Ich fange mit dem an, was ich am vehementesten bestreite, du schreibst:
Ich sehe nicht, warum überhaupt der Versuch unternommen werden soll, die Natur ausschließlich in „natürlichen Erklärungsmustern“ zu denken. Ist „der Mensch das Maß aller Dinge“? Ich denke nein. Und warum sollte er auch? Warum sollte sich die Natur bzw. die Beschreibung der Natur danach richten, was uns (dir?) natürlich erscheint? Vielleicht erscheint mir etwas ganz anderes natürlich.
Dass man das philosophisch denken kann und darf steht außer Frage. Warum es aber so sein soll, kann ich nicht einsehen. Insbs. zeigt uns die moderne Physik, dass „natürliche Erklärungsmuster“ explizit und nachweislich versagen. Daher bin ich bei derartigen Ansätzen aus rein praktischen Überlegungen heraus sehr skeptisch.
Dem entgegne ich mit vier Argumenten:
Keines davon greift.
1. Das psychologische / historische Argument.
Menschen geben sich nicht mit dem zufrieden, was man ihnen als "Wahrheit" auftischt aber mit dem natürlichen Verstand nicht nachvollziehbar ist.
Sie wollen wissen im Sinne von "mit dem natürlichen Verstand begreifen".
Ich bestreite nicht, dass sie das wollen. Aber sie müssen wohl akzeptieren, dass es bei der Physik (und anderen Wissenschaften) nicht vollumfänglich funktioniert. Die Methode der Physik ist die Mathematik und das Experiment, nicht die natürliche Sprache!
Es geht auch nicht um „auftischen“, sondern um präzise Mathematik und präzise experimentelle Tests.
Außerdem sehe ich nicht, wieso Mathematik nicht als „natürlicher Verstand“ akzeptierbar ist. Der eine kann besser Deutsch, der andere besser rechnen. Glaubst du, du kannst Shakespeare in einer deutschen Übersetzung vollumfänglich erfassen? Ich denke nicht, du wirst englisch lernen müssen.
2. Das Marketing Argument
Muss ich hier wirklich darlegen, wie wichtig eine Vermittlung des physikalischen Wissens an breitere Schichten, also nicht nur an wenige Hardcore - Physiker, ist?
Du hast völlig Recht, das ist eine wichtige Aufgabe. Allerdings ist dies zwar Aufgabe der (einiger) Physiker, wird aber eben zumeist nicht direkt mit den Methoden der Physik, sondern mit anderen Methoden erfolgen (z.B. Wissenschaftsjournalismus).
Übrigens sind m.E. gerade die Physiker, die am meisten die Werbetrommel rühren, diejenigen, die das am wenigsten können (Hawking und Kaku sind Extrembeispiele, wo Marketing und Umsatz dominieren; es ist den beiden Herren herzlich egal, ob sie abgesichertes Wissen oder pure Spekulation verkaufen; sei also bitte ganz ganz vorsichtig mit diesem Argument)
3. Das dialektische Argument
Jeder Wissenschaft wie auch jeder Kultur hat es bisher gut getan auch andere Positionen aufzugreifen und zu reflektieren.
Die Physik tut das. Sie sperrt sich da überhaupt nicht dagegen. Aber sie bleibt im Kern nur Physik, wenn sie die physikalische Methode anwendet. Eine deutsche Übersetzung und Interpretation von Shakespeare ist nicht mehr englische Literatur, sondern eben die Übersetzung und Interpretation von englischer Literatur.
Außerdem verändert die Physik ja auch ihre Methoden, sowohl mathematisch als auch experimentell. Sie tut dies insbs. dann, wenn ein etabliertes Erklärungsmuster nicht mehr in Übereinstimmung mit Beobachtungen steht (z.B. ART, QM), oder wenn ein Erklärungsmuster in sich unschlüssig wirkt und neuer experimenteller Input erforderlich ist (z.B. LHC).
4. Die philosophische Argumentation
Der Instrumentalismus postuliert ein Wissen, das sich intrinsisch aus einer speziellen Mathematik ergibt, aber mit dem natürlichen Verstand nicht begreifbar sei.
Damit handelt er sich ein massives logisches Problem ein. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.
Jeder kennt die Sache mit der Verschränkung. Man versucht nun das Problem zu lösen, in dem man sagt die Verschränkungspartner (VP) müssen als Gesamtsystem betrachtet werden und nicht als Einzelobjekte. Andererseits sprechen die Physiker von Einzelobjekten und behandeln diese auch so (getrennte Messung).
Du hast Recht, die Physiker haben ein Problem damit, dass sie bestimmte Themen in unpräziser Alltagssprache formulieren müssen, dass sie jedoch andererseits einen exakten Formalismus verwenden, der genau diese Probleme nicht einfängt. Bsp.: Messproblem der QM; dafür steht eine letztgültige Erklärung sowohl im Formalismus als auch in der Interpretation aus!
Es gibt hier mehrere Antworten. Die einfachste ist sicher der logische Positivismus. Ich fasse das mal so zusammen: Ich will
nichts erklären und begreifen! Ich will nur quantitative Vorhersagen anhand von Modellen machen und diese experimentell prüfen. Wie die Modelle zustande kommen, ob sie etwas bedeuten, ob sie der Realität entsprechen, … ist mir egal! So agieren tausende von Physikern, wenn sie in ihre Rechnungen oder Experimente vertieft sind. Aber natürlich ist diese Position unhaltbar, denn wenn jemand
wirklich so denken würde, hätte er
nie begonnen, sich mit Physik zu befassen! Seine Neugierde im Bereich der Natur ist ein Antrieb zum Verstehen, und damit über den Positivismus hinaus. D.h. dass die oft zitierte Aussage „die Physik
beantwortet keine Warum-Fragen“ zwar in gewisser Weise richtig ist, dass die Physiker jedoch trotzdem sehr häufig diese Fragen
stellen. Der eigtl. Antrieb um Physik zu betreiben liegt somit teilweise außerhalb der Kerntätigkeit des Physikers. Nur, und jetzt wieder zur Verteidigung des Positivismus: rein pragmatisch gesehen funktioniert er recht gut ;-)
Nun wieder zurück zur Physik: der Physiker akzeptiert, dass er die Quantenverschränkung nicht vollumfassend, allgemeinverständlich und zugleich präzise in der Alltagssprache erfassen und beschreiben kann. Er fokussiert sich stattdessen auf präzise mathematische Modelle und möglichst präzise Experimente. Deswegen ist er Physiker!!
Dazu eine Beobachtung meinerseits: Jede
gute Darstellung von Physik in „Alltagssprache“ führt zu einer
verbesserten Interpretation (gute Beispiele sind z.B. Heisenberg, Weinberg und Penrose, schlechte sind z.B. Hawking). Allerdings sind diese Interpretationen oft nicht eindeutig, obwohl ihnen doch dieselbe Mathematik und dieselbe Natur zugrunde liegen (Bsp.: Interpretation der QM; insbs. Messprozess, Kollaps Verschränkung etc.). D.h. auch, jede noch so gute Darstellung führt zu Unschärfe und Ungenauigkeit (so wie jede Interpretation oder Übersetzung eines Buches sowohl zu einem Mehr an Erkenntnis als auch einem Mehr an Unschärfe führt). Die Physiker haben sich nun bewusst entschieden, quantitativ präzise Vorhersagen mittels exakter Mathematik zu ihrer Kernaufgabe zumachen. Sie opfern also im Zweifelsfall die Anschaulichkeit der Präzision. Ich denke, das ist einfach eine Festlegung auf eine Methode. Wäre es eine andere Methode, wäre es auch eine andere Wissenschaft (Philosophie, Literatur, Wissenschaftsgeschichte, …)
Abschließend: du hast sehr überzeugend dargelegt, warum ein Austausch zwischen Physikern und Philosophen spannend sein kann. Dieser Austausch findet jedoch selten mit Mitteln der Physik statt (es sei denn, Philosophen lassen sich darauf ein), und ist damit Kern auch nicht Physik, sondern eben Philosophie. Ich möchte also umgekehrt dazu einladen, dass Philosophen die Physik als Physik begreifen, nicht als philosophierte bzw. interpretierte Physik (und es gibt ja Beispiele insbs. in der Mathematik, wo genau dies versucht wurde: Russell, Whitehead, Gödel).
Dann noch ein allgemeiner Hinweis:
Aus meinem Papier geht wohl nicht deutlich genug hervor, dass es mir nicht darum geht den Physikern die Physik zu erklären, sondern den Philosophen die Physik.
Dazu muss ich leider sagen, dass dies nicht besonders gut gelungen ist, weil du m.E. die Physik zu unpräzise verstanden hast und dein Sprachgebrauch – ohne Not – zu weit von dem der Physiker entfernt ist. Wenn es dir darum geht, die Physik bzw. den Bezug zwischen Physik und Philosophie besser zu verstehen, dann musst du dich zuerst auf die tatsächliche Physik einlassen, nicht auf das, was du als Physik begreifen möchtest.
Ich konstatiere also eher ein Defizit im Verständnis, der Interpretation und der Methodik der modernen Physik bei den Philosophen, weniger ein Defizit im Verständnis der Philosophie seitens der Physiker ;-) Oder anders formuliert: ich sehe das Verständnis der Methoden der Physik als Grundvoraussetzung an, um vernünftig über Physik diskutieren zu können. Das ist keine Schuldzuweisung. Ich weiß, dass die moderne Physik rein mathematisch betrachtet extrem kompliziert geworden ist. Aber man kann es nicht einfacher machen als es ist, ohne es falsch zu machen.