"Form" des Ereignishorizontes und anderer Flächen

TomS

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Da die Diskussion inhaltlich spannend war, jedoch leider nicht zu Ende geführt wurde, möchte ich hier nochmal ein paar interessante Fragen aufgreifen.

Herr Senf hat auf diese Seite verwiesen:

http://www.spektrum.de/lexikon/astronomie/kerr-loesung/219


... Solche Bilder sind jedoch aus einer Reihe von Gründen mit Vorsicht zu genießen: Der Betrachter kann dazu verleitet werden zu glauben, dass genau so ein Schwarzes Loch aussieht. Ein Schwarzes Loch ist aber ein schwarzes Objekt. ...Ein anderes Problem ist, dass die Abbildung (oben) nicht auf Invarianten beruht, d.h. sie geht auf die Verwendung eines speziellen Koordinatensystems zurück. In einem anderen sieht es anders aus! ... Die Abbildung (oben) kann also nur dazu dienen, einen Überblick über die strukturellen Komponenten eines Lochs zu bekommen. ...
Ich stimme dieser Darstellung zu.

Die Frage wäre dann, welchen physikalischen Gehalt spezifische koordinatenabhängige Darstellungen überhaupt haben. Ich denke, sie haben genau dann einen Wert, wenn das Koordinatensystem mit einem physikalischen Beobachter in Beziehung gesetzt werden kann.

Wichtiger sind jedoch eher die o.g. "strukturellen" bzw. topologischen Eigenschaften, also "die Fläche hat die Topologie einer 2-dim. Kugelschale" oder "diese Fläche liegt innerhalb jener Fläche" oder "diese Fläche berührt jene Fläche in zwei Punkten".

In diesem Sinn war auch meine Anmerkung zu verstehen:

Die Abbildungen beschreiben homöomorphe = topologisch äquivalente Situationen: stetig aufeinander abbildbare S[SUP]2[/SUP], wobei insbesondere Eigenschaften wie die Berührpunkte erhalten bleiben.

Meine folgende Bemerkung zielt darauf ab, dass letztlich alle Darstellungen dieselbe physikalische Situation in unterschiedlichen Koordinatensystemen beschreiben und daher äquivalent sind. Das gilt auch für Koordinatensysteme, die prinzipiell existieren, ohne dass wir sie konkret konstruieren müssten.
Da es sich um ein 3-dim. Szenario handelt, ist jeder Homöomorphismus immer auch ein Diffeomorphismus. Das reicht als Beweis, ohne dass eine explizite Rechnung in irgendeinem Koordinatensystem notwendig wäre.


Fragen: welche der gewählten Darstellungen haben in diesem Sinne den maximalen physikalischen Gehalt? Gibt es Darstellungen mit "Informationsverlust", zum einen durch Koordinatensingularitäten, zum anderen durch die Projektion auf eine 2-dim. Zeichenfläche? Gibt es Eigenschaften, die die Abbildung 1 in Visser's Paper nicht korrekt darstellt?

https://arxiv.org/pdf/0706.0622v3.pdf


 
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Bernhard

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Interessant ist die Frage, wie der "Schatten" des Ereignishorizontes eines ungeladenen Schwarzen Loches aber mit Drehimpuls aussieht. Im gesperrten Nachbarthema gab es dazu die zwei weiterführenden Links:

https://arxiv.org/pdf/1502.03808v2.pdf
https://arxiv.org/pdf/1109.4769.pdf

Im ersten Link findet man interessante Bilder dazu. Es wurde auch erst neulich eine Impression eines Künstlers im Nachbarforum veröffentlicht: http://www.astrotreff.de/topic.asp?TOPIC_ID=204591 , interessanterweise mit einem elliptischen Schatten.

Wesentlich erscheint mir dazu die Aussage, dass diese Form vom Bewegungszustand des Beobachters abhängt und genau da gibt es dann mehrere interessante Möglichkeiten. Diese "Möglichkeiten" entsprechen sinngemäß am ehesten den Kepler-Bahnen, also den Bahnen eines frei fallenden Raumfahrers oder auch den Bahnen eines Raumfahrers mit einem Raumschiff, das weit jenseits der heute denkbaren technischen Möglichkeiten liegt.

Um abschätzen zu können, wie verlässlich die vorgestellten Simulationen sind, muss man auch die Hamilton-Jacobi-Theorie der lichtartigen Geodäten untersuchen, was derzeit aber meine zeitlichen Möglichkeiten übersteigt. Die HJ-Transformation im Paper von Janna Levin konnte ich deswegen auch noch nicht als korrekt nachvollziehen.
 
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TomS

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Interessant ist die Frage, wie der "Schatten" des Ereignishorizontes eines ungeladenen Schwarzen Loches aber mit Drehimpuls aussieht. Im gesperrten Nachbarthema gab es dazu die zwei weiterführenden Links
Danke für die Links. Das Paper von Thorne et al. für "Interstellar" ist schon beeindruckend (auch wenn mich der Film nur teilweise überzeugt hat).

Das interessante ist ja aber, dass die von mir genannten Flächen bzw. Koordinatensysteme lediglich der praktischen bzw. effizienten Berechnung dienen. Die tatsächlichen Beobachtungen beziehen sich auf den "Schatten" bzw. das Bild der Lichtquelle mit dem SL als Linse und sind völlig unabhängig von den gewählten Koordinatensystemen.

Der Beobachter zeichnet natürlich das Koordinatensystem aus, in dem er selbst ruht, d.h. z.B. einen "Kepler"-Beobachter oder einen bei konstantem Radius (mit hoffentlich ausreichend Treibstoff ;-)

Ob die durch Beobachter ausgezeichneten und die zur Rechnung verwendeten Koordinatensysteme identisch sind ist nochmal eine ganz andere Frage. I.A. sicher nicht (bereits im einfachen Fall des nicht-rotierenden Schwarzschild-SLs verwendet man Schwarzschild-Koordinaten zur Berechnung der "Kepler"-Bahnen).
 

Ich

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Ich hätte da auch ein paar Fragen. Ich habe die relevante Literatur nicht gelesen, vielleicht stehen ein paar Antworten schon in den bereits verlinkten Sachen. Die erste: kann man irgendwie physikalisch plausibel dem EH eine Form zuweisen, also sphärisch oder ellipsoid?
Woran würde man das festmachen? Ich verstehe es so, dass am EH alle Teilchen mit einer bestimmten Winkelgeschwindigkeit mitrotieren. Im Vergleich, wie sieht die mitrotierende Metrik einer rotierenden Kugeloberfläche im flachen Raum aus? Gibt es so etwas überhaupt? (Wahrscheinlich nicht global, siehe die Diskussion zur rotierenden Scheibe. Aber lokal müsste es gehen.)
Kann man die Form der Ergosphäre bestimmen?

Dann habe ich noch Fragen und Anmerkungen zum zitierten Artikel.
"Der Relativist Kip Thorne hat 1974 herausgefunden, dass die Rotation einen kritischen Maximalwert hat, nämlich a = 0.998M."
Das ist keine feste Grenze, das ist eine Abschätzung für den Akkretionsprozess.
"Anmerkung: In der Schwarzschild-Metrik fehlt zwar die Ergosphäre, doch gibt es hier eine Art Anti-Frame-Drag: alles muss statisch sein!"
Damit meint er vermutlich "am EH".
"Demnach ist die Ergosphäre eine Fläche unendlicher Rotverschiebung bzw. verschwindenden Rotverschiebungsfaktors."
...für statische Emitter - weil die lichtartig sein müssen.
"Die Ergosphäre ist im Gegensatz zu den Horizonten abgeplattet - mathematisch ist das zu sehen an der Abhängigkeit vom Polarwinkel θ in der zweiten Gleichung unten."
So? Für Visser sind es Rotatonselipsoide. Das ist eben die zentrale Frage.
"Innerhalb des Horizonts treten raumartige Geodäten (wie bei den Tachyonen) auf, die die Kausalität verletzen!"
Was soll das bedeuten? Außerhalb "treten auch raumartige Geodäten auf", die allerdings nix verletzen. Soll das bedeuten, dass hier Weltlinien irgendwann raumartig werden? Eher nicht, oder?
 

Bernhard

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Kann man die Form der Ergosphäre bestimmen?
Die Ergosphäre ist der Bereich zwischen äußerer Ergo-Fläche und äußerem Ereignishorizont. Die Geometrie beider Begrenzungsflächen kann man über die induzierte Metrik studieren.
 
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TomS

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Die erste: kann man irgendwie physikalisch plausibel dem EH eine Form zuweisen, also sphärisch oder ellipsoid?
Woran würde man das festmachen? Ich verstehe es so, dass am EH alle Teilchen mit einer bestimmten Winkelgeschwindigkeit mitrotieren. Im Vergleich, wie sieht die mitrotierende Metrik einer rotierenden Kugeloberfläche im flachen Raum aus? Gibt es so etwas überhaupt? (Wahrscheinlich nicht global, siehe die Diskussion zur rotierenden Scheibe. Aber lokal müsste es gehen.)
Kann man die Form der Ergosphäre bestimmen?
Was meinst du mit "Form"? Form ist für mich ein Begriff, der erst global eine sinnvolle Bedeutung erlangt. Erst viele Schneekristalle bilden einen Schneemann oder ein Iglu, und erst mit einem gewissen Abstand erkenne ich ein Iglu als solches.

Wäre beim EH auch so. Zumindest letzteres gilt, da die Raumzeit am EH lokal flach ist, d.h. dass lokal in der ART so eine "Form" überhaupt nicht sinnvoll definiert werden kann, da erscheint die Raumzeit immer "formlos".

Eine "Form" habe ich doch immer "bezogen auf Etwas". Und für dieses Etwas fallen mir nur zwei sinnvolle Dinge ein:
  • Bobachtung eines SLs bezogen auf den Hintergrund insbs. bezogen auf den Hintergrund ohne SL: Das liefert ein "Bild" des SLs im Sinne einer "Linse". Dazu existieren diverse Abbildungen mittels Raytracing. Vorteil ist, dass tatsächlich "reale beobachtbare Bilder" entstehen. Nachteil ist, dass wir nicht das SL als solches sehen, sondern nur die Lichtstrahlen
  • Koordinatensysteme: Diese sind (fast) beliebig frei wählbar; wenn z.B. ein Koordinatensystem existiert, in dem eine irgendwie charakterisierte Fläche als Ellipsoid erscheint, dann existiert sicher ein anderes Koordinatensystem, in dem die selbe Fläche eine exakte Kugel ist. D.h. für mich, dass dies nicht charakteristisch sondern eben recht beliebig ist. Vorteil ist jedoch, dass ich mit dem EH selbst hantiere, nicht mit seinem "Bild"

Invariante Charakterisierungen oder Eigenschaften der Formen wären eher topologischen Natur wir z.B. "diese Fläche liegt innerhalb von jener"; "diese Fläche berührt hin in einen Punkt"; ...

Meine Frage wäre, ob Koordinatensysteme darüberhinaus Informationen liefern, die es z.B. erlauben, zwischen der Kugel und dem Ellipsoid in physikalisch sinnvoller Weise zu unterscheiden. Ich denke nein, aber ich bin mir nicht sicher.
 

Ich

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Meine Frage wäre, ob Koordinatensysteme darüberhinaus Informationen liefern, die es z.B. erlauben, zwischen der Kugel und dem Ellipsoid in physikalisch sinnvoller Weise zu unterscheiden. Ich denke nein, aber ich bin mir nicht sicher.
Koordinatensysteme nicht unbedingt, da kommt es sehr auf die Bedeutung der Koordinaten an. Was du aber nicht erwähnt hast ist Bernhards Ansatz: die induzierte Geometrie.
In statischer Raumzeit kann man zumindest zwischen Kugel und anderen Formen anhand der Symmetrien der Krümmung der Fläche unterscheiden. Mir ist bloß nicht klar, was denn eine sinnvolle Geometrie einer rotierenden lichtartigen Fläche sein soll. Die Außenseite der Ergosphäre ist etwas einfacher, die ist entweder rotierend oder lichtartig. Dafür reicht es vielleicht, wenn man die Krümmung einer rotierenden Kugeloberfläche im flachen Raum zum Vergleich heranzieht - das dürfte schon trickreich genug sein. Aber da wissen wir eh, dass es zumindest keine Kugel ist.
 

TomS

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Was du aber nicht erwähnt hast ist Bernhards Ansatz: die induzierte Geometrie.
Stimmt, habe ich übersehen.

... kann man zumindest zwischen Kugel und anderen Formen anhand der Symmetrien der Krümmung der Fläche unterscheiden.
OK, das ist ein interessanter Ansatz ohne den Begriff "Form".

... Mir ist bloß nicht klar, was denn eine sinnvolle Geometrie einer rotierenden lichtartigen Fläche sein soll.
Na ja, sie muss noch nicht mal "sinnvoll" sein. Man muss sie zuerst mal mathematisch konstruieren und untersuchen :)

Sobald wir das haben, können wir geometrische Eigenschaften diskutieren. Ist es nicht so, dass im Falle von orientierbaren 2-Flächen die Krümmung die einzig relevante (unabhängige) lokale Größe ist? Meine Kenntnisse in Differentialgeometrie liegen schon etwas zurück ...
 

Bernhard

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Man muss sie zuerst mal mathematisch konstruieren
Das sind in Boyer-Lindquist-Koordinaten genau vier mal zwei Bedingungen (vier Flächen):
1) t = const.
2a) r = r_EH_innen
2b) r = r_EH_aussen
2c) r = r_Ergo_aussen
2d) r = r_Ergo_innen

Sobald wir das haben, können wir geometrische Eigenschaften diskutieren.
Man kann bei M. Visser einige Ergebnisse dazu nachlesen. Die beiden, bzw. einer der beiden EHs (?) hat in etwa die Metrik eines Rotationsellipsoids.

Ist es nicht so, dass im Falle von orientierbaren 2-Flächen die Krümmung die einzig relevante (unabhängige) lokale Größe ist?
Man könnte noch den Weylschen Tensor berechnen und spezielle Konformitätseigenschaften suchen. Ich werde das aber wohl nicht machen :) . Mir reicht da das Übersichtspaper von M. Visser.

EDIT: Ich sehe dabei übrigens nichts von einer zeitlich rotierenden Fläche. Die beschriebenen vier zweidimensionalen Untermannigfaltigkeiten sind ziemlich klassische gausssche Flächen und könnten entsprechend mit der gaussschen Flächentheorie untersucht werden.
 
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