtung hochenergetischer Röntgenstrahlung aus dem Weltraum
aufweist. Harte Röntgenstrahlen sind aber die einzige Strahlungsart, die
den menschlichen Körper durchdringt. Dr. Alan Owens, der an dem
Forschungsvorhaben in der ESA eng beteiligt ist, erläutert: "Für das
lymphatische System wird eine radioaktive Kontrastflüssigkeit in den
Brusttumor oder in dessen Nähe eingespritzt. Das Kontrastmittel markiert
diejenigen Teile des Systems, die von Krebs befallen sind. Mit einer
kleinen Kamera kann dann das Krebsgewebe während der Operation abgebildet
werden."
Das ESA-Team wurde sich sehr bald bewusst, dass ihre Arbeit zu besserem
medizinischem Gerät führen könnte, und holte fachlichen Rat ein. "Wir
stehen mit Medizinern im Universitätsklinikum Leiden in Verbindung, die
die Ergebnisse unserer Arbeit testen und begutachten", so Owens. Eine
kleine, leichte Röntgenkamera wäre eine sehr wichtige Ergänzung des
Instrumentariums, das dem Chirurgen zur Verfügung steht. Nach der
Herstellung des Sensors als Kernstück der Kamera muss nun ein System
entwickelt werden, das die Aufnahmen in Echtzeit auf einem Fernsehschirm
darstellt. "An dieser Entwicklung arbeiten wir jetzt mit Industriepartnern
wie der Firma Metorex, einem Forschungs- und Entwicklungsunternehmen in
Finnland," fügt Peacock hinzu. Wenn die ESA als gemeinnützige Organisation
die Technologie für diese Röntgenkamera voll entwickelt hat, ist ihre
Aufgabe erfüllt. Dann ist es Sache der Industriepartner, eine medizinisch
einsatzreife Kamera zu produzieren. Die ESA wird ihren Entwurf in
abgewandelter Form nutzen, um den europäischen Astronomen einen neuen
Einblick ins Universum zu vermitteln.
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