Geodäten in der Kerr-Raumzeit

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Bernhard

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Hallo zusammen,

ich hätte da nach langer Zeit mal wieder ein "Problemchen" mit der Kerr-Metrik. Über den zugehörigen Wikipedia-Artikel hat mich der dortige Autor "Yukterez" auf die Arbeit von Prof. J. Levin aufmerksam gemacht: https://arxiv.org/abs/0802.0459 . Auf Seite 33 dieser Arbeit wird ein sehr interessantes Gleichungssystem angegeben, das relativ leicht numerisch zu integrieren ist. Prof. Levin hat daraus dann scheinbar auch eine Klassifizierung der zugehörigen Lösungen, bzw. Geodäten vorgenommen. Bei wolframalpha gibt es sogar ein Demo-Projekt, wo man mit diesen Geodäten auch selbst experimentieren kann.

Soweit ist das alles ganz interessant. Aber: Ich habe mal zu Testzwecken bei diesen Gleichungen den Kerr-Parameter a und den Drehimpuls des Testkörpers auf Null gesetzt. Die Gleichungen sollten dann den freien und radialen Fall eines Testkörpers in ein "Schwarzschild-Loch" beschreiben, was wir hier im Forum ja auch schon oft diskutiert haben.

Jetzt kommt meine Frage: Diese derart reduzierten Gleichungen stimmen eigenartigerweise nicht mit den Gleichungen aus dem Fließbach überein?? Ich hänge da jetzt schon länger als eine Woche daran und komme einfach nicht weiter, obwohl die verbleibenden zwei Gleichungen eigentlich ziemlich übersichtlich sind.

Die Gleichungen von J. Levin reduzieren sich meiner Meinung nach auf:
$$p^r = \frac{dr}{d\tau} = \left(1-\frac{r_S}{r}\right)p_r$$
$$\dot{p_r} = -\frac{r_S}{2r^2}p_r^2-\frac{E^2r_S}{(r-r_S)^2}$$

In dem Lehrbuch von T. Fließbach "Allgemeine Relativitätstheorie" findet man nun für den radialen, freien Fall die folgende Gleichung:
$$\dot{r}^2 = E^2-1+\frac{r_S}{r}$$

Daraus folgt durch Differentiation nach der Eigenzeit gemäß meiner Rechnung:
$$\dot{p_r} = -\frac{r_S}{r^2}p_r^2-\frac{r_S}{2r(r-r_S)}$$

Die Unterschiede sind nicht wirklich groß, aber doch auch wesentlich, weil in dieser Gleichung die Energie des Testkörpers als Parameter gar nicht vorkommt. Der Punkt kennzeichnet jeweils die Differentiation nach der Eigenzeit \( \tau \), \( r_S \) ist, wie üblich, der bekannte Schwarzschild-Radius. Bei J. Levin wird dieser der Einfachheit halber auf 2 gesetzt.

Hat jemand eine Idee?

@Ich: Ich habe Dir diese Frage vorab auch als PN geschickt. Bitte die PN bei Bedarf einfach löschen.
 

Bernhard

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$$\dot{p_r} = -\frac{r_S}{2r^2}p_r^2-\frac{E^2r_S}{(r-r_S)^2}$$
Auch die Energieabhängigkeit der Fallbeschleunigung kommt mir sehr eigenartig vor...

Zum Glück gibt es auch noch die Gleichungen aus dem MTW. Die passen zu den Geodäten in der Schwarzschild-Raumzeit, sind aber wegen den Wurzeln schwerer numerisch zu verwerten.
 

Bernhard

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Ich schau's mir mal an, wenn ich Zeit habe.
Vielen Dank.

In der Arbeit steht noch, dass neben dem Gleichungssystem von Seite 33 auch die Standard-Geodätengleichung (?) integriert wurde, um zu testen. Insofern muss man die Gleichung wohl nur richtig interpretieren?
 

Bernhard

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Hallo Ich,

ich habe nun den von J. Levin vorgestellten Hamilton-Formalismus für die Schwarzschildmetrik direkt getestet. Ich erhalte auch dort die gewünschten Gleichungen erst dann, wenn ich zusätzlich die Gleichung \(\mathcal{L} = -1/2\) berücksichtige. In (A17) hat sich zudem ein Tippfehler (?) eingeschlichen. Anstelle der beiden \(q_i\) sollte dort jeweils \(q^i\) verwendet werden. In den Gleichungen (A18) - (A20) wird das zumindest genau so angewendet. Dieser (Tipp)fehler ist umso ärgerlicher, weil die Autoren am Anfang des Abschnittes A2 noch korrekt auf obere und untere Indizes eingehen.
 
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Ich

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Sorry, bin kaum dazu gekommen. Dein unteres Ergebnis kriege ich auch raus. Bei Levin muss ich nochmal schauen, das ist ein ewiges hin und her mit den ganzen Buchstaben und Konventionen. Wenn auch noch ein Tippfehler drin ist, auweh. Aber wenn ich dich richtig verstehe, hast du's eh schon gelöst?
 

Bernhard

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Hallo Ich,

Aber wenn ich dich richtig verstehe, hast du's eh schon gelöst?
es geht mir um mehrere Punkte:

1) Wie ist der Hamilton-Formalismus auf die allgemeine Relativitätstheorie zu übertragen?
-> Abgesehen von dem leicht zu korrigierenden Fehler, vermutlich so wie es bei J. Levin beschrieben wird. Getestet habe ich es an der Schwarzschildmetrik mit den zugehörigen Geodäten in der äquatorialen Ebene mit Theta = pi / 2.

Jetzt die entscheidende Frage
2) Stimmen die Gleichungen (A18)-(A20)? Ist die zugehörige Herleitung in Ordnung?
-> Da habe ich nachwievor so meine Zweifel.

3) Was taugen die vielen netten Bildchen in dem Paper von J. Levin und was taugt die zugehörige Klassifizierung der Geodäten?
-> Muss man 2) mit Nein beantworten, müsste - so gesehen - praktisch das gesamte Paper überarbeitet werden.

3a) Was taugen die Demos bei Wolframalpha
-> Da alle diese Demos erneut auf (A18)-(A20) zugreifen, müssten auch diese Demos überarbeitet werden.

Da Yukterez das Paper von J. Levin auf Wikipedia gerade (sehr indirekt) in mehreren Artikeln sehr stark bewirbt, geht es dabei aktuell um eine relativ große Leserschaft. Deshalb sollte es sich lohnen diese Fragen zu klären. Sollten wir hier nicht weiterkommen und auch TomS nichts beitragen, kann ich auch versuchen J. Levin direkt anzumailen. Normalerweise freuen sich die Autoren ja über Feedback und Interesse. Ich möchte dabei aber vermeiden, dass ich grundlegende Dinge übersehe.
 

Bernhard

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Ich erhalte auch dort die gewünschten Gleichungen erst dann, wenn ich zusätzlich die Gleichung \(\mathcal{L} = -1/2\) berücksichtige.
Hallo zusammen,

genau das scheint die "Knackwurst" zu sein. Die Berücksichtigung dieser Gleichung vereinfacht zwar die Formeln, bringt dafür aber eine numerisch äußerst unangenehme Wurzel in das System. Die Idee ist also, eben diese Gleichung nicht zu berücksichtigen und nur die Hamilton-Gleichungen zu benutzen. Man kann auch mit dieser Bedingung den Übergang Kerr -> Schwarzschild prüfen, aber der scheint in Ordnung zu sein. Es ist im Wesentlichen reine Algebra.

Die Kunst liegt damit nur noch darin, die passenden Anfangsbedingungen in das Gleichungssystem zu stecken, da in (A18)-(A20) auch die lichtartigen Geodäten enthalten sind.

Meine ursprüngliche Frage ist damit erst mal weitgehend beantwortet :) .
 

Ich

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Ich habe zwischenzeitlich auch dein anderes Ergebnis nachgerechnet und komme auf dasselbe. Ich verstehe den Unterschied zwischen den beiden nicht. Andererseits habe ich mich nicht eingelesen, und wenn du keine Fragen mehr hast, dann lasse ich das auch bleiben.
 

Bernhard

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Ich verstehe den Unterschied zwischen den beiden nicht.
Hallo Ich,

eventuell kann ich diesen Unterschied in den nächsten Wochen noch etwas näher mit einer Runge-Kutta-Simulation untersuchen. In ewa weiß ich jetzt ja, wie diese Gleichungen anzuwenden sind.

Vielen Dank für die Unterstützung.
 

Bernhard

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Hat jemand eine Idee?
Hallo zusammen,

ich habe die Lösung gefunden. Mit einer einfachen Differentiation ist es nicht getan. Man muss die Gleichung \(-1=g^{\mu\nu}p_{\mu}p_{\nu}\) verwenden. Bei einem radialen, freien Fall gilt \(p_{\Theta} = 0, p_{\Phi} = 0, p_t = E\). Das setzt man in diese Gleichung ein und löst nach \(p_r\) auf. Dann differenziert man nach der Eigenzeit und erhält die gesuchte Gleichung für \(\dot{p_r}\).

Mich hat bei dem Paper von J. Levin ziemlich überrascht, dass die Testkörper doch relativ "unsymmetrische" Pirouetten drehen.

EDIT: Ich habe inzwischen den Hamilton-Formalismus mit Schwarzschild-Metrik auch gut in einem Programm mit einer Runge-Kutta-Implementierung einsetzen können, so dass man die Periheldrehung enger Orbits deutlich sehen konnte.

Hier noch eine Präsentation über die Arbeit von J. Levin et al.: http://elmer.tapir.caltech.edu/cajagwr/pdf/levin.pdf

Hier auch noch die Homepage von J. Levin: http://jannalevin.com/ (sehenswert, mit etlichen Clips)
 
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Bernhard

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Nach der Werbung für J. Levin mal wieder ein paar Infos zum Thema.

Bei den Gleichungen zum freien Fall haben sich die Widersprüche zwar gelöst, allerdings habe ich bei weitergehenden Rechnungen neue "Fragezeichen" gefunden.

Eine "Brute force"-Rechnung mit dem Hamiltonian gemäß (A13) ist für die Schwarzschild-Metrik relativ leicht durchzuführen und zur Nachahmung empfohlen. Die zugehörigen Gleichungen scheinen wie maßgeschneidert für eine numerische Integration. Ich habe diese Gleichungen, wie gesagt, bereits in eine Runge-Kutta-Implementierung eingebaut und man kann mit dieser Simulation sofort einige bekannte Eigenschaften dieser Geodäten grafisch sehr ansprechend nachstellen. Periheldrehung, Einfang von Lichstrahlen, zirkulare Orbits von Lichtstrahlen bei r = 3/2 r_S konnten mit der Simulation nachgestellt werden.

Leider reduziert sich das Gleichungssystem von Seite 33 für a=0, Q=0 und theta = pi/2 (also einen Bewegung in der äquatorialen Ebene) nicht auf die Ergebnisse (m)einer "Brute force"-Rechnung. Eine Runge-Kutta-Integration liefert keine vernünftigen Bahnen. Aus Zeitgründen möchte ich das hier nicht aufschreiben, sondern möchte das nur als Tipp für diejenigen verstanden wissen, die hier selber mitrechnen und eventuell auch mitprogrammieren wollen. Dass ich mich verrechnet habe, kann ich nicht ausschließen, aber da die Differentiationen bei (A18)-(A20) insbesondere bei der zweiten Gleichung des Systems auf ziemlich längliche Terme führen, empfehle ich auch für die Kerr-Metrik eine direkte Rechnung von der Kerr-Metrik in Boyer-Lindquist-Koordinaten weg. Man kann das Ergebnis dann sofort mit der "Brute force"-Rechnung mit Schwarzschild-Metrik vergleichen und hat damit eine sehr gute Kontrolle der Ergebnisse. Im Vergleich zu (A18)-(A20) finde ich diese Gleichungen sogar etwas übersichtlicher.

Ich werde deshalb (A18)-(A20) vorerst nicht weiter verwenden, sondern lieber die direkte Rechnung über die Metrik verwenden.
 
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Bernhard

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Ich werde deshalb (A18)-(A20) vorerst nicht weiter verwenden, sondern lieber die direkte Rechnung über die Metrik verwenden.
Inzwischen habe ich es programmiert und die Ergebnisse sind ziemlich interessant. Man kann beispielsweise den Einfluss des Kerr-Paramters auf die Periheldrehung anschauen und sieht auch recht schön die bekannte Eigenschaft der Ergosphäre.

Die vielen Bildchen aus dem Paper von J. Levin konnte ich näherungsweise nachstellen, allerdings mit einigen kleineren Differenzen. Die geschlossenen Orbits bei J. Levin haben bei mir oftmals noch eine zusätzliche Periheldrehung.

Zuletzt noch einige Youtube-Clips:

Super Raytracing-Simulationen eines Kerr-Loches: https://www.youtube.com/watch?v=hdJRjihJpCs in Anlehnung an den Kino-Film "Interstellar".

Vortrag von Reinhard Genzel: https://www.youtube.com/watch?v=SFgczdMLW4g mit einem interessanten Ausblick am Ende, über das, was man sich bei der ESO für die nächsten Jahre mit GRAVITY so alles vorgenommen hat. Ich denke, über die Vermessung des Spins des Schwarzen Loches in unserer Milchstraße dürfte astronews wohl berichten, allerdings müsste man dazu wohl erneut dem Schwarzen Loch beim "Fressen" zusehen, so wie es schon mal geschehen ist, als eine Gaswolke sehr nahe an diesem Schwarzen Loch vorbeizog.
 
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Yukterez

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