Neustart für HERA
Redaktion
astronews.com
31. Juli 2001
Seit Sonntag ist Deutschlands größtes Forschungsinstrument, der
Teilchenbeschleuniger HERA, wieder im Einsatz. Durch einen neunmonatigen
Umbau sollte die "Trefferrate" des Geräts, das am Hamburger Deutschen
Elektronen Synchrotron (DESY) in Hamburg betrieben wird, um das
Vierfache erhöht werden. Viermal mehr Teilchen werden zukünftig unter
Hamburgs Erde kollidieren, was Zugang zu neuen und seltenen Prozessen
schafft.
Blick in den HERA-Tunnel.
Foto: DESY |
Diese Leistungssteigerung wird den Blick des "Super-Elektronenmikroskops"
HERA für Teilchen und Kräfte jenseits der gängigen physikalischen Theorie, dem
Standard-Modell, weiter schärfen. "Wir stoßen in Neuland vor und erwarten
deshalb, neue Dinge zu sehen, ebenso, wie man in einem normalen Mikroskop
Überraschendes sieht, wenn man eine stärkere Lichtquelle einbaut", erläutert
Prof. Albrecht Wagner, Vorsitzender des DESY-Direktoriums.
Die bisherigen
Untersuchungen an HERA haben zum Beispiel ergeben, dass das Proton ein reiches
Innenleben aus Quarks und Gluonen besitzt. Mit der erhöhten HERA-Trefferrate
wird es möglich sein, diese Struktur in Dimensionen, die 2000-mal kleiner sind
als das Proton selbst, mit hoher Genauigkeit zu erforschen. Damit lässt sich
beispielsweise der Frage nachgehen, ob Teilchen wie die Quarks eine
Unterstruktur aufweisen - also möglicherweise gar nicht elementar sind, wie wir
heute annehmen.
120 Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure waren von September 2000 bis
Mitte Mai 2001 mit den HERA-Umbauten beschäftigt. 480 Meter Vakuumsystem mussten
ausgetauscht, knapp 80 Magnete neu konstruiert und eingebaut werden, jeder von
ihnen zwischen einem und vier Meter lang und bis zu sieben Tonnen schwer. Die
neuen Magnete werden die Querschnitte der Teilchenstrahlen, die HERA
beschleunigt, unmittelbar vor der Kollision auf ein Drittel ihrer bisherigen
Fläche zusammendrücken: von einem hundertstel Quadratmillimeter auf winzige drei
tausendstel Quadratmillimeter.
Diese Präzisionsarbeit erforderte eine aufwendige
Neugestaltung der beiden Kollisionszonen, in denen die Teilchen aufeinander
prallen - also genau jener Stellen, die ohnehin zu den technisch
anspruchsvollsten der Anlage gehören. Doch der Aufwand lohnt, denn die
Wahrscheinlichkeit, dass die in HERA beschleunigten Elektronen und Protonen
zusammenstoßen, wird dadurch deutlich größer.
Dann können die Teilchenphysiker
auch extrem seltene Prozesse mit für die Statistik ausreichender Häufigkeit
beobachten. Allerdings steigt damit auch die Flut an uninteressanten Prozessen.
Daher mussten HERAs hausgroße Nachweisgeräte technisch ebenfalls aufgerüstet
werden, so dass sie noch schneller und effektiver entscheiden können, welche
Teilchenreaktionen wirklich interessant sind.
Eine Hightech-Anlage wie HERA wieder in Betrieb zu nehmen, geht nicht einfach
auf Knopfdruck. Auf den Bruchteil eines Millimeters genau muss alles passen,
damit die haarfeinen Teilchenstrahlen an den Kollisionspunkten tatsächlich
aufeinander treffen. Auch ihr "Timing" muss auf Milliardstel Sekunden genau
stimmen - schließlich nützt es wenig, wenn ein Teilchenpaket am Kollisionspunkt
eintrifft, während sich sein Gegenstück woanders befindet.
In den nächsten
Monaten wird das HERA-Team die Teilchenstrahlen deshalb zunächst einzeln in den
Beschleuniger "einfädeln" und optimieren, bevor man sich an die ersten
Kollisionen wagt. Bis November sollte alles bereit sein, um die Intensität der
Strahlen langsam zu steigern und damit die Trefferrate der Teilchen auf den
geplanten vierfachen Wert zu bringen. Zur Routine wird der HERA-Betrieb mit der
neu gewonnenen hohen Leistung dann bereits Anfang des Jahres 2002.
Die Hadron-Elektron-Ring-Anlage HERA ist der größte Teilchenbeschleuniger bei
DESY in Hamburg und seit 1992 im Forschungsbetrieb. HERA ist der erste und
einzige Speicherring, in dem zwei Arten von Materieteilchen miteinander
kollidieren: Protonen und Elektronen. HERA besteht aus zwei ringförmigen,
jeweils 6,3 Kilometer langen Beschleunigern in einem unterirdischen Tunnel. An
zwei Experimenten untersuchen Teilchenphysiker die Zusammenstöße zwischen den
Protonen und Elektronen, die wie winzige Sonden das Innere der ungleich
schwereren Protonen abtasten.
Zwei weitere Experimente nutzen jeweils nur einen
der Teilchenstrahlen. Jeweils etwa 400 Physiker aus 50 Instituten aus zwölf
Ländern analysieren die Spuren der Teilchenkollisionen, von denen sich Millionen
pro Sekunde in jedem der großen Nachweisgeräte abspielen. Das Ziel: dem
Innenleben des Protons und den fundamentalen Kräften auf die Spur zu kommen.
Dabei ermöglicht das "Super-Elektronenmikroskop" HERA den weltweit schärfsten
Blick ins Proton.
|