Da mein Name/Nick hier so oft gefallen ist, sollte ich mich vielleicht auch mal melden. Allerdings vornweg: So wie ich das bisher sehe, unterscheidet sich dieser Thread bisher keineswegs von den bisherigen Fukushima/Atomkraft-Threads: Die Diskussionen sind die gleichen, von mir aus könnten wir alle drei zusammenlegen. Es macht keinen Sinn, in drei Threads separat über das gleiche Thema zu diskutieren, das stiftet nur Verwirrung.
Dann muss ich hier wieder mal was klarstellen: Ich habe überhaupt nichts gegen Erneuerbare Energien. Wenn sie sich durch Zwischenspeicherung sinnvoll ins bestehende (und künftig auch ausgebaute) Stromnetz einbinden lassen, ist gegen "so viel Erneuerbare wie möglich und bezahlbar" nichts einzuwenden. Es gibt unzählige wind-, sonnen- und geothermiereiche Stellen, an denen entsprechende Kraftwerke gebaut werden könnten. Das Problem ist - (nicht nur) meiner Einschätzung nach - dass das nicht reichen wird, um unsere Energiebedürfnisse zu befriedigen. Meine Beobachtung ist auch, dass bisher die sogenannte "Energiewende" in Deutschland vor allem darin besteht, AKWs durch Kohle- und Gaskraftwerke zu ersetzen, ohne jeden Zusatzgewinn für 1) die öffentliche Gesundheit und 2) das Klima, aber dafür mit zusätzlichen Kosten für den Konsumenten (v.a. wegen der Kosten des EE-Zubaus sowie den Ausnahmetarifen für Grosskonsumenten). Leider werden im Moment die Erneuerbaren nicht in "Vollkostenrechnung" verrechnet, d.h. mit den Kosten der Zwischenspeicherung, die eigentlich nötig wäre, wenn sie wirklich Grundlastkraftwerke ersetzen sollen. Mein Vorschlag wäre folgender: Jeder Stromanbieter wird verpflichtet, den Kunden eine Auswahl an Energieträgern anzubieten, mit Vollkosten: Atomstrom inkl. Kosten für Enstorgung von Kraftwerken & Abfall in einem Endlager, Erneuerbare inkl. Kosten für Zwischenspeicherung, Kohle inkl. Kosten für die Bewältigung der Kosten des Klimawandels und den Gesundheitskosten (dh, mit einer saftigen CO2-Steuer + Zulage für Gesundheitskosten). Dann könnten die Konsumenten ganz alleine entscheiden, welchen Strommix sie wollen und wie viel sie dafür bezahlen wollen.
Ich habe keine Ahnung, wie sich die Energielandschaft langfristig entwickeln wird. Vielleicht gibts irgendwann Solarsatelliten, vielleicht gelingt ein Durchbruch in der Fusion, vielleicht werden aus den nordafrikanischen Staaten bald wunderbar blühende Demokratien, die noch so gerne ihren Solarzellenstrom nach Europa verkaufen. Aber wir können in der so wichtigen Frage der Energieversorgung nicht einfach auf Hoffnungen setzen, sondern müssen mit dem operieren, was wir bereits haben. Das scheint mir im Moment die vernünftigste Option. Wir wollen "sauberen Strom", und wir wollen einen geringeren CO2-Ausstoss. Der beste Kompromiss, aus meiner Sicht, sind deshalb moderne AKWs (Generation III = EPR, APR u.ä.) für die Grundlastversorgung, kombiniert mit so viel Erneuerbaren wie möglich und bezahlbar, plus grosse Investitionen in die Erforschung und baldige Realisierung/Kommerzialisierung von Generation IV Reaktoren, die den bestehenden und kommenden "Atommüll" unter Energiegewinn unschädlich machen können (so dass wir im Prinzip auch alle Uranminen schliessen könnten). Solche Reaktoren könnten auf dem "Integral Fast Reactor" (bzw. dem Experimental-Reaktor EBR-II und/oder dem kommerziellen Konzept PRISM) basieren, müssen aber nicht (es gibt eine ganze Reihe von Konzepten). Uran und Plutonium in Brennstäben wird ja bereits heute "recycelt", aber das ist in meinen Augen keine besonders vielversprechende Option, weil dies den regelmässigen Transport von "Atommüll" erfordert und die anderen Aktiniden (Neptunium, Americium etc.) erhalten bleiben.
Dass Kohlestaub gesundheitlich schädlich ist, ist unbestritten. Ebenso, dass Kohlekraftwerke neben Kohlestaub noch eine ganze Reihe anderer schädlicher Stoffe ausstossen, z.B. Quecksilber, das ein starkes Neurotoxin ist. Kohlekraftwerke machen - gemäss einer Studie, die ich in einem anderen der "Atomkraft"-Threads verlinkt hatte, die Ralf hier aber nicht mehr neu verlinkt hat (warum auch immer? man würde ja meinen, solche Dinge seien relevant für diesen Sonderthread) - etwa die Hälfte allen gefährlichen Kohlestaubs/Feinstaubs (PM2.5, PM10) aus (in den USA). Kohlekraftwerke sind auch ganz klar an der Spitze der Liste der wichtigsten Emittenten von Kohlestaub in Europa.
Daher ist es sicher nicht falsch zu sagen, dass die Nutzung der Kohlekraft weltweit jedes Jahr in der Grössenordnung von 1 Million Menschen das Leben kostet. Die Schäden von Quecksilber und Co sind da noch ausgeblendet. Diese Schäden und Todesfälle lassen sich nicht wegdiskutieren: man nimmt sie unweigerlich in Kauf, wenn man AKW mit Kohlekraftwerken ersetzt, wie es Deutschland und Japan gerade machen.
Mein Plädoyer hier ist deshalb weniger eines für die Atomkraft, sondern vielmehr eines für eine realistische Gesamt-Betrachtung der Probleme und Gefahren, und der Aufstellung realistischer (= an der Realität orientierter) Pläne, wie wir unsere künftige Energieversorgung gestalten wollen. Ich sehe das diesbezüglich ganz so wie David McKay auf seiner Seite "without the hot air":
http://www.withouthotair.com/
Mein Befürworten der Atomkraft (ja sogar des Ausbaus ihres Anteils am Strommix) ist deshalb bloss die Folge davon, dass ich diese Forderung nach mehr Realismus in der Energiedebatte nach bestem Wissen und Gewissen ernst nehme.