Hallo Dgoe,
na ja, eine Lösung ist das Modell noch nicht, sondern allenfalls eine Hypothese, die - unter bestimmten recht speziellen Voraussetzungen - vielleicht gangbar gewesen ist. Bereits das Konzept der RNA-Welt ist ein höchst fragiles, um nicht zu sagen, fragwürdiges Gebilde, welches zwar ein gewisses Maß an Plausibilität für sich beanspruchen kann, aber weit davon entfernt ist, ein experimentell abgesichertes Konzept zu sein. Im Artikel werden einige Reaktionen aufgeführt, die durch Ribozyme (RNA-Moleküle mit katalytischen Eigenschaften, vergleichbar mit Protein-Enzymen) bewältigt wurden und die zudem relevant sind für den Vorgang der Translation.
Kritikpunkt ist hier, dass dies unter Laborbedingungen nachgewiesen werden konnte, wo man mit einer Auswahl an Reinstoffen arbeitet, um das in-vitro-System überschaubar zu halten. Inwiefern solche Reaktionen unter Realbedingungen z.B. an hydrothermalen Schloten oder in porösem Vulkangestein ablaufen können, wo neben RNA und Aminosäuren noch andere Stoffe präsent sind, die sich ebenfalls abiogen gebildet haben, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Denkbar ist, dass es eine postulierte reine RNA-Welt möglicherweise nie gegeben hat, weil stets "Verunreinigungen" - auch in Gestalt spontan entstandener kurzkettiger Peptide, die in späteren Entwicklungsstadien des Modells eine Rolle spielen - präsent gewesen sind, die dann den Entwicklungsverlauf unvorhersehbar beeinflusst haben, so dass das vorgeschlagene Modell vielleicht nicht einmal eine grobe Annäherung an die wirklich vorhanden gewesenen Abläufe darstellt.
Einen weiteren Schwachpunkt des Modells benennen Wolf und Koonin selbst, indem sie auf die notwendigen Adaptoren eingehen, die über Selbstacylierung Aminosäuren an sich binden, um sie für die Verknüpfung mit dem späteren Proto-Ribosom bereitzustellen. Problematisch ist hier einerseits die Entstehung der Spezifität der Auswahl der Aminosäuren in Bezug auf die spätere Zuordnung zu den jeweiligen Anticodons (Region bei den späteren tRNA's, mit der sie sich an einen komplementären mRNA-Strang bilden) bzw. Codons (das Gegenstück der Anticodons auf dem mRNA-Strang). Dabei werden drei verschiedene Varianten durchgespielt (ARM, CRM und FAM im Modell), ohne hierbei eine Entscheidung treffen zu können, welche plausibler ist und welche eher nicht.
Der andere kritische Punkt ist die Entstehung einer Vielzahl von tRNA's aus einem einzelnen Vorläufermolekül, aus dem sich alle anderen abgezweigt haben. Es wird zwar von einem Flaschenhals-Ereignis gemutmaßt, aber dennoch ist das alles sehr vage ausgearbeitet, weil eigentlich nur schwer nachvollziehbar im Ablauf.
Ein weiterer Schwachpunkt ist meiner Ansicht nach der Schritt, wo aus dem gestreckten Anteil der kleinen Untereinheit RS ein davon abgelöster eigenständiger gestreckter Strang M wird. Hinreichend lange RNA-Stränge neigen zur Verknäuelung und Schleifenbildung - weshalb sowohl Ribozyme wie auch tRNA entsprechend kompakt aussehen - und können nur über Beteiligung von anderen Molekülen in einer gestreckten Form erhalten werden. Auch die mRNA, die heute als Vorlagestrang zur Proteinbiosynthese dient, bedarf der Flankierung von entsprechend geformten Proteinen, um den Weg zum Ribosom zu finden. Bei Bakterien erfolgt zwar unmittelbar nach der Transkription (Synthese eines mRNA-Strangs an der DNA-Vorlage) die Anheftung von Ribosomen, aber dafür sind heute auch entsprechend effiziente Proteine vorhanden, die dies ermöglichen. In einer RNA-Welt gibt es noch keine Proteine, die hier eingreifen könnten. Von daher ist das Entstehen von gestreckten RNA-Strängen in diesem Kontext eine Voraussetzung, die ihrerseits gewisse Schwierigkeiten aufweist.
Alles in allem ist es dennoch ein Modell, das als Grundlage für weitere Forschungen dienen kann, weil es einerseits sehr detailliert ist und andererseits weitestgehend dem Kontinuitäts-Prinzip verhaftet bleibt. Inwieweit daraus noch mehr werden kann, muss man abwarten. Eine Konkretisierung gibt es z.B.
hier von Bernhardt und Tate, worin es insbesondere um die spätere mRNA geht. Vielleicht übersetze ich das auch noch einmal und stelle es als Artikel ein.
Viele Grüße