Das Geheimnis der Gravitation
Autor: Peter Ripota
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In der Wissenschaft ist es üblich, theoretische Annahmen durch Experimente oder genaue Beobachtungen zu erhärten. Diese Experimente führte der italienische Physiker Quirino Majorana (1871 – 1957) in den 1920er Jahren durch. Druckgravitation entsteht durch die teilweise Abschirmung von (bisher unbekannten) Teilchen. Also müss-te eine Masse, die vollständig von anderen Massen umgeben ist, an Gewicht verlieren. Genau das überprüfte Majorana: Er umgab im Verlauf seiner zehnjährigen Forschungen eine Testmasse erst mit einem Mantel von 100 kg Quecksilber, dann mit 10000 kg Blei. Ergebnis: Innerhalb der Messgenauigkeit bemerkte er tatsächlich eine Gewichtsabnahme. Die Drucktheorie der Gravitation schien experimentell bestätigt.
Wiederum waren es berühmte Gelehrte (die Astronomen Henry Norris Russel und Arthur Eddington), die seine Ergebnisse ablehnten, aber nur aus theoretischen Gründen. An der Gründlichkeit und Sorgfalt seiner Experimente zweifelte niemand – und niemand wiederholte sie. Wozu auch: Gerade in den Zwanzigerjahren war Einsteins These vom gekrümmten Raum als letzte Ursache der Schwerkraft sehr populär. Was sollten dann Experimente zur Stützung einer verstaubten Theorie von einem unbekannten Experimentalphysiker?
Die Frage ist schwer zu beantworten. Denn alle irdischen Messungen bezüglich Gravitation sind zu ungenau, da diese Kraft auf irdische Körper zu gering wirkt. Man kann die Daten immer auch anders deuten. Also müssen wir wieder in den Weltraum blicken – am besten auf den nächsten Himmelskörper, unseren Mond. Bereits im 19. Jahrhundert fiel den Astronomen auf, dass die Mondbahn reichlich irregulär und mit Newton allein nicht zu erklären ist. Der Astronom Simon Newcomb, der diese Abweichungen entdeckt hatte, widmete die letzten 30 Jahre seines Lebens der Mondbahn. Vergeblich. Selbst Einstein versuchte, die Irregularitäten zu erklären, aber auch er kam nicht weiter. Im Jahr 1910 machte sich der deutsche Astronom Kurt Felix Ernst Bottlinger (1888 – 1934) an die Arbeit, die Daten zu überprüfen. Sollte die Drucktheorie die irregulären Daten erklären können? Er untersuchte die Monddaten zwischen 1700 und 1910 und kam zu der Erkenntnis: Die Absorptions- oder Drucktheorie der Gravitation kann die Schwankungen perfekt erklären. Und warum weiß keiner davon?
Die Astronomen haben das Problem inzwischen selbst gelöst, auf geniale Weise. Im Jahre 1955 definierte die Internationale Astronomische Union die astronomische Zeit auf neue Art, und zwar in Bezug auf den Mond. Die Definition sieht in etwa so aus: Die Zeit wird so gemessen, dass der Mond eine regelmäßige Bahn um die Erde beschreibt. Damit sind die Unregelmäßigkeiten der Mondbahn von selbst verschwunden – per Definitionem!
Doch es gibt noch mehr Köper im Weltall, die »Gravitationsfinsternisse« erleben. Beispielsweise treten die LAGEOS-Satelliten (LAGEOS 1 ist seit 20 Jahren im Orbit) periodisch in den Erdschatten: Die Erde schirmt die Sonne ab. Untersuchungen ihrer Bahnen durch den Physiker Tom van Flanderen (einer der Autoren des zu Beginn erwähnten Buchs; siehe dazu S. 48) ergaben eine Änderung der Gravitation genau zu diesen Zeiten, was wiederum auf eine Bestätigung der Drucktheorie hinweist – oder auf Rechenfehler oder auf unbekannte bzw. nicht berücksichtigte Einflüsse.
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Was den Anhängern der Drucktheorie noch fehlt, sind Kenntnisse über Aufbau und Beschaffenheit der Gravitationsteilchen. Woher kommen sie, wie sehen sie aus, wie wirken sie? Die einfachste Annahme wäre: die hypothetischen Gravitationsteilchen sind Neutrinos, jene Teilchen (fast) ohne Masse, die überaus zahlreich das All durchschwirren und Materie fast vollständig durchdringen. Derzeit wird ihre Wirkung durch eine Reihe von im Eis versenkten Sonden in der Antarktis erforscht – aber nicht im Hinblick auf die Schwerkraft. Zweite Möglichkeit: Gravitationsteilchen sind äußerst langwellige Radiowellen.
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Aber auch hier das Problem des Nachweises.
Weil einfache Teilchen oder Strahlen einige subtilere Erscheinungen der Schwerkraft nicht so gut erklären können, dachten sich manche Autoren verknotete Wirbel als Gravitationsteilchen aus. Schon Descartes arbeitete mit solchen Vorstellungen. Mathematisch untersucht wurden Knotenwirbel dann von Helmholtz und Kelvin um 1900. Seitdem tauchen sie immer wieder in der Literatur auf: Mathematiker und Physiker sind fasziniert von ihren Eigenschaften. Mit ihnen kann man abstoßende und scheinbar anziehende Kräfte ebenso erklären wie ... [snip]