Hallo Tom,
die unitäre Dynamik verschiebt doch lediglich die Wellenfunktion in der Zeit. Eine Verzweigung von Welten vermag ich da auch bei bestem Willen nicht zu erkennen.
Tja, vielleicht weil wir unter "Verzweigung" alle was anderes verstehen? Es ist halt ein Name für das, was passiert. Lass' uns bitte nicht über ungeeignete Worte streiten. Die VWI sagt, dass alle "Komponenten", "Zweige", ... die unter Zeitentwicklung eines Zustandes entstehen, real bleiben, dass nichts verschwindet oder kollabiert.
Nehmen wir einen Quantenobjekt, z.B. ein Q-Bit, das die zwei Eigenzustäne
|0> und
|1> annehmen kann. Präparieren wir einen verschränkten Zustand
|q> = |0> + |1>. Nun konstruieren wir ein Messgerät, das bei Registrierung des Quantenzustandes
|0> den Zeiger-Zustand
|Null> anzeigt, sowie bei Registrierung des Quantenzustandes
|1> den Zeiger-Zustand
|Eins>. Offensichtlich sehen wir nie einen verschränkten Zeiger-Zustand, sondern immer nur einen klassischen Zustand (auf einer Skala, einem Digitaldisplay o.ä.). Warum?
Zunächst ist wird unser Gesamtsystem (unter Vernachlässigung der Umgebungsfreiheitsgrade) durch einen Dichteoperator
ρ = |q>|Init><Init|<q|
beschrieben. Init sei der Initialzustand des Zeigers vor der Messung. Nach der Messung liegt (nach Vernichtung des Q-Bits z.B. durch Detektion also Absorption eines Photons)
näherungsweise der Dichteoperator
ρ = |Null><Null| + |Eins><Eins|
vor. Näherungsweise deswegen, weil dieser Übergang eigtl. nicht-unitär wäre und der Zeitentwicklung gemäß Schrödingergleichung widerspricht.
1) Die Ausage der
Dekohärenztheorie ist, dass nach Ausspuren der Umgebungsfreigeitsgrade (Luft, ...) der reduzierte Dichteoperator in extreme guter Näherung diese Gestalt annimmt. Die nicht-diagonalen Terme, die die Unitarität "retten", sind verschwindend klein. Diese Form des Dichteoperators entspricht nun aber nicht mehr einem v
erschränkten Zustand
|Null> + |Eins> sondern einem
statistischen Gemisch zweier klassischer Zustände. Und diese Form ist gemäß der Dekohärenz stabil, d.h. es findet keine Interferenz der Zeigerzustände statt. Dies ist eine mathematische Schlussfolgerung, inzwischen experimentell überprüft (einer der letzten Nobelpreise wurde in dem Umfeld vergeben), und wohl bei allen Physikern unstrittig. Wohlgemerkt: bis hier her haben wir noch keine Interpretation durchgeführt.
2) Wir nennen jetzt
|Null><Null| sowie
|Eins><Eins| die beiden Zweige des Zustandes. Bitte beachte, dass es sich dabei nicht um eindimensionale Unterräume handelt, da wir eigtl. immer noch die Umgebungsfreiheitsgrade mitdenken müssen. Auch wird es viele Mikrozustände im Messgerät geben, die einem "Makrozustand"
|Null> entsprechen. Wir haben hier also eine anschauliche, jedoch keineswegs präzise Darstellugn unseres Dichteoperatoirs, und wir haben daher auch keine exakte Defintion dessen, was nun genau ein Zweig ist und was nicht; wir können sie nicht zählen, wir können ihre Entstehung nicht auf exakt einen Zeitpunkt festlegen usw. In dem Umfeld gibt es tatsächlich noch große Unklarheiten, die jedoch nichts mit der Wortwahl zu tun haben.
Nun zu den Interpretationen:
3a) die
orthodoxe Interpretation besagt, dass ein mathematisch und physikalisch nicht erklärbarer Kollaps der Form
|Null><Null| + |Eins><Eins| → |Null><Null|
stattfindet .
3b) die
VWI besagt, dass kein Kollaps stattfindet.
D.h. die Dekohärentheorie erklärt zunächst, dass wir
eine klassische Welt ohne makroskopische Verschränkungen sehen, sie erklärt jedoch nicht
welche. Die orthodoxe Interpretation postuliert, dass ein Kollaps gemäß der Bornschen Regel in einen der möglichen Zweige stattfindet (was physikalisch völlig absurd erscheint, solange wir diese Zweige nicht mal mathematisch exakt definieren können). Die VWI
akzeptiert den Zustand
|Null><Null| + |Eins><Eins| als real.
Soweit alles klar?
Die VWI behauptet weiterhin, dass wir als Beobachter derselben "Verzweigung" unterliegen (da wir auch nur ein Teil des umfassenden Quantensystems darstellen und für uns keine Sonderregeln gelten) und diese gemäß der Bornschen Regel wahrnehmen.
Letzteres folge dabei aus "natürlichen Annahmen für rationale Beobachter" jedoch nicht als eigenständiges Postulat. Der kursive Satz ist das zentrale Forschungsthema der VWI, denn wenn es dieser gelingt, tatsächlich die Bornsche Regel aus den anderen Postulaten als "effektive Regel für makroskopische Systeme" abzuleiten, dann wäre das mehr als ein Etappensieg.
Ich hoffe, ich habe damit einen Teil der Verwirrung bzgl. der VWI ausräumen können. Dann müssen wir nämlcih nicht mehr über falsche Darstellungen der VWI straiten, sondern können über ihre tatsächlich vorhandenen Probleme diskutieren (das sind aber andere als die bisher besprochenen).