Schützende Gasriesen für lebensfreundliche Welten

Exonavigator

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Hallo Leute,

wie ich feststelle, bin ich nicht der einzige Freak, den die Erforschung von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems 'angesteckt' hat, eine Berechnung der Zahl lebensfreundlicher Planeten und Monde in der Milchstraße anzustellen, die über die sog. "Drake-Formel" hinaus geht. Bis vor wenigen Jahren noch war die Diskussion der Zahl dieser Welten in der Milchstraße ja noch hochspekulativ und bewegte sich zwischen den Extremen der "rare Earth"-Hypothese, nach der die Erde der einzige belebte Ort im Universum ist, und der Leben überall-Hypothese, d. h. dort, wo nur 1) flüssiges Wasser, 2) die nötigen Biomoleküle und 3) Wärmeenergie gegeben ist, also fast überall - was das sog. "Fermi-Paradox" erzeugte, die Gegenfrage: "Wo sind sie denn?". Mittlerweile ist die Frage, wieviele potenziell lebensfreundliche Welten es in unserer Milchstraße geben mag, aus dem Bereich beliebiger Spekulation herausgekommen, und entscheidend dafür waren die ersten profunden Ergebnisse auf der Datenbasis des Kepler-Weltraumteleskops seit Anfang 2011, mit einem bahnbrechenden Datenstrom bis heute. Die Entdeckung von seither über 2.300 (noch nicht letztgültig bestätigten, aber hoch wahrscheinlichen) Planeten um andere sonnenähnliche Sterne hat unter Astronomen und Hobby-Astronomen bekanntlich einen gewaltigen Hype ausgelöst und in der Fachliteratur zu einer Fülle von Studien geführt, v. a. zu der Frage, unter welchen Bedingungen Exoplaneten und -monde Leben beherbergen könnten und wo diese Bedingungen voraussichtlich erfüllt sind. Meine zentrale Datenbasis ist die hoch aktuelle Bibliografie unter: http://exoplanet.eu/bibliography/.
Vielleicht, weil ich ein mathematischer Laie bin oder anderes nicht verstanden habe, keine Ahnung, woran es liegt: Es gibt hier bei aller Fülle der Fachliteratur ein paar Leerstellen, zu denen ich keine verlässlichen Zahlen finden kann: So z. B. erstens zum prozentualen Anteil der Erden bzw. Supererden (ca. 1 bis 10 Erdmassen bzw. 1 bis 2 Erdradien), der sich in der habitablen Zone befindet (zugegeben schwierig, da sich die Kepler-Datenbasis noch immer auf kurzperiodische Planeten bis ca. 120 Tage beschränkt, die nicht bis in die habitable Zone vordringen).
Zweitens ist es mittlerweile eine Binsenweisheit, dass es nicht reicht, nur die habitable Zone zum Kriterium zu machen. Neben vielen anderen Faktoren spielt auch die Abschätzung des Anteils dieser Kandidatenplaneten eine große Rolle, die zusätzlich einen Gasriesen (ab 0,3 Jupitermassen) jenseits der Schneegrenze, genauer: in einem Abstand von mindestens 3,5 oder (bei höherer Bahnexzentrizität) 5 Astronomischen Einheiten von ihrem Zentralstern haben - das ist u. a. wichtig zum Schutz vor sterilisierenden Kometen- oder Asteroideneinschlägen über Zeiträume von Mrd. Jahren hinweg (Bedingung für eine Evolution höherer Lebensformen wie auf der Erde). Zwar gibt es in der o. g. Datenbasis viele Beiträge mit Modellen und Beobachtungen zur Zahl der Gasriesen pro Stern oder zum Anteil der Gasriesen von allen Planeten, doch habe ich nichts zu der speziellen Frage gefunden: Wieviel Prozent der Planeten in der Größenordnung von Erden bzw. Supererden (1 bis 10 Erdmassen bzw. 1 bis 2 Erdradien) befinden sich in einem Planetensystem mit mindestens einem Gasriesen (mind. 0,3 Jupitermassen aufwärts bis ca. 10 Jupitermassen) im Abstand von 3,5 AU oder noch weiter von ihrem Zentralstern? Noch spezifischer: Wie hoch ist der zu erwartende Anteil bei Erden/Supererden um sonnenähnliche (F/G/K-) Sterne (vgl. das Kepler-Sample), wie hoch ist er bei Roten Zwergen (späten K- und M-Sternen)?
Kann mir da jemand auf die Sprünge helfen, Prozentzahlen mit Hinweis auf einschlägige Fachliteratur?
Mit Gruß an alle Exoplanetenfans

Holger
 

Bynaus

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Ich würde sagen, du bist mit deinen Fragen noch etwa 5 bis 15 Jahre zu früh. Wir fangen erst gerade an, diese Fragen zu beantworten.

Wie du selbst sagst, wissen wir trotz Kepler immer noch nicht sicher, welchen Wert "eta_Earth" wirklich hat, dh, wieviele sonnenähnliche Sterne einen erdgrossen Planeten in ihrer habitablen Zone haben - aber da werden wir hinkommen, in ein paar Jahren. Die zweite Frage ist ungleich schwieriger: so viel ich weiss, gibt es kein bekanntes System, in dem es eine bekannte Erde oder Supererde in der habitablen Zone gibt, UND einen jupiterähnlichen Gasriesen weiter draussen, bei >3.5 AU. Das liegt unter anderem auch daran, dass die meisten Erden/Supererden, die wir kennen, um rote Zwerge kreisen, weil wir sie nur dort bisher (technisch) finden können - und Rote Zwerge haben deutlich geringere Häufigkeiten von Gasriesen (es gibt sie, aber sie sind viel seltener). Kepler wird vermutlich auch kein solches System hervorbringen, weil die Chance, dass ein jupiterähnlicher Planet seinen Stern transitiert, ist sehr klein (er könnte allerdings durch langfristige Beobachtung des betreffenden Sterns mit der Radialgeschwindigkeits-Variationsmethode gefunden werden).

Wir kennen einige Systeme, in denen sich ein jupiterähnlicher Gasriese in einer grossen Entfernung (>3.5 AU) um den sonnenähnlichen Stern bewegt. Es sind nicht viele, aber es gibt sie. Es gibt etwa das 55 Cancri-System, das einen solchen Gasriesen besitzt, allerdings auch noch eine Reihe von kleineren Gasriesen und Supererden im "Inneren" System. Vermutlich wird man in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr dieser fernen Gasriesen finden, erst per Radialgeschwindigkeitsvariation, dann auch per direkter Beobachtung und vielleicht auch mal per Astrometrie (z.B. mit Gaia).
 

Bynaus

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Die 15 Jahre deshalb, weil man ja z.B. die Systeme mit "Erden" (sonnenähnlicher Stern, 1 AU Abstand, 1 Erdradius), die Kepler in vielleicht 2-3 Jahren wirklich und endlich hervorbringt, auf die Anwesenheit von Gasriesen untersuchen muss, was einen ganzen Orbit dauert - bei einem jupiterähnlichen Planeten wären das also 3 + 12 = 15 Jahre.

Natürlich kann es auch sein, dass man in einem System mit jupiterähnlichem Gasriesen, das man schon kennt, einen erdähnlichen Planeten findet (nicht mit Kepler) - aber das ist ungleich schwieriger, weil die Empfindlichkeit von RV-Messsystemen noch nicht soweit ist - vielleicht haben wir bis in 5 Jahren diese fantastischen Laser-Comb-Geräte, von denen alle träumen, und finden so die ersten "Erden". Deshalb 5 Jahre.
 

ralfkannenberg

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und ich mal wieder ...

... - bitte nicht vergessen, dass man zusätzliche Info's benötigt, um sicherzugehen, dass die mögliche "zweite Erde" nicht in Wirklichkeit eine "zweite Venus" ist.

Die ist natürlich auch sehr schön, aber weniger habitabel.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

Bynaus

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Danke mac. Nach dem Artikel sind die 5 Jahre eher etwas überoptimistisch (weil es gigantischen Teleskope dafür braucht, und es mindestens 10 Jahre dauern wird, bis das E-ELT sein First Light sieht).

Also, Exonavigator: frag in 10-15 Jahren nochmals. :)

Es gibt schon einige Systeme, in denen wir Ausschau halten könnten. Hier ist eine Liste von Systemen, die einen Gasriesen mit M > 0.5 M_jup zwischen 3.5 und 7 AU enthalten.

http://exoplanet.eu/catalog/?f=mass:mjup+>+0.5+AND+axis:au+>+3.5+AND+axis:au+<+7

(am besten zuerst Sortieren nach Exzentrizität, und nur die unterhalb von ca. 0.1 ansehen)

Die drei besten Kandidaten wären wohl:

http://exoplanet.eu/catalog/hd_6718_b/
http://exoplanet.eu/catalog/hd_13931_b/
http://exoplanet.eu/catalog/hd_24040_b/
 

Exonavigator

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Hey Leute,

danke für die vielen Anregungen, trotz der unzureichenden Datenlage. Klar, jeder Insider weiß, dass selbst die Beobachtungsdaten der Kepler-Mission frühestens in 2-3 Jahren soweit vorliegen werden, dass man einigermaßen sichere Trends über die Zahl von Planeten in der habitablen Zone um ihren Zentralstern haben wird - und noch viel später über die Zahl von Gasriesen jenseits der 'Schneegrenze' - danke, Bynaus, für die differenzierte Abschätzung. Die Radialgeschwindigkeitsmethode hat zudem das Problem, dass sie zwar längerperiodische Planeten, dafür jedoch vorzugsweise massereichere, eher Saturne aufwärts detektiert. Man weiß nicht, was nachteiliger ist: Entweder die Transitmethode, nach der unser Sonnensystem gegenwärtig als ein Ein-Planetensystem mit Merkur dargestellt würde, oder die Radialgeschwindigkeitsmethode, die von unseren 8 Planeten ebenfalls nur einen, nämlich Jupiter, zur Kenntnis nehmen würde.
Allerdings sind direkte Beobachtungen ja nicht alles, woraus Trends abgeleitet werden können. Gerade in der Exoplanetenforschung gibt es ja auch eine Reihe von Studien mit Simulationen, aus denen Vorhersagen getroffen (und, soweit schon testbar, mit den Transit- bzw. Radialgeschwindigkeits-Beobachtungen abgeglichen) werden. Interessant für mich war eine Simulation von Mordasini et al. (2012): „Extrasolar planet population synthesis IV. Correlations with disk metallicity, mass and lifetime“. Ergebnis der sog. "n-body simulations" (vgl. S. 16 (Fig. 12) und 20 (Fig. 16)) ist ein ca. 12 %iger Anteil von Sternen mit Gasriesen (bemessen an einer protoplanetarischen Scheibe mittlerer Dichte bzw. Dauer), ferner ein ca. 36,9 %iger Anteil der Gasriesen mit einem (End-) Orbitalabstand ˃ 3,5 AU (bemessen an einer sonnenähnlichen Metallizität von Fe/H zwischen -0,2 und +0,2). Das ergibt einen Mindestanteil von ca. 4,428 % Gasriesen jenseits 3,5 AU pro sonnenähnlichen (F/G/K-) Stern. Nur ein Mindestanteil ist dies deshalb, weil auch die zahlreicheren Eisriesen unter 300 Erdmassen (im letztgenannten Schritt nicht berücksichtigt) für den benötigten Schutz vor sterilisierenden Einschlägen infrage kommen. Vermutlich liegt der wirkliche Wert auch hier höher, worauf auch die Schätzung der Zahl der Sterne mit jupiterähnlichen Planeten (0,3 bis 10 Jupitermassen) in einem Orbitalabstand von 0,5 bis 10 AU nach der Gravitationslinsen-Methode hinweist: Dies sind 17 % (vgl. Cassan et al. (2011): „One or more bound planets per Milky Way star from microlensing observations“, S. 1 und 4); da dieser Wert für einen Zentralstern-Massenbereich von 0,14 bis 1Sonnenmassen gilt, der nach unten hin immer weniger Gasriesen beherbergt, könnte er ebenfalls noch zu gering angesetzt sein. Allerdings muss hiervon der Anteil der Gasriesen mit Orbitalabständen unter 3,5 AU abgezogen werden, sodass der Anteil der geeigneten Schutzriesen um mind. die Hälfte schrumpft: Nehmen wir erneut die o. g., mit Mordasini et al. (2012) ermittelten 36,9 % aller geformten Gasriesen mit einem Endorbitalabstand ˃ 3,5 AU an, so ergeben sich ca. 6,273 % Gasriesen in diesem Abstand. – Das Problem ist hier, dass der Wert pro Stern nicht direkt auf Multiplanetensysteme übertragbar ist. Und die Frage ist und bleibt für mich, nicht, wie groß der Anteil der Sterne, sondern der Anteil der Erden/Supererden mit einem Jupiter bzw. Neptunen jenseits 3,5 AU ist. Meine Hoffnung war: Vielleicht gibt es auch da bereits Simulationen, die ich noch nicht kenne. Mein Gefühl ist: Bei einem sich schon abzeichnenden, steigenden Trend der Entdeckung von Planeten bei längeren Umlaufperioden und zweitens der Tendenz zur Bildung massereicherer Planeten nach außen hin (Gasriesen kommen gewöhnlich im längerperiodischen Bereich, jenseits der Schneegrenze vor, vgl. u. a. Lissauer et al. (2011): „Architecture and Dynamics of Kepler’s Candidate Multiple Transiting Planet Systems“, S. 5 f.), sind 4-6 Prozent viel zu niedrig angesetzt. Gibt's da nicht auch Simulationen?
Na, ja, vielleicht bleibt wirklich nichts anderes übrig als sich in jahrelanger Geduld zu üben, bis einschlägige Beobachtungen da sind. Meine Hoffnung war, dass man bis dahin wenigstens wohlbegründete Vermutungen über die zu erwartende Größenordnung anstellen kann ... 10-15 Jahre, lieber Bynaus, sind eine verdammt lange Zeit. Immerhin bin ich überzeugt, dass sie unsere anthropozentrische Weltsicht um einige lebensfreundliche Welten bereichern wird (wenn auch, trotz SETI, wohl keine, die Zeichen einer techologischen Zivilisation erkennen lassen). Hier noch eine Empfehlung, wie auch die o. g. Artikel online verfügbar bei arXiv.org: Ein Artikel über Lithopanspermie, nach dem die Wahrscheinlichkeit einer interplanetarischen, ja sogar interstellaren Streuung des mikrobischen Lebens, welches bei der irdischen (oder marsianischen oder venusianischen) Evolution den Anfang gemacht hat, erheblich höher liegt als vermutet:
http://arxiv.org/pdf/1205.1059.pdf
Viel Spaß beim Lesen und beste Grüße

Holger
 

Bynaus

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Hier ein interessanter Artikel: http://www.spacedaily.com/reports/A...the_Right_Place_are_Friendly_to_Life_999.html und hier das arxiv-Preprint dazu: http://arxiv.org/abs/1211.0023

Demnach ist es nicht der Gasriese selbst, der für das Leben so wichtig ist: Wichtiger ist ein Asteroidengürtel der richtigen Grösse an der richtigen Position. Warum? Asteroiden können Wasser, organisches Material auf ansonsten trockene und tote Planeten bringen. Während grosse Impakte für das Leben problematisch sein können, sind kleinere Impakte der Evolution eher förderlich. Ein Asteroidengürtel ist also eine gute Sache, wenn sich auf einem Planeten des Systems Leben entwickeln soll. Allerdings darf der Gürtel auch nicht zu massiv sein, weil sonst das massive Bombardement nie aufhört. Nach den Autoren der Studie (gestützt auf Beobachtungen) bilden sich Asteroidengürtel, wenn überhaupt, typischerweise in der Nähe der "Schneelinie". Sie wären also gut geeignet, um danach Wasser zu allfällig vorhandenen Planeten zu befördern. Nun stellt sich aber die Frage, welche Rolle Gasriesen relativ zu den Astseroidengürteln einnehmen. Migrieren sie in (oder durch) die Zone, in der sich der Asteroidengürtel befindet, zerstören sie ihn - und damit dessen potentiell lebensfördernde Rolle. Nur in Systemen, in denen der Asteroidengürtel etwas von seiner Masse verliert, aber eben auch nicht ganz zerstört wird, können sich diese "genau richtig"-Asteroidengürtel bilden.

Für Kuipergürtel (die sich wohl um jeden Stern mit Planeten bilden sollten) wurde mal etwas ähnliches vorgeschlagen: sind sie zu massiv, dürfte regelmässiges Kometenbombardement der inneren Planeten die Folge sein. Sind sie verschwunden, ist das ein Anzeichen dafür, dass das Gasriesensystem des Sterns völlig aus den Fugen geraten ist. Das Sonnensystem scheint zwischen diesen Extremen zu liegen: der Kuipergürtel ist durch Gasriesenmigration etwas an Masse reduziert worden - aber nicht ganz verschwunden. Während Kuipergürteln keine lebensfördernde Rolle zugesprochen wird, so ist ihre Anwesenheit doch ein Hinweis darauf, dass das System nicht ganz destabilisiert wurde.

Demnach sollten wir für die "zweite Erde" also nach Systemen Ausschau halten, die über einen Kuipergürtel, Asteroidengürtel sowie einen nicht allzusehr migrierten Gasriesen (jenseits der Schneelinie) verfügen.
 

Exonavigator

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Hallo Bynaus,

habe jetzt erst deine Antwort gelesen. Sehr hilfreich, deine Überlegungen und der Artikel, danke! Die Häufigkeit von Asteroiden- bzw. Kuipergürteln in Exoplanetensystemen sollten wir also mal im Auge behalten, wenn es Neuigkeiten von Kepler u. Co. gibt.

Beste Grüße
 

Kibo

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Wird man mit Kepler nicht nachweisen können, da ein regelmäßiger Asteroidengürtel zu keinen periodischen Änderungen im Erscheinen des Sterns für uns zur Folge haben kann (sowohl Transit als auch RV)

mfg
 
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